Solidarität mit der ermordeten Iranerin Mahsa Amini: Eine Frau schneidet in Bern ein Haarbüschel ab.
Schweiz

Nasrin M. kämpft gegen die Mullahs: «Ich will eine Stimme für die iranischen Frauen sein»

Nasrin M. (32) unterstützt die Proteste gegen das iranische Regime. Zusammen mit einer Freiwilligen-Gruppe organisiert sie Kundgebungen in Basel und Zürich. Die Atheistin ist mit einem Katholiken verheiratet – und hofft auf eine islamische Renaissance.

Sarah Stutte

Nasrin M. (Name der Redaktion bekannt) ist im Iran geboren und aufgewachsen. Seit vier Jahren lebt sie in der Schweiz. Das Schicksal von Mahsa Amini beschäftigt sie. Mahsa Amini war in Teheran verhaftet worden, weil sie angeblich nicht züchtig genug gekleidet war. Später starb sie im Gefängnis.

Abgeschnittene Haare als Protest der iranischen Frauen.
Abgeschnittene Haare als Protest der iranischen Frauen.

Nasrin M. erzählt, auch sie sei in ihrer Heimat mehrere Male von der Sittenpolizei verhaftet worden. «Ich habe nichts falsch gemacht. Einmal wurde ich ins Gefängnis gesteckt, weil mein Kopftuch verrutscht war. Ein anderes Mal hatte ich leichte Sommerschuhe ohne Socken an. Das war der Grund, warum mich die Polizei zusammengeschlagen hat. Ich hatte schlimme Verletzungen», berichtet Nasrin M.

Schweizweite Solidaritätsmärsche

Die 32-Jährige arbeitet heute in der Schweiz im Bereich medizinische Forschung. Zuvor studierte sie in Deutschland und in der Schweiz. «Während des Studiums traf ich andere Studentinnen und Studenten, die sich für die Probleme im Iran interessieren. Denn diese sind keineswegs neu. Wir formierten uns zu einer Gruppe aus Exiliranerinnen und Exiliranern sowie Schweizerinnen und Schweizern», sagt Nasrin M.

Protest von Campax vor der Berner Botschaft.
Protest von Campax vor der Berner Botschaft.

«Viele von uns hatten vorher mit Politik nicht viel zu tun. Trotzdem finden wir, dass wir etwas unternehmen müssen», sagt Nasrin M. So fingen sie an, erst in ihrer Region und dann schweizweit verschiedene Demonstrationen zu organisieren.

Recht auf freie Entscheidung

Das politische Engagement hat einen Preis. Nasrin M. sagt, sie könne nicht mehr in den Iran reisen. «Ich würde sofort im Gefängnis landen und niemand weiss, was danach mit mir passieren würde. Ich stand vor der Frage: Will ich eine Stimme für die iranischen Frauen sein? Ja, das will ich.»

Teilnehmerinnen an einer Demonstration in der Schweiz für Mahsa Amini.
Teilnehmerinnen an einer Demonstration in der Schweiz für Mahsa Amini.

Die um sie formierte Gruppe habe zwei Ziele. Einerseits sei es ihr wichtig, dass die iranischen Frauen auf der ganzen Welt gehört würden. «Sie sterben gerade für einen Kampf, der seit 43 Jahren andauert. Nämlich frei darüber entscheiden zu können, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht.» Die Menschen im Iran bräuchten jede Form von Unterstützung, bekräftigt Nasrin M. ihre Initiative.

Nicht generell gegen die Scharia

Eine andere Motivation sei, den Menschen in der Schweiz die Wichtigkeit dieses Moments näherzubringen. «Das ist der Anfang einer islamischen Renaissance. Es ist der erste Protest im Nahen und Mittleren Osten, der sich bewusst für die Frauenrechte stark macht – und das im islamischsten aller Länder», sagt die studierte Physikerin. Mehrmals betont sie, dass sie nicht grundsätzlich gegen die Scharia sei. «Wir möchten nur, dass iranische Frauen eine Wahl haben. Dafür setzen wir uns ein.»

Unter dem Hashtag #MahsaAmini gibt es in den sozialen Medien eine grosse Welle der Solidarität.
Unter dem Hashtag #MahsaAmini gibt es in den sozialen Medien eine grosse Welle der Solidarität.

Nasrin M. stammt aus einer christlich-muslimischen Familie. Sie ist mit einem Katholiken verheiratet und bezeichnet sich selbst als Atheistin. «Im Iran ist es zu gefährlich, sich als Christin oder Christ zu outen. Konvertiert jemand offiziell zu einer anderen Religion, bedeutet das meistens ein Todesurteil.»

Hat sie keine Angst, mit ihrem Engagement Verwandte im Iran zu gefährden? «Die Gefahr ist immer da. Doch der Mut der iranischen Frauen, die nun dort auf die Strasse gehen, ist viel grösser. Das beeindruckt mich».

"Frauenrechte sind Menschenrechte": Demonstration für Mahsa Amini.
"Frauenrechte sind Menschenrechte": Demonstration für Mahsa Amini.

Für immer 22 Jahre

Nasrin M. ist auch davon beeindruckt, dass sich immer mehr Musliminnen aus Protest die Haare abschneiden. «Viele tun dies aus Solidarität, weil Mahsa Amini wegen eines kleinen Haarbüschels ermordet wurde.»

Schleier verbrennen als Protest gegen die Unterdrückung in Iran.
Schleier verbrennen als Protest gegen die Unterdrückung in Iran.

Mahsa Amini hatte letzte Woche Geburtstag und wäre 23 Jahre alt geworden. Nasrin M. sagt: «Als Andenken an sie habe ich auf der Mittleren Brücke in Basel 22 Ballone in den Himmel steigen lassen. Sie wird für immer 22 Jahre alt bleiben. Leider.»

Die Gruppe um Nasrin M. veranstaltete am Samstag, 1. Oktober, von 14 Uhr bis 16 Uhr an der Zürcher Rathausbrücke einen Demonstrationszug unter dem Motto «Frau, Leben, Freiheit».


Solidarität mit der ermordeten Iranerin Mahsa Amini: Eine Frau schneidet in Bern ein Haarbüschel ab. | © Keystone
3. Oktober 2022 | 09:38
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