Dominique Page, Marie-Louise Beyeler und Thomas Uhland und  auf der BEA
Schweiz

Marie-Louise Beyeler: «An der BEA geht die Kirche zu den Menschen»

Seit 31 Jahren sind die Berner Landeskirchen an der Frühjahrsausstellung BEA mit einem eigenen Stand vertreten. Im Gespräch mit kath.ch berichten die Präsidentin der Landeskirche Bern, Marie-Louise Beyeler, der Kommunikationsleiter Thomas Uhland und die Koordinatorin Dominique Page, von ihren Eindrücken.

Annalena Müller

Die BEA ist eine Ausstellung für Gewerbe, Landwirtschaft und Industrie. Warum haben die Berner Landeskirchen hier einen Stand?

Marie-Louise Beyeler*: Die meisten Menschen denken: Wer an die BEA geht, der geht «Säuli schauen» oder möglichst viel essen und trinken. Allerdings hat sich die BEA in den letzten Jahrzehnten zu einer sehr beliebten und grossen Publikumsmesse entwickelt, die ein grosses und diverses Publikum anspricht. Hier geht Kirche zu den Menschen.

Und gehen die Menschen an der BEA auch zu Kirche?

Thomas Uhland**: Sehr viele sogar! 2022 haben wir Zahlen erhoben. Da wurden etwas mehr als 300’000 Eintritte verkauft. An unseren Stand kamen letztes Jahr gut 30’000 Menschen – einer von zehn!

Der Stand der Berner Landeskirchen an der BEA ist gut frequentiert
Der Stand der Berner Landeskirchen an der BEA ist gut frequentiert

Das ist viel – wie erklären Sie sich diese Zahlen?

Beyeler: Hier an der BEA geht man zu den Kirchen. Ohne dafür in eine Kirche gehen zu müssen. Unser Stand ist eine kleine Oase – wir haben Tische und Spielecken für Kinder. Man kann hier einfach sein, ohne etwas kaufen zu müssen.

Uhland: Die Selfiebox, bei der man in eine biblische Szene eintauchen kann, ist auch seit vielen Jahren ein Magnet für junge und junggebliebene Menschen.

Ansonsten ist die BEA ja vor allem Konsum

Beyeler: Man kann hier alles kaufen – vom Säuli bis zum Staubsauger.

Schaffen die Landeskirchen hier einen Alternativort zum Konsum?

Beyeler: Das ist insofern richtig, als dass wir einen Ort bieten, der für alle offen ist. Ein Ort, der täglich geöffnet ist. Hier kann man zur Ruhe kommen und spirituelle Nahrung finden – im Gegensatz zu der an der BEA reichlich vorhandenen materiellen Nahrung.

Die Menschen strömen schon am Morgen zur BEA
Die Menschen strömen schon am Morgen zur BEA

Mit welchen Fragen kommen die Menschen auf Sie zu?

Dominique Page:*** Die Menschen kommen oft mit ganz einfachen Fragen. Das reicht von «Darf ich mir einen Apfel nehmen?», hin zu «Ist jemand da, der kurz mit mir beten würde. Es geht mir nicht gut.» Wir sind mit Fachpersonal – reformierte, katholische und christkatholische Seelsorgende – vor Ort. Und die führen mitunter sehr lange Gespräche mit Menschen, die einfach hilfesuchend sind…

… und Menschen nutzen die BEA, um Hilfe bei den Kirchen zu suchen?

Page: Ja. Es ist anonymer hier und die Hemmschwelle ist niedriger. Wir sind zugänglich. Man kann bei uns vorbeikommen, während man gerade über die BEA läuft. Oftmals haben die Menschen auch den Kontakt zur Kirche am Wohnort verloren und wissen nicht, an wen sie sich dort wenden sollen. Wenn der Wunsch besteht, dann stellen wir diese Kontakte für sie her, damit sie weiter betreut werden können.

Sind auch die aktuellen Diskussionen ein Thema? Stichwort: Missbrauchsfälle. Oder auch die Reformfragen: Frauen in der Kirche und der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen?

Beyeler: Es sind weniger die grossen Themen, die hier angesprochen werden. Es geht meist um persönliche Verletzungen. Die Menschen wagen es hier, Dinge auszusprechen, die sie sich sonst nicht zu sagen trauen. Dinge, die ihnen aber dennoch auf der Seele brennen.

Zum Beispiel?

Beyeler: Oft bekommt man zum Beispiel die Gründe genannt, die zu einem Kirchenaustritt geführt haben.

Uhland: Meine Erfahrung deckt das. Die Menschen stossen sich eher an alltäglichen Themen, die sie betreffen. Wenn sie unfreundlich empfangen werden beispielsweise.

Thomas Uhland im Gespräch mit einer BEA-Besucherin
Thomas Uhland im Gespräch mit einer BEA-Besucherin

Beyeler: Ja, das fällt mir auch auf. Austrittsgründe haben in der Regel mit persönlichen Verletzungen zu tun. Mit dem Gefühl nicht verstanden, nicht gesehen zu werden oder vor verschlossenen Türen zu stehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Beyeler: Gestern habe ich ein Gespräch geführt, das dafür typisch ist. Da war ein Mann, der nach einer Seelsorgerin verlangte. Und ich war zufälligerweise da. Er wollte seine Gedichte zeigen. Er findet einfach kein Ohr, niemand, der ihm mal sagt: «So schön, danke.» Und weil er findet, dass Frauen sensibler seien, wollte er mit einer Frau sprechen.

Was haben Sie ihm gesagt?

Beyeler: Er hat dann in einem alten, etwas schmuddeligen Ordner seine Gedichte gezeigt. Ich habe sie mit ihm gelesen und ihm gesagt: «Sie sind gesegnet mit einer Gabe, Ihre Spiritualität in Worten ausdrücken zu können.» Das hat ihn unglaublich berührt. Er musste so etwas einfach einmal hören. Wahrscheinlich erfährt er sonst vor allem Ablehnung.

Wie können die Kirchen das Bedürfnis der Menschen, gehört zu werden, ausserhalb der BEA integrieren?

Beyeler: Vielleicht müssten die Kirchen auch im Alltag mehr rausgehen. Wir könnten uns zum Beispiel überlegen, in Einkaufszentren präsent zu sein. Dort kann man auch zu den Menschen gehen und ihnen anzubieten: kommt rein, ruht euch aus. Wir sind da, wenn ihr reden wollt.

Bernhard Jungen und die «Unfassbar» - ein Fahrrad mit Bierfass. Er ist dieses Jahr Gast der Berner Landeskirchen
Bernhard Jungen und die «Unfassbar» - ein Fahrrad mit Bierfass. Er ist dieses Jahr Gast der Berner Landeskirchen

Page: Ein gutes Beispiel dafür ist die «Unfassbar» von Bernhard Jungen, der während der BEA bei uns zu Gast ist. Jungen ist Pfarrer. Und er ist mit seiner «Unfassbar» – ein Fahrrad mit Bierfass – in den Strassen von Basel unterwegs. Dort schenkt er Bier aus. Und hört zu. Er holt die Menschen dort ab, wo sie gerade sind. Solche Projekte können den Menschen zeigen – schau, ich bin für dich da.

Uhland: Es ist erstaunlich, wie die «Unfassbar» hier an der BEA vor allem Männer anzieht. Mal reden sie über Fussball, mal über Probleme. Ich glaube, wir müssen Kirche offener denken. Dann kommen die Menschen auch.

* Die Theologin Marie-Louise Beyeler (68) ist Präsidentin der Landeskirche Bern und Mitglied der Steuerungsgruppe «Weg der Erneuerung» im Bistum Basel.

** Thomas Uhland (64) ist der Kommunikationsverantwortlicher der Landeskirche Bern.

*** Dominique Page (37) organisiert und koordiniert den Kirchenstand an der BEA.


Dominique Page, Marie-Louise Beyeler und Thomas Uhland und auf der BEA | © Annalena Müller
5. Mai 2023 | 15:11
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