Martin Rhonheimer, Philosoph.
Zitat

Martin Rhonheimer: «Islamismus und politischer Islam sind Islam in Reinkultur»

Jede Religion kann politisch und gewalttätig werden, wenn sie sich mit politischen Interessen verbindet. Diese Ansicht vertritt Martin Rhonheimer. Den Islam sieht er jedoch «strukturell gefährdet» – nicht so das Christentum. Denn für den Islam sei die Einheit von Religion, Recht und sozialer Ordnung und das damit verbundene öffentliche Gewaltmonopol Ursprung und Wesensmerkmal.

«Religionen können jedoch auch intrinsisch politisch sein. Genau hier unterscheiden sich Christentum und Islam grundsätzlich: Der Islam ist eine im eigentlichen Sinne «politische Religion»: Er ist als Religion auch ein Rechts- und Gesellschaftssystem; mit der Scharia etabliert er eine politisch-rechtliche und soziale Ordnung. Anders das Christentum: Dieses versprach von Anfang an allein und ausschliesslich einen Weg zum ewigen Heil und vertritt gerade deshalb eine klare Arbeitsteilung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt. Die antik-christliche Zivilisation leitete zudem ihr Rechtssystem nicht aus ihren Heiligen Schriften ab, sondern behielt das bisherige römische Recht bei.

Ein eigenes Recht

Zugegeben: Auch die christliche Kirche gestaltete aufgrund ihrer Lehre der Suprematie des Geistlichen über das Weltliche im Laufe der Geschichte politische Ordnungen mit. Sie identifizierte sich aber nie endgültig mit einer bestimmten politischen Ordnungsform und entwickelte auf der Grundlage des römischen ihr eigenes, das kanonische Recht.

Aufgrund der ursprünglich-christlichen Trennung von Religion und Politik, von geistlicher und weltlicher Gewalt – «Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser, und Gott, was Gott gehört» –, konnte sie ihre Vermischungen mit den irdischen Gewalten immer wieder mit Berufung auf ihre Ursprünge korrigieren, oft unter dem Druck von Reformbewegungen aus ihrem eigenen Innern. Für den Islam jedoch ist gerade die Einheit von Religion, Recht und sozialer Ordnung und das damit verbundene öffentliche Gewaltmonopol Ursprung und Wesensmerkmal. «Islamismus» und «politischer Islam» sind keine extremen Sonderformen des Islam, sondern Islam in Reinkultur.

Allerdings kann jede Religion politisch und gewalttätig werden, sobald sie sich mit politischen Interessen verbindet – etwa mit solchen nationalistischer Art. Im Verbund mit Nationalismus wird Religion leicht gewalttätig, oder besser: Nationalismus wird genau dann besonders aggressiv und gewalttätig, wenn er sich religiös legitimiert. Politik verbindet sich dann mit religiös-kulturellen Totalitätsansprüchen und ist bereit – sei es im Namen des Kreuzes oder im Namen Allahs –, buchstäblich über Leichen zu gehen.

Eine politische Religion

Als von seinem Wesen und Ursprung her politische Religion ist der Islam in dieser Hinsicht gleichsam strukturell gefährdet. Da es ihm vornehmlich um die Ausweitung seines Herrschaftsgebietes – «Haus des Islam» genannt – und weniger um die innere Konversion der Beherrschten geht, tolerierte er zwar im Laufe der Geschichte Juden und Christen als «Schutzbefohlene» (Dhimmi), eine Art Bürger zweiter Klasse. Aufgrund seiner politischen Logik führte dies schliesslich jedoch fast überall zu deren Vertreibung oder Ausrottung.

Anzeige ↓ Anzeige ↑

Das lässt die These plausibel werden, das palästinensische Nationalbewusstsein habe nur insofern zum mörderischen Gegner eines jüdischen Staates werden können, als es mit dem religiösen Anspruch des Islam als einer intrinsisch politischen Religion verbunden war. Die politische, nicht die religiöse Komponente, sofern diese beim Islam überhaupt unterscheidbar sind, begründet demnach den Konflikt. Genährt vom rassistischen Judenhass der Muslimbrüder macht die Verbindung von Islam und palästinensischem Nationalismus die Hamas besonders gefährlich und generierte so die im letzten Oktober sich manifestierende brutale Gewalt.»

Ein Ausschnitt aus einem Beitrag von Martin Rhonheimer in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom Montag. Darin erörtert der katholische Priester den Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt. Rhonheimer lehrte von 1990 bis 2020 Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom. Er ist Mitglied des Opus Dei.


Martin Rhonheimer, Philosoph. | © zVg
5. Februar 2024 | 11:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!