Bischof Joseph Bonnemain bei seiner Ansprache anlässlich der Bischofsweihe am 19. März 2021 in der Kathedrale in Chur.
Schweiz

Monika Schmid: Bischof Joseph Bonnemain soll mutiger werden

Die Theologin Monika Schmid wünscht sich vom Churer Bischof Joseph Bonnemain mehr Klartext, weniger fromme Worte. Und sie fordert auch mehr Mut in Basel und St. Gallen, vermutet aber: «Felix Gmür will noch Karriere in Rom machen.»

Raphael Rauch

Was hatten Sie am 15. Februar 2021 für ein Gefühl, als bekannt wurde: Joseph Bonnemain wird Bischof von Chur?

Monika Schmid*: Ich war sehr erleichtert und habe mir gedacht: Jetzt beginnt eine neue Ära. Ich war froh und hoffnungsvoll. Aber mir war auch klar, dass sich nicht viel ändern wird.

Monika Schmid
Monika Schmid

Warum war Ihnen das klar?

Schmid: Joseph Bonnemain ist ein wunderbarer Mensch. Ich schätze ihn sehr. Er ist sehr liebenswürdig, sehr freundlich, sehr zugewandt als Person. Aber auch Joseph Bonnemain ist ein Kind seiner Zeit. Er ist 73 und wurde Jahrzehnte vom Opus Dei geprägt. Und es zeigt sich: Als Bischof rutscht er schnell ab in fromme, schöne Worte, die für konkrete Veränderungen wenig hilfreich sind.

Kurienkardinal Kurt Koch weiht Joseph Bonnemain zum Bischof.
Kurienkardinal Kurt Koch weiht Joseph Bonnemain zum Bischof.

Zum Beispiel?

Schmid: Ich habe das Interview gelesen, dass Joseph Bonnemain über den neuen Jugendrat gegeben hat. Ihm wird die Frage gestellt: «Was heisst das konkret für Mitarbeitende, die eine Missio brauchen, aber geschieden oder queer sind?» Und der Bischof antwortet: «Wir dürfen einen Menschen nicht auf sein Empfinden reduzieren. Etwas anderes ist das Verhalten oder die Lebenspraxis.» Und dann spricht er vom Evangelium und dass das Evangelium kohärent mit dem Leben gestaltet werden muss. So eine Schwurbelei nervt mich. Was sagt er nun wirklich damit aus?

«Mit dem Evangelium hat so etwas doch nichts mehr zu tun.»

Früher hätte es im Bistum Chur ein klares Nein gegeben. Ist eine mehrdeutige Antwort, die Spielraum schafft, kein Fortschritt?

Schmid: Im Bistum Chur sind wir so zermürbt von den letzten Jahren, dass wir schon froh sind, wenn ein Bischof nette Worte an uns richtet. Aber für die Zukunft reicht das nicht. Warum sagt der Bischof nicht einfach: «Niemandem wird die Missio aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder seiner persönlichen Situation verweigert.» Es geht ja nicht nur um queere Menschen, sondern auch um Geschiedene. Ich kenne Theologinnen und Theologen, die lassen ihre Ehe annullieren – nicht, weil sie es wollen, sondern weil sie sonst ihren Job verlieren. Mit dem Evangelium hat so etwas doch nichts mehr zu tun.

15. Februar 2021: Joseph Bonnemain (rechts) mit dem emeritierten Weihbischof Marian Eleganti (links) und dem damaligen Apostolischen Administrator Peter Bürcher (Mitte).
15. Februar 2021: Joseph Bonnemain (rechts) mit dem emeritierten Weihbischof Marian Eleganti (links) und dem damaligen Apostolischen Administrator Peter Bürcher (Mitte).

Bischof Joseph Bonnemain hat ein zerrüttetes Bistum übernommen. Verlangen Sie da nicht etwas viel?

Schmid: Mir ist klar: Er hat keinen einfachen Job. Aber wenn ihm die Hände gebunden sind, weil er sonst Schwierigkeiten bekommt, kann er das doch sagen. Und ich frage mich: Von wem soll er denn ernsthafte Schwierigkeiten bekommen? Doch nicht von Papst Franziskus! Und auch die Mehrheit der Getauften in seinem Bistum steht hinter ihm.

«Ich finde, die Missio gehört abgeschafft oder anders geregelt.»

Ist die Missio ein Machtinstrument?

Schmid: Ja. Ich habe das bei Bischof Vitus Huonder ja selbst erleben müssen. Man kann eine noch so gute Seelsorge machen – wenn’s dem Bischof nicht passt, wird einem das Leben schwer gemacht. Ich finde, die Missio gehört abgeschafft oder anders geregelt. Es wäre ein wunderbares Zeichen, wenn die Beauftragung von der Basis erteilt würde: Wir beauftragen dich für unsere Pfarrei. In der frühen Kirche war das so, dass die Beauftragung von unten kam.

«Warum outen sich Priester nicht mit ihrer Partnerin, ihrem Partner?»

Dürfen sich Priester mehr erlauben als Laien?

Schmid: Für Priester findet man fast immer eine Lösung. Aber es kann nicht sein, dass man mit zwei Ellen misst. Ich verstehe jeden Priester, der sich nicht ans Zölibat hält. Aber ich finde die Priester auch nicht sonderlich mutig. Warum tun die sich nicht zusammen und sagen: Wir outen uns mit unserer Partnerin, unserem Partner. Das könnte eine richtige Revolution werden. Und dann könnte auch nichts passieren – die Bischöfe können sich ja nicht einfach von so vielen Priestern trennen. Aber Nein, die Angst ist einfach zu gross – und darum passiert nichts.

"Liebe gewinnt": Der schwule Seelsorger Meinrad Furrer segnete am 10. Mai 2021 alle Liebenden - auch schwule, lesbische und bisexuelle Paare.
"Liebe gewinnt": Der schwule Seelsorger Meinrad Furrer segnete am 10. Mai 2021 alle Liebenden - auch schwule, lesbische und bisexuelle Paare.

Manchmal äussert sich Bischof Joseph Bonnemain vergleichsweise mutig. Er hat das Nein der Glaubenskongregation zum «Segen für alle» eine «Provokation» genannt.

Schmid: Ja, aber er hat auch gesagt, dass Meinrad Furrers «Segen für alle» auf dem Zürcher Platzspitz eine Provokation war. Und Meinrad Furrer hat als Seelsorger keine Missio. Wie hätte der Bischof reagiert, wenn Meinrad Furrer eine Missio gehabt hätte? Mutig wäre doch, wenn sich Bischof Joseph Bonnemain mit dem Bischof von Basel und St. Gallen zusammentun würde. Die drei Deutschschweizer Bischöfe könnten sagen: Wir machen das jetzt in unseren Bistümern so und fertig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Papst Franziskus drei Schweizer Bischöfe absetzen würde. Aber ich schätze, der Basler Bischof Felix Gmür will noch Karriere in Rom machen und sich daher nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen.

Bischof Felix Gmür und Monika Schmid
Bischof Felix Gmür und Monika Schmid

Bischof Joseph Bonnemain hat im September beim Seelsorgekapitel des Kantons Zürich den Button getragen: «Gleichberechtigung. Punkt. Amen». Daraufhin haben Sie auf Facebook gefordert: Der Bischof «muss liefern und per sofort zwei fortschrittlich denkende Frauen in den Bischofsrat berufen».

Schmid: Das ist bis heute nicht erfolgt. Ich sehe niemanden im Bischofsrat mit einer wirklich liberalen Linie. Diejenigen, die nicht fordern, sondern immer noch geduldig warten, und die Konservativen sind stark vertreten. Die Liberalen überhaupt nicht.

Bischof Joseph Bonnemain mit "Gleichberechtigung. Punkt. Amen"-Button.
Bischof Joseph Bonnemain mit "Gleichberechtigung. Punkt. Amen"-Button.

Was bedeutet es für Sie, wenn ein Bischof den «Gleichberechtigung. Punkt. Amen»-Button trägt?

Schmid: Das ist eine Verpflichtung: Ich würde mich sehr freuen, wenn ich von ihm in seiner Amtszeit wirklich konkrete Schritte in dieser Richtung sehen würde: Zum Beispiel eine Kirche, die jeglicher Angstkultur den Rücken kehrt, damit sich queere Seelsorgende und Geschiedene in einer neuen Partnerschaft outen können, ohne um ihren Job fürchten zu müssen. Oder: Die offizielle Beauftragung zur Taufe und Eheassistenz aller Seelsorgenden in den Pfarreien. Die klare Zusage, dass Spitalseelsorgende in den Alters- und Pflegeheimen die Krankensalbung spenden dürfen. Oder auch nur das klare Zugeständnis: Ich werde mich in meiner Amtszeit für all diese Anliegen stark machen.

«Ich habe keine Lust, über Themen zu diskutieren, die schon vor 50 Jahren diskutiert worden sind.»

Was halten Sie vom synodalen Prozess?

Schmid: Für mich ist das Augenwischerei. Ich habe keine Lust, über Themen zu diskutieren, die schon vor 50 Jahren diskutiert worden sind. Vielleicht wird es am Ende eine Fussnote geben, in der die Möglichkeit eines Diakonates der Frau erwähnt wird. Für solche Diskussionen ist mir meine Zeit zu schade. Es ist alles schon mehrfach gesagt, es braucht jetzt Taten und keine schönen Worte mehr.

Monika Schmid
Monika Schmid

Sie sind 64 und werden bald pensioniert. Was motiviert Sie?

Schmid: Das Evangelium. Die Botschaft Jesu ist grossartig – manchmal habe ich das Gefühl, wir sind als Kirche weit weg vom Evangelium. Mir machen die vielen Menschen in unserer Pfarrei Hoffnung, auch die jungen Menschen, zum Beispiel unsere Ministrantinnen und Ministranten. Ich bin gerne für die Menschen da, speziell auch für Trauernde. Die Kirche als Institution gibt mir keine Motivation.

Was wünschen Sie Bischof Joseph Bonnemain für seine noch mindestens vier verbleibenden Amtsjahre als Bischof?

Schmid: Dass er mutiger wird und sich nicht scheut, mit Frauen wie mir das Gespräch zu suchen. Wir sagen, was viele Menschen denken. Ich bin noch bis Ende August im Amt. Ich würde mich freuen, wenn er sich für ein Gespräch mit mir Zeit nehmen würde. Und dann vielleicht konkrete Zusagen machen würde.

* Monika Schmid (64) ist Gemeindeleiterin der katholischen Kirche St. Martin Illnau-Effretikon, Lindau und Brütten. 2012 erhielt sie den Herbert-Haag-Preis.


Bischof Joseph Bonnemain bei seiner Ansprache anlässlich der Bischofsweihe am 19. März 2021 in der Kathedrale in Chur. | © Keystone
16. Februar 2022 | 14:10
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