Thomas Pfeifroth
Schweiz

Thomas Pfeifroth: Felix Gmür sollte sein Amt zur Verfügung stellen

Thomas Pfeifroth erhebt schwere Vorwürfe gegen einen Priester, der im Bistum Basel angestellt ist. Dieser soll ihn 1982 missbraucht haben. Pfeifroth ist seit 2005 selbst Priester. 2011 wandte er sich erstmals an Bischof Felix Gmür – dieser liess den Missbrauchsbetroffenen auflaufen. Als er Bischof Gmürs Statement zur Missbrauchsstudie las, sei ihm «fast der Kopf geplatzt».

Annalena Müller

Wie geht es Ihnen?

Thomas Pfeifroth*: Ich habe seit Samstag starke Kopfschmerzen. Es war ein langer Weg. Sie müssen bedenken, dass ich seit 2009, also schon bevor der Missbrauchsskandal in Deutschland losging, gegen klerikalen Missbrauch kämpfe. Ich habe seither sehr viele Rückschläge und Verletzungen erlebt. Deswegen habe ich mich schliesslich an die Presse gewandt. Denn offensichtlich braucht es diesen externen Druck, um den klerikalen Missbrauch aufzuarbeiten.

Erzbischof Ludwig Schick: Ihn hat Thomas Pfeifroth zuerst über den Missbrauch an ihm informiert.
Erzbischof Ludwig Schick: Ihn hat Thomas Pfeifroth zuerst über den Missbrauch an ihm informiert.

2010 haben Sie sich zunächst an das Erzbistum Bamberg gewandt. Dort ist der Missbrauch an Ihnen 1982 geschehen. Aber in Bamberg hat man Sie an Basel verwiesen, warum?

Pfeifroth: Franz S., der mich 1982, als ich 17 Jahre alt war, missbraucht hat, ist im Erzbistum Bamberg inkardiniert. Aber er ist seit 1992 im Bistum Basel tätig. Daher hat man mir damals gesagt, ich solle mich an den Bischof von Basel wenden. Wobei ich das schon sehr problematisch finde.

«Es wäre Sache des Bamberger Erzbischofs gewesen, den Bischof von Basel über den Missbrauch zu informieren.»

Was genau?

Pfeifroth: Ich denke nicht, dass es die Aufgabe des Klägers ist, die innerkirchlichen Strukturen zu kennen und ihnen die Verantwortung aufzubürden, den entsprechenden Bischof zu informieren. Sondern es wäre eigentlich die Sache des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick gewesen, dies zu tun. Vielleicht hat er es auch getan, das weiss ich nicht. Aber um eine Reaktion aus Basel zu erhalten, musste ich mich selbst dort melden.

Blick auf den Petersdom in Rom
Blick auf den Petersdom in Rom

Was war die Reaktion von Bischof Felix Gmür?

Pfeifroth: Letztlich ähnlich der von Bischof Schick in Bamberg. Bischof Gmür wollte nicht zuständig sein. Es war ein regelrechtes Ping-Pong-Spiel, eine Verzögerungstaktik. Er lehnte es ab, kirchenrechtlich gegen Pfarrer Franz S. zu ermitteln.

«Erst als ich mit einer Kirchenrechtlerin eine Anklageschrift nach Rom geschickt habe, kam etwas Bewegung in die Sache.»

Letztlich wurde der Fall nach Rom gemeldet…

Pfeifroth: Ja, aber erst nachdem ich 2012 zusammen mit einer Kirchenrechtlerin eine 88-seitige Anklageschrift nach Rom geschickt habe, kam etwas Bewegung in die Sache. Mein Ziel war, herauszufinden, wer zuständig ist. Kirchenrechtlich strafbar war, dass Franz S. das Beichtgeheimnis missbraucht hat. Ich habe ihm damals in der Beichte meine Homosexualität anvertraut, und dass ich damit haderte. Dieses Wissen hat er dann genutzt, um mich später zu verführen. Ich war damals 17, also minderjährig.

Auch im kirchenrechtlichen Sinne?

Pfeifroth: Nein, vor der Verschärfung des entsprechenden Kirchengesetzes lag die sexuelle Mündigkeit im Kirchenrecht bei 16 Jahren. Erst seit 2001 liegt sie bei 18 Jahren. Aber faktisch ist mein Fall dennoch Missbrauch eines Minderjährigen, der sich zusätzlich in einem Abhängigkeitsverhältnis befand. Rein kirchenrechtlich betrachtet, war es aber die Ausnutzung des Beichtgeheimnisses, welche Franz S. strafbar macht. Und dieses verjährt im Kirchenstrafrecht nicht.

Wie haben Sie erfahren, dass Rom eingeschritten ist?

Pfeifroth: Durch meinen Dienstvorgesetzten in Berlin.

«Ich erlebte das damals als einschüchternd.»

Über Ihren Kopf hinweg?

Pfeifroth: Ja, zudem auch nur mündlich im Jahre 2015, nach drei Jahren des Wartens. So funktioniert das in der Kirche. Man darf da nicht von rechtsstaatlichen Standards des Datenschutzes ausgehen. Ich erlebte das damals als einschüchternd, vom menschlichen Umgang ganz zu schweigen.

Bischof Felix Gmür steht wegen des Missbrauchsskandals weiter unter Druck.
Bischof Felix Gmür steht wegen des Missbrauchsskandals weiter unter Druck.

«Bischof Gmür stellt sich als Opferversteher hin.»

Letzte Woche wurde in der Schweiz eine erste Pilotstudie zur historischen Aufarbeitung des Missbrauchs im kirchlichen Umfeld vorgestellt. In diesem Kontext hat sich Bischof Felix Gmür auch in einer Stellungnahme geäussert. Was ging Ihnen durch den Kopf als Sie diese gelesen haben?

Pfeifroth: Da ist mir fast der Kopf geplatzt. Er stellt sich als Opferversteher hin. Ich hätte mir mehr Ehrlichkeit gewünscht.

Was hätten Sie sich konkret gewünscht?

Pfeifroth: Ich würde mir wünschen, dass er sein Versagen eingesteht. Und als Folge dessen, sein Amt zur Verfügung stellt. Gerade in Anbetracht einer solchen Studie – in Deutschland gibt es sie ja auch verschiedentlich, einfach auf diözesaner Ebene.

Pressekonferenz zur Pilotstudie Missbrauch in der katholischen Kirche, 12. September 2023
Pressekonferenz zur Pilotstudie Missbrauch in der katholischen Kirche, 12. September 2023

«Diese Betroffenheitsbekundungen sind ein Hohn für die Opfer.»

In Anbetracht einer solchen Studie wünschte ich mir von allen Bischöfen, dass sie sich eine Wüstenzeit nähmen. Dass sie sie sich also metaphorisch in die Wüste zurückziehen würden. Schweigen und erst mal nicht reden. Und vor allem nicht diese Betroffenheitsbekundungen. Sie sind ein Hohn für die Opfer, denn es zeigt sich ja immer wieder: Es ändert sich nichts.

«Die Bischöfe sind alle Teil eines klerikalen Männerbundes. Sie sind sich dessen nicht wirklich bewusst.»

Glauben Sie, dass die Bischöfe ihren eigenen Betroffenheitsbekundungen noch glauben?

Pfeifroth: Da ich selbst Priester bin, kann ich sehen, wie es zu dieser Diskrepanz kommt. Also, ernstgemeinter Betroffenheit einerseits. Und trotzdem nichts unternehmen, andererseits. Die Bischöfe sind alle Teil eines klerikalen Männerbundes. Sie sind sich nicht wirklich bewusst, in welchem System sie stecken.

In der aktuellen Kirchenstruktur sind Bischöfe überflüssig, findet Zeno Cavigelli.
In der aktuellen Kirchenstruktur sind Bischöfe überflüssig, findet Zeno Cavigelli.

Es fehlt ihnen das Problembewusstsein?

Pfeifroth: Ja, ich glaube schon. Ich musste mich da auch erst lange herausarbeiten. Und ich bin noch nicht am Ende mit dieser Arbeit. Ich habe immer noch klerikale Anteile in mir. Der Klerikalismus geht ja schon mit dem Priesterwunsch los. Er ist eine Berufung, aber es gibt meist auch andere Motive. «Als Priester bin ich endlich wer.» Oder: «Da kann ich meine mich ängstigende Sexualität kontrollieren, im Zölibat nobilitieren und sogar anderen vorschreiben, wie sie ihre Sexualität zu leben haben», et cetera. Um ein systemkritisches Bewusstsein zu erlangen, muss man sich vom System distanzieren. Und das geht fast nicht, denn die Bischöfe leben ja einfach in dieser Blase.

«Er hat mich 2002 nochmals kontaktiert.»

Hatten Sie nach 1982 nochmals Kontakt mit Franz S.?

Pfeifroth: Ja. Er hat mich 2002 kontaktiert. Damals lag eine anonyme Anzeige wegen Kindesmissbrauchs gegen ihn vor. Und da rief er mich im Priesterseminar an und wollte wissen, ob ich das war. Für mich zeigt dieser Anruf bis heute: Ihm war durchaus bewusst, dass es falsch war, was er mit mir 20 Jahre zuvor gemacht hat.

Wie kam er an Ihre Nummer?

Pfeifroth: Er hat wahrscheinlich herumtelefoniert und sie dann von jemandem im Priesterseminar erhalten…

Wie verlief das Gespräch?

Pfeifroth: Ich war wie vom Donner gerührt, als ich seine Stimme hörte und diese Frage. Ich glaube, ich konnte ihm glaubwürdig vermitteln, dass ich ihn nicht angezeigt hatte – was ja auch stimmte. Für ihn war damit das Gespräch beendet. Er hat aufgelegt. Für mich hat es aber sehr viel ausgelöst. Ich habe ihm einige Zeit darauf einen Brief geschrieben und ihn damit konfrontiert, dass er mich missbraucht hat.

«Als in den Brief von Franz S. bekam, wurde mir schlecht.»

Wie hat er reagiert?

Pfeifroth: Er hat mir geantwortet – und seine Antwort wurde ja im «SonntagsBlick» zitiert. Als ich damals den Brief bekam, wurde mir schlecht. Ich musste ihn von mir werfen, er fühlte sich wie Gift an.

«Bischof Gmür sollte seine Amtsführung untersuchen lassen.»

Franz S. ist noch immer als Pfarrer im Bistum Basel aktiv. Jetzt, da Ihr Fall in der Schweiz bekannt geworden ist, welche Reaktion wünschen Sie sich von Bischof Gmür?

Pfeifroth: Das Verantwortungsbewusste wäre es, sein Amt zur Verfügung stellen. Und ein kirchenrechtliches Verfahren gegen Franz S. wegen Verletzung des Beichtgeheimnisses anstrengen. Ich halte nichts von Lynchjustiz. Also dass man jetzt empört aufschreit und Leute fertig macht. Das sollte alles rechtlich korrekt zugehen. Daher fände ich es auch richtig, wenn Bischof Gmür seine Amtsführung untersuchen lassen würde.

* Thomas Pfeifroth (57) ist Priester und lebt in Berlin. Er kämpft seit vielen Jahren um die Anerkennung seines Missbrauchs im Erzbistum Bamberg und Bistum Basel. Den Weg an die Medien ist er gegangen, weil er auf den internen Wegen nicht mehr weiterkam.

Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene

Eine Liste mit kirchlichen und weiteren Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene ist hier zu finden.

Für eine unabhängige Beratung ist die «Opferhilfe Schweiz» zu empfehlen.

Wer die eigene Geschichte öffentlich machen möchte, kann sich an die Redaktion von kath.ch wenden. Diese betreibt einen kritischen und unabhängigen Journalismus. Die Redaktions-Mailadresse lautet redaktion@kath.ch.


Thomas Pfeifroth | © Sergo Kurtanidze
18. September 2023 | 12:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!