Franz S., 2020
Schweiz

Nach Missbrauchsvorwürfen: Pfarrer Franz S. kündigt seinen Rückzug an

Vor kurzem sind 40 Jahre alte Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Franz S. wieder in den Medien aufgetaucht. Nun gibt der streitbare Pfarrer aus Röschenz BL im Bistum Basel auf: Nach 25 Jahren in der Gemeinde spüre er zum ersten Mal Misstrauen.

Boris Burkhardt

Das Schlusslied ist ausgeklungen und der Segen erteilt. Doch dann richtet Pfarrer Franz S. (70) am Sonntag, 24. September, noch einmal ausführlich das Wort an seine Gemeinde im Baselbieter Dorf Röschenz bei Laufen: Er kündigt an, sich auf unbestimmte Zeit von seinen Verpflichtungen in der Gemeinde zurückzuziehen.

Grund sind die Vorwürfe der sexuellen Belästigung des Priesterkollegen Thomas Pfeifroth (57), die S. als junger Priester vor 40 Jahren in seiner Heimat Bamberg begangen haben soll und die der «SonntagsBlick» am vergangenen Sonntag erneut in die Öffentlichkeit gebracht hat, nachdem bereits 2010 darüber berichtet worden war.

Vorwürfe belasten S.

Die erneuten Vorwürfe sind laut eigener Aussage zuviel für den streitbaren Priester, der als ewiger Rebell gegen das «System Kirche» und viele seiner Dogmen gilt. Und der kein Unerfahrener im Umgang mit den Medien ist.

Gottesdienst in Röschenz: Kurz danach verkündet Franz S. seinen Rücktritt
Gottesdienst in Röschenz: Kurz danach verkündet Franz S. seinen Rücktritt

Bereits 25 Jahre tut S. seinen Dienst im 1900-Einwohner-Dorf Röschenz, in einer Pfarrgemeinde, die sich erfolgreich gegen Fusionen gewehrt hat. «25 Jahre lang habe ich Hunderte Ihrer Kinder getauft und zur Kommunion geführt und war mit über 200 Ministranten auf Freizeiten», sagt S. zur Gemeinde: «Nie gab es auch nur ansatzweise einen Vorwurf sexueller Belästigung.»

Anhaltender Applaus

Noch in dieser Woche habe eine Mutter bestätigt, dass sie ihr Kind von keinem anderen Pfarrer taufen lassen wolle. Die Gemeinde – gut die Hälfte der Bänke ist am Sonntag gefüllt – gibt ihm durch anhaltenden Applaus recht.

«Ich und auch der Kirchenrat, wir fragen uns: Was will Pfeifroth von mir?»

Nun hätten ihn aber sogar die jungen Ministranten gefragt, was an den Vorwürfen in der Zeitung dran sei, berichtet S. weiter. Das habe ihn zutiefst erschüttert: «Zum ersten Mal spüre ich etwas in dieser Gemeinde, das ich noch nie gespürt habe: Misstrauen.» S. sieht sich als Ziel einer Hetzkampagne Pfeifroths, unterstützt von den Medien: «Ich und auch der Kirchenrat, wir fragen uns: Was will Pfeifroth von mir?»

Thomas Pfeifroth
Thomas Pfeifroth

Die Medien und «der Mainstream» hätten kein Interesse an einem differenzierten Urteil: «Bei Priestern und Kindesmissbrauchsvorwürfen heisst es inzwischen nur noch: Selbst schuld!»

Biblische Hinweise

Schon zu Beginn des Gottesdiensts spielt S. mit einer kurzen Bemerkung über die Bibelgeschichte der Ehebrecherin («Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein», Joh 8) darauf an: «Das ist nur Theorie: Manchmal reichen die Steine gar nicht aus.»

Auch die Lesung aus dem Galaterbrief, wer Verfehlungen eines Bruders erkenne, solle ihn mit Sanftmut auf den rechten Weg zurückführen und selbst nicht in Versuchung geraten, bezieht S. auf sich und seine Situation.

Kirchenrat zeigt sich in Flugblatt solidarisch mit S.

Tatsächlich hat der Kirchenrat nach den erneuten Vorwürfen in einem Flugblatt an alle Haushalte im Dorf noch am Samstag vor dem Gottesdienst seine Solidarität mit S. erklärt. Der Kirchenrat weist vor allem darauf hin, dass S. von den staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen wie auch von psychiatrischen Gutachten für unschuldig erklärt worden sei.

Kirche von Röschenz BL
Kirche von Röschenz BL

2005 hatte sich S. bereits wegen anderer Vorwürfe sexueller Handlungen sowohl vor dem kirchlichen als auch dem weltlichen Gericht verantworten müssen und war in allen Punkten freigesprochen worden. «Wir haben 2005 auch den Fall Pfeifroth öffentlich kommuniziert und zusammen mit den sonstigen damaligen Vorwürfen beurteilt», schreibt der Kirchenrat: «Franz S. hat uns diesen Vorfall nie verheimlicht; er war sich immer dieses Fehltritts bewusst.»

Der Kirchenrat fügt ausserdem hinzu, dass S. «mehrmals auch aktiv eingegriffen hat, wenn Kinder in schwierigen familiären Verhältnissen in Not waren». Zusammen mit den Eltern und wenn nötig mit den staatlichen Behörden habe er Lösungen gesucht.

Amtsmissbrauch «aus Unerfahrenheit»

«Ich schäme mich, hier vor Ihnen zu stehen, wenn intimste Details aus meinem Sexualleben in der Öffentlichkeit breitgetreten wurden», sagt S. vor der Gemeinde. Ausführlich schildert er, wie die Dinge 1982 aus seiner Sicht abgelaufen seien. S. gibt zu, damals sein Amt als Priester aus Unerfahrenheit missbraucht zu haben, verneint einen sexuellen Missbrauch aber deutlich.

S. spricht von «einvernehmlichen Intimitäten»

Entgegen den Behauptungen im «SonntagsBlick» sei Pfeifroth, damals 17 Jahre alt, nicht zu ihm nach Hause zur Beichte gekommen, sondern habe ihn im Beichtstuhl in der Pfarrkirche St. Martin in Bamberg angesprochen. Erst daraufhin habe er Pfeifroth zu einem vertieften Gespräch zu sich eingeladen.

Passiert da etwas im Versteckten? - Licht fällt auf den Beichtstuhl.
Passiert da etwas im Versteckten? - Licht fällt auf den Beichtstuhl.

Es sei zu einvernehmlichen Intimitäten zwischen ihnen gekommen, aber nicht zum Geschlechtsverkehr: «Pfeifroth sagte mir, er sei 18 Jahre alt und finde mich attraktiv. Alkohol tranken wir keinen.» Ausserdem habe ihm Pfeifroth gestanden, bereits mit einem Mönch intim gewesen zu sein. Laut S. blieben er und Pfeifroth «noch lange» befreundet – dieser hat laut «SonntagsBlick» das Gegenteil behauptet.

«Es wurde nichts vertuscht; ich habe alles offengelegt.»

Dennoch habe er Gewissensbisse gehabt, fährt S. fort – wie erwähnt, weil er sein Amt als Priester gegenüber dem Priesterkandidaten Pfeifroth missbraucht habe –, und bereits damals dem Generalvikar von Bamberg seinen Rücktritt angeboten, was jener abgelehnt habe. «Es wurde nichts vertuscht; ich habe alles offengelegt», stellt S. klar.

S. hält keine Sonntagsmessen mehr

Vizepräsident Holger Wahl, der 2005 bereits als Präsident Mitglied im Kirchenrat war, teilt im Gespräch mit kath.ch nach dem Gottesdienst mit, dass S. auf Wunsch der Angehörigen weiterhin Kasualien übernehmen, vorerst aber keine Sonntagsmessen mehr halten werde. S. ist seit fünf Jahren offiziell pensioniert und arbeitet seither in einer 50-Prozent-Stelle. Seine Arbeitgeberin ist die Pfarrgemeinde Röschenz.

Franz S. in einem Gottesdienst in Röschenz BL
Franz S. in einem Gottesdienst in Röschenz BL

S. unterstellt Pfeifroth für den erneuten Gang an die Öffentlichkeit als Motiv «Bosheit». Auch Wahl ist der Meinung, dass nun im Zuge der grossen Missbrauchsskandale alte Empörungen wieder aufgewärmt würden – «von Menschen, die unserem Kirchenleben im Dorf schon vor 20 Jahren ein Ende setzen wollten».

Wenn das wahr sein sollte, hätten «diese Menschen» vielleicht bald ihr Ziel erreicht: «Ohne Pfarrer S. wird das kirchliche Leben in Röschenz sterben», sagt Wahl mit Bestimmtheit.


Franz S., 2020 | © Youtube
24. September 2023 | 16:59
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