Annalena Müller
Kommentar

Nein, Schuld sind nicht immer die anderen!

Das Bistum Basel hat in einem Missbrauchsfall desaströs gehandelt. Geltendes Kirchenrecht wurde ignoriert. Und das Bistum hat dem mutmasslichen Täter die Kontaktdaten des Opfers ausgehändigt. In einer offiziellen Stellungnahme räumt Felix Gmür Fehler ein. Schiebt die Verantwortung aber anderen zu. «Das ist das Gegenteil von Opferschutz», meint Annalena Müller im Kommentar.

Annalena Müller

Gestern bekam die katholische Schweiz einen Vorgeschmack auf das, was ihr in den nächsten Wochen und Monaten wohl häufiger begegnen wird. Der «Beobachter» hat einen Missbrauchsfall aufgedeckt. Der Fall zeigt nicht nur, was in den Giftschränken der Bistümer liegt. Sondern er zeigt auch die Unfähigkeit der Verantwortlichen, adäquat zu agieren. Vor dem Hintergrund der seit zwei Jahrzehnten währenden Missbrauchsaufarbeitung der Kirche ist dies kaum nachvollziehbar.

Hürden anstelle von Opferhilfe

Der «Beobachter» gibt dem Opfer das Pseudonym «Denise Nussbaumer». Quellenschutz nennt man das im Journalismus. Das Konzept scheint dem Bistum Basel fremd. Aber dazu gleich mehr.

Denise Nussbaumer wird in den 1990ern über drei Jahre hinweg von einem Aushilfspriester missbraucht. Zu dem Zeitpunkt ist sie minderjährig. Wie viele Missbrauchsbetroffene verdrängt sie die Vorfälle über Jahre hinweg.

Die barocke St. Ursen-Kathedrale in Solothurn.
Die barocke St. Ursen-Kathedrale in Solothurn.

Die Erinnerungen kehren 2018 zurück. Nussbaumer kontaktiert das Bistum Basel. Wirklich aktiv wird sie erst ein Jahr später, als der mutmassliche Täter wieder Kontakt zu ihr sucht. Doch bei den Anlaufstellen im Bistum stösst Nussbaumer nicht auf Hilfe, sondern auf Hürden.

Bistum schützt Priester

Der Umgang des Bistums mit dem Fall zeichnet der «Beobachter» in sieben Kapiteln nach. Die Geschichte liest sich wie so viele andere aus den letzten Jahren. Die Aktenlange ist klar. Die unabhängige Genugtuungskommission erkennt den Fall an. Das Bistum hingegen blockt.

Bischof Felix Gmür steht wegen des Missbrauchsskandals weiter unter Druck.
Bischof Felix Gmür steht wegen des Missbrauchsskandals weiter unter Druck.

Seit 2001 ist die kirchenrechtliche Situation eindeutig geregelt. Felix Gmür muss den Fall nach Rom melden. Dies geschieht nicht. Im Gegenteil: die Voruntersuchung wird eingestellt. Die Begründung aus dem Jahr 2020: Nussbaumer habe es versäumt, eine E-Mail auszudrucken und zu unterschreiben.

Felix Gmür reagiert erst auf medialen Druck

Erst drei Jahre später, als die Veröffentlichung durch den «Beobachter» kurz bevorsteht, sendet Gmür das Dossier am 4. Juli 2023 an den Vatikan. Die Frage drängt sich auf: Hätte der Bischof dies auch ohne den Druck eines Schweizer Leitmediums mit einer Reichweite von mehr als 800’000 Lesenden getan? Zweifel scheinen erlaubt.

Teilweise einsichtiger Bischof

Heute hat das Bistum Basel eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin räumt Felix Gmür zwei grobe Fehler ein. Erstens: Die Einschätzung des «damaligen Voruntersuchungsführer», dass nicht «genügend Hinweise vorliegen, um ein kirchenrechtliches Strafverfahren zu eröffnen», sei falsch gewesen.

Zweitens: Die Sache mit der Unterschrift. Diese sei unnötig gewesen und die daraus resultierende Einstellung der Voruntersuchung war falsch. Felix Gemür anerkennt dies als ein Scheitern, «das nicht mehr vorkommen darf.»

Jetzt könnte man den Bischof dafür loben, dass er einen Fehler eingesteht und sich entschuldigt. Andererseits: Was soll er auch anderes machen? Die kirchenrechtliche Lage ist eindeutig – der Fall hätte direkt nach Rom gemeldet werden müssen. Punkt. Felix Gmür hatte keine andere Wahl, als dieses Scheitern einzuräumen.

Das Gegenteil von Opferschutz

Ein wesentlicher Aspekt des Falls findet keine Erwähnung in der Stellungnahme. Laut «Beobachter» hat Felix Gmür dem Täter 2020 nicht nur Kopien der Beweise ausgehändigt, sondern ihm auch die aktuellen Kontaktdaten des Opfers gegeben. Das ist das Gegenteil von Opferschutz.

Das Handeln des Bistums im Fall Nussbaumer sei «ein Scheitern, das nicht mehr vorkommen darf.»
Das Handeln des Bistums im Fall Nussbaumer sei «ein Scheitern, das nicht mehr vorkommen darf.»

Das ist, wie wenn ein Richter oder ein Staatsanwalt in einer laufenden Untersuchung dem Beklagten Adresse und Telefonnummer der Klägerin geben würde. Dilettantisch? Abwegig? Unvorstellbar? Im Bistum Basel anscheinend genauso geschehen. Und zwar nicht 1970 oder 1990, sondern 2020.

Wer übernimmt die Verantwortung?

Das Statement des Bistums ordnet die Verfahrensfehler dem «damaligen Voruntersuchungsführer» zu. Der ist praktischerweise mittlerweile in Pension und damit aus dem Schneider. Kein Wort verliert die Stellungnahme über die Schuld des Bischofs.

Die Herausgabe der Kontaktinformationen des Opfers aber war grobfahrlässig. Die Begründung des Bistums, welche der «Beobachter» zitiert, macht es nicht besser. Auf die Frage, warum das Bistum ihre Informationen weitergeben habe, antwortete man Nussbaumer 2020: «Mit der Kopie an den mutmasslichen Täter hat Bischof Felix Gmür die Sicherheit im Wissen, welche Unterlagen dieser hat.» Würde ein weltlicher Richter so leichtfertig handeln und so lapidar argumentieren, er wäre wohl seinen Job los. Aber in der Kirche herrschen andere Regeln.

Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene

Eine Liste mit kirchlichen und weiteren Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene ist hier zu finden.

Für eine unabhängige Beratung ist die «Opferhilfe Schweiz» zu empfehlen.

Wer die eigene Geschichte öffentlich machen möchte, kann sich an die Redaktion von kath.ch wenden. Diese betreibt einen kritischen und unabhängigen Journalismus. Die Redaktions-Mailadresse lautet redaktion@kath.ch.


Annalena Müller | © Mattia Vacca
18. August 2023 | 14:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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