Balthasar Glättli, Zürcher Nationalrat (Grüne)
Schweiz

Nationalrat Balthasar Glättli: «Ich bin via Kirche zu den Grünen gekommen»

Zürich, 14.9.16 (kath.ch) Balthasar Glättli sieht die Kirchen als Verbündete im Abstimmungskampf um die Volksinitiative «Grüne Wirtschaft», über die am 25. September abgestimmt wird. Sie könnten ganz spezifisch zur Diskussion beitragen, sagt der Zürcher Nationalrat und Fraktionspräsident der Grünen im Interview mit kath.ch. Dass die Kirchen für den Umweltschutz einstehen, ist für den Politiker mit Jahrgang 1972 nichts Neues. Er selber fand über die reformierte Kirche zum ökologischen Engagement.

Barbara Ludwig

Seit wann ist Ihnen bewusst, dass Umweltschutz ein Thema für die Kirchen ist?

Balthasar Glättli: Seit den 1980er Jahren ist mir bewusst, dass der Umweltschutz für die Kirchen ein Thema ist. Als reformierter Jugendlicher habe ich den ganzen GFS-Prozess (1989 fand in Basel die Europäische Ökumenische Versammlung «Frieden in Gerechtigkeit» statt, Anm. d. Red.) intensiv miterlebt. In der Zeit vor und nach der Konfirmation setzte man sich mit den Themen Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung auseinander. Ich selber befasste mich auch sehr stark mit Religion. Dass die Kirchen sich um die Umwelt sorgen, erstaunt mich daher nicht besonders. Hingegen weiss ich erst seit wenigen Jahren, dass sie die Schöpfungszeit feiern. Aus purem Zufall: Eine Bekannte hat mich darauf aufmerksam gemacht.

Der ökumenische Verein «Oeku Kirche und Umwelt» ermuntert die Kirchgemeinden seit Jahrzehnten zu einem sorgsamen Umgang mit der Umwelt und erarbeitet auch Material für Gottesdienste. Haben Sie diese Aktivitäten in der Vergangenheit wahrgenommen?

Glättli: Da ich vor ein paar Jahren aus der reformierten Kirche austrat, bin ich institutionell nicht mehr mit der Kirche verbunden und erhalte von daher keine direkten Informationen über ihre ökologischen Aktivitäten. Ich erinnere mich aber, dass ich vor einigen Jahren von einer Kirchgemeinde eingeladen wurde, einen politischen Input zu geben. Man erzählte mir damals, dass in der Kirche ganz konkrete ökologische Anstrengungen unternommen würden. Ich erfuhr, dass der Verein «Oeku Kirche und Umwelt» die Kirchgemeinden dazu anregt, nicht nur in der Predigt für einen sorgsamen Umgang mit der Umwelt zu werben, sondern auch selber Vorbild zu sein, insbesondere im Energiebereich. Als Politiker nehme ich die Aktivitäten dieses Vereins allerdings nicht wahr. Aus meiner Sicht hat er sicher noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um in der Öffentlichkeit bekannt zu werden.

Solidarität über Grenzen hinaus gehört zum christlichen Glauben.

Hätten Sie einen Vorschlag, was der Verein tun sollte, um bekannter zu werden?

Glättli: Nein, das möchte ich mir nicht anmassen, ohne den Verein und seine Arbeit genauer zu kennen.

Am 25. September stimmen die Schweizer über Ihre Volksinitiative «Grüne Wirtschaft» ab. Sehen Sie die Kirchen oder ihre Mitglieder als Verbündete?

Glättli: Weil die Kirchen zur Bewahrung der Schöpfung aufrufen und das Zusammenleben in den Vordergrund stellen und nicht etwa den Eigennutz der Aktionäre, einer einzelnen Generation oder gar eines einzelnen Landes, sehe ich sie als Verbündete. Solidarität über die Landes- und Generationengrenzen hinaus ist für mich etwas, das ganz zentral zum christlichen Glauben gehört.

Letztlich kann man die Initiative auf verschiedene Arten anschauen: Mit dem Fokus auf Wirtschaft und Innovation. Weil damit Arbeitsplätze mit Zukunft geschaffen werden. Man kann darin aber auch eine moralische Aufforderung an uns sehen, so zu wirtschaften, dass es auch für die anderen reicht. Dieser Aspekt kommt in der normalen politischen Auseinandersetzung zu kurz. Die Kirchen könnten ganz spezifisch zur Diskussion beitragen: Indem sie zum Beispiel die unbequeme Frage stellen, wie viel genug ist und ab welchem Punkt der materielle Überfluss nicht zu mehr echtem Wohlstand führt.

Haben Sie den Eindruck, dass die Kirchen das machen?

Glättli: Ich erlebte das sehr stark an der Delegiertenversammlung der EVP und damit im teils freikirchlichen, teils landeskirchlich reformierten Kontext. Die Zürcher Nationalrätin Maja Ingold stellte dort unsere Initiative vor. Sie sagte: «Wir haben eine Erde und gehen von der Gleichberechtigung jedes Menschen aus. Eine ‘Nach uns die Sintflut’-Haltung halten wir von der EVP als unverantwortlich, nicht enkeltauglich, und auch nicht im Sinne der Bewahrung der Schöpfung.» Sucht man im katholischen Umfeld nach Anknüpfungspunkten, findet man die Umweltenzyklika von Papst Franziskus. Franziskus ist aus meiner Sicht der erste Papst, der den Verbrauch fossiler Energien und den Ressourcenverschleiss sehr stark in den Vordergrund stellt, aber auch mit der Gerechtigkeit verknüpft. Er betont, dass Umweltschutz auch eine Frage der Gerechtigkeit ist.

Ich bin kein Tiefenökologe, der Mutter Erde schützen will.

Unterstützen Sie dies als grüner Politiker?

Glättli: Ja. Für mich persönlich ist Gerechtigkeit die noch grössere Motivation, politisch tätig zu sein, als der Umweltschutz. Dieser leitet sich für mich vom Ziel der Gerechtigkeit ab. Ich bin kein Tiefenökologe, der Mutter Erde schützen will und dabei am liebsten den Menschen ausrotten möchte, weil er davon ausgeht, dass der Mensch das Schlimmste sei, was der Erde wiederfuhr. Mir geht es darum, auf eine Gesellschaft hin zu wirken, die Gerechtigkeit zwischen den Menschen und Rücksicht auf die Natur sowohl national als auch global lebt. Und die auch die kommenden Generationen nicht vergisst: Wir sollten von den nichterneuerbaren Ressourcen nicht mehr verbrauchen, als wieder nachwachsen kann.

Ist die Natur für Sie in irgendeiner Form etwas Heiliges?

Glättli (überlegt): Nein, das Wort «heilig» ist religiös aufgeladen. Ich würde eher sagen, die Natur ist ein Geschenk. Sie bietet einen Reichtum und zeigt auf, wie man Probleme lösen kann. Denken wir etwa an den Kreislauf der Natur. Unsere Initiative will – analog zur Natur – auch die Wirtschaft zu einem Kreislauf umgestalten. Der geschlossene Kreislauf der Natur stellt ein Vorbild dar. Auch wenn man ihn irgendwie erklären kann, bleibt er für mich etwas, das Respekt verlangt und über das man sich nicht einfach stellen kann.

Bei den Grünen finden sich recht viele mit christlichem Hintergrund.

Die Christen betrachten die Erde und ihre Ressourcen als Schöpfung Gottes. Sehen Sie im christlichen Weltbild, das unsere Lebensgrundlagen als von Gott geschaffen sieht, Bezugspunkte zur Motivation grüner Parteien, sich für den Schutz der Umwelt einzusetzen?

Glättli: Ja, ich glaube, dass es da durchaus Bezugspunkte gibt. In der grünen Partei finden sich recht viele Personen mit einem christlichen Hintergrund. Aber es gibt auch einen grossen Anteil von Mitgliedern, die ganz andere Motivationen haben. Menschen mit natur-religiösen Vorstellungen zum Beispiel. Dann gibt es auch esoterische Strömungen und Freidenker. Es existiert eine Vielzahl von Ansätzen, mit denen man sein Engagement für den Umweltschutz begründen kann.

Ich selber bin indirekt via Kirche zu den Grünen gekommen. Als Jugendlicher gründete ich gegen Ende der 1980er Jahre eine Umwelt- und Drittweltgruppe mit, der Kreis der Gründerinnen und Gründer hatte sich aufgrund einer Einladung der Kirche getroffen. Weil wir aber alle eine Distanz zur Kirche als Institution hatten, trafen wir uns schliesslich ausserhalb des kirchlichen Kontextes und gründeten die Organisation «Welt-Umwelt-Mitwelt». Die reformierte Kirche war aber der Katalysator.

Kirchen in der Schweiz und Europa feiern Schöpfungszeit

Bischöfliche Kommission sagt Ja zur «Grünen Wirtschaft»

Balthasar Glättli, Zürcher Nationalrat (Grüne) | © Judith Schönenberger/zVg
14. September 2016 | 17:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

Grüne Wirtschaft

Die eidgenössische Volksinitiative «Für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft (Grüne Wirtschaft) will den ökologischen Fussabdruck der Schweiz bis in Jahr 2050 auf ein nachhaltiges Niveau senken, heisst es auf der Homepage der Grünen Partei der Schweiz, die das Volksbegehren im Herbst 2012 einreichte. Gemäss dem Initiativtext sollen Bund, Kantone und Gemeinden eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft anstreben und dabei geschlossene Stoffkreisläufe fördern. Die Partei betont auf ihrer Homepage, dass freiwillige Massnahmen der Wirtschaft Vorrang vor politischen Massnahmen haben.

EVP sagt Ja, CVP Nein

Die SP, die GLP und die EVP stehen hinter der Initiative, über die am 25. September abgestimmt wird. Bei der CVP lehnen Fraktion und Parteipräsidium auf nationaler Ebene das Volksbegehren ab; hingegen spricht sich die CVP im Kanton Genf für ein Ja zur «Grünen Wirtschaft» aus. Zu den Gegnern der Initiative gehören weiter die SVP und die BDP. Bei letzterer schert die Waadtländer Kantonalsektion aus. Verschiedene Umweltverbände unterstützen das Anliegen. Zu den Befürwortern zählt auch Alliance Sud, die entwicklungspolitische Organisation der Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks. Für ein Ja werben zudem die Nationalkommission «Justitia et Pax» der Schweizer Bischofskonferenz sowie der ökumenische Verein «Oeku Kirche und Umwelt».

Laut Umfrage sinkt Zustimmung

In der Bevölkerung ist die Haltung zur Initiative durchaus noch als wechselhaft zu bezeichnen. Gemäss der dritten Internet-Umfrage der TA-Media zu allen drei nationalen Abstimmungsvorlagen sind die Meinungen der Stimmberechtigten bei der Volksinitiative «Grüne Wirtschaft» stark in Bewegung. So sagten Mitte September von den Befragten lediglich noch 42 Prozent Ja und bereits 54 Prozent Nein zur Initiative. Vor rund drei Wochen lag der Ja-Stimmen-Anteil noch bei 47 Prozent, während die Nein-Stimmen noch bei 43 Prozent lagen. (bal/ms)