Nazar Zatorskyy
Story der Woche

Nazar Zatorskyy: «Für den Frieden in der Ukraine wäre ich bereit, an der Front zu sterben»

Heute jährt sich der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Der Priester Nazar Zatorskyy (43) ist bischöflicher Delegierter für die ukrainische Gemeinde der griechisch-katholischen Kirche in der Schweiz. Seine Haltung zum Krieg ist klar: Russland muss besiegt werden. Und: «Man darf sich nicht wie Patriarch Kyrill zur Dienerin des Teufels machen.»

Wolfgang Holz

«Vor einem Jahr lebten rund 10’000 Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz – momentan sind es etwa 78’000», sagt Nazar Zatorskyy. Infolge der vielen Flüchtlinge aus seiner Heimat sei er als Seelsorger stark gefordert.

Viel mehr Taufen, Todesfälle und Beichten

«Ich bin viel unterwegs und kümmere mich um die Flüchtlinge in den Berner, Basler und Zürcher Gemeinden», berichtet der Priester. Er nehme Beichten ab und versuche, die Gläubigen in der schwierigen Situation des Kriegs geistlich zu begleiten.

Nazar Zatorskyy
Nazar Zatorskyy

Es gebe viel mehr Taufen, Todesfälle, E-Mails. Und, und, und. Längst ist der Krieg in der Ukraine mit voller Wucht auch für ihn in der Schweiz angekommen. «Ich fühle mich kurz vor einem Burnout.»

«Ich musste im vergangenen Jahr auch der Schweizer Öffentlichkeit immer wieder Grundkenntnisse über Russland vermitteln.»

Nazar Zatorskyy

Aber nicht nur aufgrund des seelsorgerlichen Dauerstresses im Zusammenhang mit seinen geflüchteten Landsleuten stehe er am Rand einer Depression. «Ich musste im vergangenen Jahr auch der Schweizer Öffentlichkeit immer wieder Grundkenntnisse über Russland vermitteln.» Denn hier liege so manches im Argen.

Zwei-Meter-Mann wirkt angespannt

Man spürt sofort, wie die innere Anspannung bei Nazar Zatorskyy wächst – dem Zwei-Meter-Mann, der sonst so beeindruckend ruhig und souverän wirkt. Er beginnt zu gestikulieren, pocht auf die Tischplatte im Café. Seine Stimme wird lauter. Er lässt sich nicht gerne unterbrechen. Zeigt mahnend den Finger und bittet immer wieder darum, doch bloss ausreden zu dürfen.

Nazar Zatorskyy ist überzeugt, dass die Ukraine Russland irgendwann besiegen wird.
Nazar Zatorskyy ist überzeugt, dass die Ukraine Russland irgendwann besiegen wird.

«Die Medien haben es verpasst, klarzumachen, dass Russland und Putin eben nicht in Kategorien der Postmoderne denken, sondern noch immer in der Vormoderne des 19. Jahrhunderts stecken.» Will heissen: Putin führe einen imperialistischen Krieg in der Ukraine. Mit dem Ziel, das ukrainische Volk auslöschen zu wollen und den ukrainischen Staat zu vernichten.

«Ukrainisches Militär operiert stark»

Gleichzeitig geht es ihm am heutigen 24. Februar, dem Jahrestag von Russlands Überfall, besser als vor einem Jahr. «Damals hiess es, Kiew fällt den Russen in wenigen Tagen in die Hand. Heute sieht man, dass die Ukraine dem Feind standhält und wie stark das ukrainische Militär operiert.»

Der Kampfpanzer Leopard 2 wurde der Ukraine zur Verteidigung im Kampf gegen Russland geliefert.
Der Kampfpanzer Leopard 2 wurde der Ukraine zur Verteidigung im Kampf gegen Russland geliefert.

Aber wie wird es wohl weitergehen? Die Russen haben eine Frühjahrsoffensive angekündigt. Der Westen hat versprochen, mehr Waffen zu liefern. Andererseits mobilisieren Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten in ganz Europa Hunderttausende, die daran appellieren, endlich einen Verhandlungsweg aus der Sackgasse des Tötens auf den Schlachtfeldern anzustreben.

«Auch ich wäre bereit, an der Front für den Frieden zu sterben, wenn man mich als Kaplan einberufen würde».

Nazar Zatorskyy

«Wir sind auf einem guten Weg, die besetzten Gebiete im Donbass und auf der Krim zurückzuerobern», ist Zatorskyy überzeugt. Für diese Ziele lohne es sich zu kämpfen und zu sterben. Früher oder später werde die Ukraine diese Ziele erreichen.

Eine Friedenstaube zum Mitnehmen: Pfarrer Ruedi Heim (links) und der ukrainische Priester Nazar Zatorskyy.
Eine Friedenstaube zum Mitnehmen: Pfarrer Ruedi Heim (links) und der ukrainische Priester Nazar Zatorskyy.

«Auch ich wäre bereit, an der Front für den Frieden zu sterben, wenn man mich als Kaplan einberufen würde», versichert er felsenfest. Doch seine Aufgabe in der Schweiz binde ihn. «Es gibt viel zu wenige Priester.»

Nichts gegen Friedensverhandlungen, aber…

Gegen Friedensverhandlungen hat der Kirchenmann nichts einzuwenden. «Solange solche Friedensverhandlungen nicht auf Kosten der Ukraine gehen. Wir wollen ja nicht zu den gleichen Sklaven gemacht werden, wie es die Russen heute sind.» Russland sei ja alles andere als eine «blühende Demokratie».

Fresko in der Marienkirche in Rostock: Taugt die Bergpredigt von Jesus nur für Einzelpersonen?
Fresko in der Marienkirche in Rostock: Taugt die Bergpredigt von Jesus nur für Einzelpersonen?

So weit, so verständlich – aus der Sicht eines Ukrainers. Doch wie ist das als Priester? Besteht da nicht die moralische Pflicht, den Worten Jesu aus der Bergpredigt zu folgen und sich aktiv für den Frieden einzusetzen? Wenn einem auf die rechte Wange geschlagen wird, soll man bekanntlich auch noch die andere Wange hinhalten.

Bergpredigt: «Jesus appelliert nur an Einzelpersonen»

Nazar Zatorskyy hat auf diese Frage gewartet. «Das ist ein guter Einwand, aber Jesus hat mit seiner Bergpredigt eben nur Einzelpersonen angesprochen, nicht Staaten.» Der Staat stehe nun mal in der Verantwortung, keine Gesetzlosigkeiten und keine Gewalt zu tolerieren. «Denn der Staat muss die Schwächeren schützen.» Die Ukraine verteidige sich ja nur.

Papst Franziskus
Papst Franziskus

«Der Papst muss endlich mal Klartext reden und als moralische Autorität das Böse beim Namen nennen.»

Nazar Zatorskyy

Sagt’s und wettert gegen Papst Franziskus. «Der Papst muss endlich mal Klartext reden und als moralische Autorität das Böse beim Namen nennen.»

Wer oder was ist das Böse?

Aber wer bestimmt eigentlich, wer das Böse ist? Der griechisch-katholische Priester relativiert: «Mit Böse ist natürlich die böse Tat der gewaltsamen Aggression gegen die Ukraine gemeint», sagt Zatorskyy.

Ein Herz und eine Seele:  Wladimir Putin bei einem Treffen mit Patriarch Kirill von Moskau. und ganz Russland.
Ein Herz und eine Seele: Wladimir Putin bei einem Treffen mit Patriarch Kirill von Moskau. und ganz Russland.

Sollte Russland all seine Soldaten aus der Ukraine abziehen und alle eroberten Gebiete zurückgeben, sehe die Situation wieder anders aus. «Wir dürfen nicht vergessen, wie lange Deutschland nach Hitler an sich arbeiten musste, bis es wieder zu den Guten gehörte.»

«Kyrill kann wenigstens schweigen, er muss den Angriffskrieg nicht noch verbal unterstützen und anheizen.»

Nazar Zatorskyy

Was das Verhalten der russisch-orthodoxen Kirche auf den Angriffskrieg betrifft, ist Nazar Zatorskyy überzeugt: «Die Kirche muss Kirche bleiben.» Und: «Man darf sich nicht wie Patriarch Kyrill zur Dienerin des Teufels machen», geisselt der ukrainische Geistliche. Mit Teufel meint er Wladimir Putin.

Kirche und der Zar

Dabei war die russisch-orthodoxe Kirche doch schon immer dem russischen Staat oder dem Zaren hörig. Während des Sozialismus in der UdSSR war sie dem KGB unterstellt. Wen wundert es da, wenn der Patriarch sich in Zeiten des Kriegs auf die Seite des Despoten stellt. Stellen muss? «Kyrill kann wenigstens schweigen, er muss den Angriffskrieg nicht noch verbal unterstützen und anheizen», sagt Zatorskyy.

Junge ukrainische Flüchtlingsmutter mit ihrer Tochter
Junge ukrainische Flüchtlingsmutter mit ihrer Tochter

Der griechisch-katholische Priester, dessen Mutter noch in Lemberg in der ukrainischen Heimat lebt, wünscht sich am Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine vor allem Frieden.

«Dass sich die Russen aus eigenen Stücken zurückziehen und uns endlich in Ruhe lassen. Dass die Angriffe endlich aufhören.» Bis dies geschehe, müsse sich die Ukraine weiter selbst gegen den Aggressor verteidigen. Sagt es. Und seine Miene wirkt dabei sorgenvoll und nachdenklich zugleich.

Ukrainischer Mainstream

Mit seiner Hardliner-Haltung zu Russland liegt Nazar Zatorskyy im ukrainischen Mainstream. Bei anderen Themen überrascht er mit liberalen Ansichten.

"Love is Love"
"Love is Love"

Zum Beispiel beim Thema LGBTQ. Nazar Zatorskyy bekämpft Homophobie in der ukrainischen Kirche – und eckt damit an. Wegen LGBTQ-freundlichen Posts in den sozialen Medien wurde er angeschwärzt und musste auf das Amt des Bischofsvikars verzichten.

Die Sache mit «Gayropa»

Nazar Zatorskyy ist überzeugt, dass der Krieg die Mentalität der ukrainischen Gesellschaft verändern wird. Putin und Kyrill begründeten ihren Krieg gegen die Ukraine homophob und hetzten gegen ein angebliches «Gayropa». Dies helfe der Ukraine, sich von Homophobie abzugrenzen: «Die Ukraine kommt endlich in Europa an. Je mehr Waffen Europa liefert, desto schneller kommt der Sieg der Ukraine und damit Frieden und Freiheit.»

Das Priestergewand von Nazar Zatorskyy
Das Priestergewand von Nazar Zatorskyy

Die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine

Die ukrainische griechisch-katholische Kirche ist eine Teilkirche der katholischen Kirche, feiert allerdings im byzantinischen Ritus. Etwa sechs Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer gehören der griechisch-katholischen Kirche an. Die Teilkirche hat weltweit etwa 4,3 Millionen Gläubige. Damit ist sie die grösste mit Rom unierte Ostkirche. Die Seelsorge für die griechisch-katholischen Gläubigen in der Schweiz koordiniert Nazar Zatorskyy. Es gibt Gemeinden in Bern, Basel und Zürich. (woz)


Nazar Zatorskyy | © Christian Merz
24. Februar 2023 | 12:12
Lesezeit: ca. 5 Min.
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