Eingang zum Friedhof Forum auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich.
Schweiz

Meditationen über das Abschiednehmen: Ausstellung «You Want it Darker»

Im Friedhof Forum der Stadt Zürich kann noch bis Anfang Juli über das Sterben in Form von Songtexten nachgedacht werden. Mittels Kunstwerken wird versucht, die Lieder von verstorbenen Musikern wie David Bowie erlebbar zu machen.

Sarah Stutte

Zuckend liegt der Zwanzigjährige auf der Bühne. Konzerte wie diese, bei denen der Sänger einfach zusammenbrach, gab es einige. Seit seiner Jugend litt er unter Epilepsie. Seiner Meinung nach die Folgeerscheinungen seines frühen Drogenmissbrauchs. Alt wollte Ian Curtis, Sänger der britischen Post-Punk-Band Joy Division, die ihn in den späten Siebziger Jahren berühmt machte, sowieso nie werden.

Die Ausstellung "You Want It Darker" im Friedhof Forum Zürich.
Die Ausstellung "You Want It Darker" im Friedhof Forum Zürich.

Der Junge aus Manchester hatte den Plan, vor seinem 30. Geburtstag zu sterben, idealisierte und stilisierte deshalb seinen frühen Tod und verletzte sich in seinen starken depressiven Phasen selbst. Mit 23 Jahren erhängte er sich im Jahr 1980 – nach mehreren Selbstmordversuchen – in seiner Wohnung.

Grabsteine in Schwarz-Weiss

Nach seinem Tod bekamen seine düster-verstörenden und dennoch kraftvollen Songtexte nochmals eine andere Bedeutung. So heisst es beispielsweise im Song «Isolation» auf dem zweiten und letzten Album «Closer» auf Deutsch übersetzt: «Mutter, ich habe es versucht, bitte glaube mir. Ich tue mein Bestes. Ich schäme mich der Dinge, die ich durchmachen musste. Ich schäme mich für die Person, die ich bin».

Grabstein vom Friedhof Staglieno in Genua, fotografiert von Anton Corbijn.
Grabstein vom Friedhof Staglieno in Genua, fotografiert von Anton Corbijn.

Das Cover dieses Albums zeigt einen Grabstein vom Friedhof Staglieno in Genua, den der holländische Fotograf Anton Corbijn 1982 für seine Schwarz-Weiss-Serie «Cemeteries» ablichtete. Corbijn begleitete Joy Division eine Zeit lang, fertigte ein ikonisches Porträt in einem U-Bahn-Schacht über sie an und beschäftigte sich in seinem Regiedebüt «Control» 2007 nochmals eingehend mit dem legendären Leadsänger Ian Curtis.

Der Heilige Lazarus

Dieser wiederum bewunderte David Bowie, weshalb Joy Division 1977 erstmals unter dem Namen «Warsaw» auftraten – in Anlehnung an einen Song von Bowie. Auch dieser setzte sich 2016 mit seinem nahenden Tod infolge einer Krebserkrankung auseinander. In der Woche, in der er starb, erschien sein letztes Album «Blackstar».

Bowie im Video zu seinem letzten Song "Lazarus"
Bowie im Video zu seinem letzten Song "Lazarus"

Ein Song darauf, «Lazarus» – in Anlehnung an den biblischen Heiligen, der von Jesus wieder zum Leben erweckt wird – sorgte auch als Video für Aufsehen. Es zeigt einen ausgemergelten David Bowie auf einem Krankenbett, die Augen mit einem Verband verhüllt, auf der Tonspur ist zu hören: «Look up here, I’m in heaven. I’ve got scars that can’t be seen.» (Schau her, ich bin im Himmel. Ich habe Narben, die man nicht sehen kann.)

Büro für die letzte Reise

Was haben nun Curtis, Corbijn und Bowie mit dem Friedhof Forum Zürich gemeinsam? Sie alle und ihre Texte sind Thema in der aktuellen Ausstellung «You want it darker – Songs über den nahenden Tod». Seit mehr als zehn Jahren setzt sich das «Büro für die letzte Reise» einmal jährlich auf diese Art und Weise künstlerisch und überkonfessionell mit dem Sterben und dem Tod auseinander und stellt dazu in drei Räumlichkeiten aus.

Totenköpfe in der ehemaligen Aufbahrungshalle des Friedhof Sihlfeld.
Totenköpfe in der ehemaligen Aufbahrungshalle des Friedhof Sihlfeld.

«Wie gehen die Musikerinnen und Musiker, die in der Jugendkultur gross geworden sind, damit um, dass sie nun langsam altern? Oder diejenigen, die krank sind und bald sterben sowie jene, die sich suizidieren und wissen, dass sie nicht so lang leben werden», gibt Reto Bühler, der Leiter des Friedhof Forum der Stadt Zürich zu bedenken.

Alben als Testament

Diese Fragen waren ausschlaggebend für die Idee zu der Ausstellung, die Bühler zusammen mit dem deutschen Kulturjournalisten Max Dax realisierte. «Er ist ein alter Bekannter von mir, war lange Chefredaktor des Musikmagazins Spex. Ich selbst habe früher für Schallplattenfirmen gearbeitet. So sind wir darüber ins Gespräch gekommen», erklärt der Friedhof Forum-Leiter.

Reto Bühler vor dem Regal mit den Platten, die angehört werden können.
Reto Bühler vor dem Regal mit den Platten, die angehört werden können.

Im Hinblick auf den nahenden Tod seien die letzten Alben dieser Musikerinnen und Musiker so etwas wie ihr Testament, so Bühler. Neben David Bowie ist da sicher der Country-Sänger Johnny Cash zu nennen, der kurz vor seinem Ableben noch ein Requiem in eigener Sache mit «When the Man Comes Around» veröffentlichte. Oder Leonard Cohens letztes Album «You Want it Darker», das der Ausstellung seinen Namen gibt.

Sichtbarmachung vom Unsichtbaren

Doch wie lässt sich die eigene Sterblichkeit in der Pop- und Rockmusik in eine greifbare Form übersetzen und als Ausstellung erlebbar machen? «Das ist eine Herausforderung. Die Kunst der Musikerinnen und Musiker, der Sängerinnen und Sänger ist eine unsichtbare Kunst. Musik ist schwer beschreibbar, kaum darstellbar und damit vielleicht die abstrakteste Kunstform überhaupt. In diesem Sinne widmet sich die Ausstellung der Quadratur des Kreises, dem Sichtbarmachen von etwas Unsichtbarem», erklärt Reto Bühler.

Der Plattenspieler darf benutzt werden.
Der Plattenspieler darf benutzt werden.

Am einfachsten gelingt dies noch mit dem Plattenspieler, der im ehemaligen Obduktionszimmer des Friedhofs Sihlfeld aufgestellt ist. Hier, wo sich heute das Büro des Friedhof Forums befindet, können die Platten der schon genannten, verstorbenen Musiker angehört werden – und weiteren wie Bob Dylan, Scott Walker oder der noch lebenden Sängerinnen Patti Smith und Joni Mitchell.

Erfahrung auf zweiter Ebene

Einen Raum davor – in der hohen und früheren Aufbahrungshalle – finden sich die Fotografien von Corbjin und weitere Werke. Plastische von Künstlern wie dem deutschen Maler und Bildhauer Thomas Scheibitz, dem französischen Fotokünstler Julien Lescoeur, der deutschen bildenden Künstlerin Bettina Scholz und der Schweizer Bildhauerin Nora Fehr.

Vor den Fotografien von Corbijn - das Metallobjekt von Bettina Scholz.
Vor den Fotografien von Corbijn - das Metallobjekt von Bettina Scholz.

Die Idee dahinter – die Musik auf einer zweiten Ebene erfahrbar zu machen. «Wir haben dazu verschiedene Künstlerinnen und Künstler angefragt, ob sie Patenschaften für einzelne Songs übernehmen wollen und dazu ein Werk schaffen möchten», erklärt Reto Bühler.

So hat Bettina Scholz ein Metallobjekt mit dem Titel «Death is not the End» geschaffen, dass sich mit der Unendlichkeit auseinandersetzt – der passende Song dazu stammt von Bob Dylan. Nora Fehr hat sich unter anderem von der US-Sängerin Joni Mitchell beeinflussen lassen und aus deren Texten monochrome Bilder genäht.

Düstere Werke der Isolation

Der aus einer traditionellen Steinmetz-Familie stammende Thomas Scheibitz hat den gelben Kubus gestaltet, der einem schon vom Eingang aus ins Auge sticht. Er bezieht sich dabei auf Dürers Kupferstich «Melancholia» sowie das Stück «Lullaby» des US-amerikanischen Sängers Scott Walker.

Der gelbe Kubus von Thomas Scheibitz zu Scott Walkers "Lullaby".
Der gelbe Kubus von Thomas Scheibitz zu Scott Walkers "Lullaby".

Der Fotograf Julien Lescoeur wiederum hat sich Joy Division angenommen und auf spezielles Papier gedruckte, düstere Werke geschaffen, die der Isolation, dem Todesbewusstsein und der Entfremdung in Curtis Texten Ausdruck verleihen.

Fragebogen zum Leben und Sterben

Damit die Künstler genügend Zeit hatten, die Werke zu realisieren, sei für die Ausstellung sehr weit im Voraus geplant worden, so Bühler. «Nora Fehr hatte acht Monate Vorlauf. Andere Künstler hatten schon ihre Werke zumindest als Modelle und diese dann abgewandelt oder ergänzt», sagt der Leiter des Friedhof Forum. Auch die Wände seien für die Ausstellung speziell gebaut und gestrichen worden.

Ein "Nähbild" von Nora Fehr zu einem Text von Joni Mitchell.
Ein "Nähbild" von Nora Fehr zu einem Text von Joni Mitchell.

Begleitend zur Ausstellung hat das Friedhof Forum einen 140-seitigen Katalog in Deutsch und Englisch herausgebracht. Dieser setzt sich in ausführlichen Interviews mit den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern sowie den gezeigten Kunstwerken auseinander und gibt Einblick in ihre musikalischen Beweggründe. Den Abschluss bildet ein Fragebogen zum Leben und Sterben von und mit Dieter Meier von der Schweizer Band Yello.

Die Songs der einzelnen Musikerinnen und Musiker wurden von Max Dax zu einer Playlist auf Spotify zusammengestellt. Die Ausstellung kann noch bis zum 11. Juli immer Dienstag bis Donnerstag und Sonntag von 13.30 Uhr bis 17.30 Uhr besucht werden. Der Eintritt ist gratis. (sas)

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Eingang zum Friedhof Forum auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich. | © Sarah Stutte
5. April 2024 | 15:30
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