Martina Bär
Schweiz

«Maria könnte ein Bezugspunkt im interreligiösen Dialog sein»

Wien/Bern, 29.8.17 (kath.ch) Martina Bär von der Katholischen Kirche Region Bern besuchte vom 23. bis 25. August die internationale Konferenz der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen in Wien. Im Interview mit kath.ch, erzählt die Theologin, wie sie dank einer muslimischen Frauenforscherin an der Tagung einen neuen Blick auf Maria, die Mutter Jesu, bekommen hat.

Sylvia Stam

Warum standen an der diesjährigen Konferenz der europäischen Theologinnen Migrantinnen im Zentrum? 

Martina Bär*: Die Tagung hat Grenzüberschreitungen als Konferenzthema gewählt und wollte ausloten, inwiefern Migration für Europa eine Bereicherung sein kann. Sie wollte der Angst vor Überfremdung etwas entgegensetzen und dabei vor allem die Frauenperspektive einnehmen.

Die Tagung wollte ausloten, inwiefern Migration für Europa eine Bereicherung sein kann.

Wie zeigte sich die Frauenperspektive konkret?

Bär: In einem Vortrag wurde darauf hingewiesen, dass die authentische Stimme der Migrantinnen in Europa und anderswo kaum eine Rolle spielt. Wenn sie in den Medien sichtbar sind, dann oft als verschleierte Frauen. Oder es wird über Frauen berichtet, denen Gewalt angetan wurde. Aber man ist in den Medien kaum eine authentische Frauenstimme zu vernehmen, die erzählt, was Migration für sie bedeutet.

Die Apostolin Junia erfuhr in der Überlieferung eine «literarische Geschlechtsumwandlung».

War eine solche authentische Stimme einer Migrantin denn an der Tagung zu hören?

Bär: Leider nicht direkt. Aber in einem Workshop erzählte eine italienische Forscherin davon, dass sie Migrantinnen in Italien befragt hat, inwiefern die Migration ihre Religiosität unterstützt hat. Sie kam zum eindeutigen Resultat, dass die Migrationserfahrung, also das Leben in einer neuen Umgebung, das Vertrauen der Migrantinnen in Gott gestärkt hatte. Man würde eher Zweifel an Gott oder Konflikte mit Gott erwarten, aber bei den befragten Frauen war es vielmehr so, dass sie sich in einem fremden Land umso mehr auf Gott stützten. Migration kann die Gottesbeziehung erneuern und vertiefen.

Migration kann die Gottesbeziehung vertiefen.

Waren an der Tagung auch nichtchristliche Referentinnen?

Bär: Ja, zum Beispiel Zilka Spahic-̕Siljak, eine aus Bosnien stammende muslimische Frauenforscherin vom Clayman-Institut für Genderforschug. Sie referierte über die wichtige Rolle der Jesus-Mutter Maria im Koran: Sie ist die einzige Frau, die beim Namen genannt wird, und zwar 33-mal, und sie wird als Glaubensvorbild dargestellt. Maria könnte somit eine Brücke für den christlich-islamischen Dialog darstellen.

Sie sind bei der Fachstelle «Kirche im Dialog» der katholischen Kirche Bern tätig. Was nehmen Sie konkret von der Tagung mit für Ihre tägliche Arbeit?

Bär: Der Vortrag der bosnischen Muslimin über die Mutter Maria als Brückenfigur hat mich am meisten berührt. Maria ist für viele Christinnen ja nicht unbedingt ein Vorbild, weil sie von der Kirche zum Idealbild der jungfräulichen Frau hochstilisiert wurde. Wenn man von einer Muslimin einen anderen Blick auf diese biblische Figur vermittelt bekommt, könnte das ein interessanter Weg im interreligiösen Dialog sein. Ich arbeite von der Fachstelle bei der Katholischen Kirche Region Bern aus in verschiedenen Gremien und Kontexten mit, die sich um interreligiösen Dialog bemühen, auch im Haus der Religionen in Bern. Im interreligiösen Dialog erlebe ich es als wichtig, gemeinsame Bezugsgrössen zu finden, worauf man sich auch in der Glaubenspraxis beziehen kann. Maria kann so ein gemeinsamer Bezugspunkt sein.

An der Tagung ging es auch um biblische Themen. Was hat Sie aus diesem Bereich besonders angesprochen?

Bär: Im Vortrag der katholischen Theologin Marlis Gielen, Professorin an der Universität Salzburg, ging es um die Position der Frauen im Urchristentum. Man weiss vom Schicksal der Apostolin Junia, die im Verlaufe der Überlieferungsgeschichte eine «literarische Geschlechtsumwandlung» erfuhr und zu Junius umbenannt wurde. Anhand des Bibeltextes hat die Referentin nachgewiesen, dass diese Junia für den Apostel Paulus eine grössere Apostolin war als er selbst. In der Traditionsgeschichte der römisch-katholischen Kirche ging diese Wertschätzung völlig unter.

Man müsste erforschen, welche Positionen die Frauen im Frühen Christentum innehatten.

Aber die letztes Jahr erschienene neue Einheitsübersetzung der Bibel hat Junius ja durch Junia ersetzt.

Bär: Auf textkritischer Ebene hat man das aufgearbeitet. Nun müsste man mit den Methoden der Kirchengeschichte genauer erforschen, welche Positionen die Frauen im Frühen Christentum innehatten und wie sich das im Verlauf der Jahrhunderte verändert hat. Mit dem Argument der Tradition werden in der katholischen Kirche Frauen immer wieder von Ämtern ausgeschlossen. Die Kirche sagte bislang, es habe zwölf Apostel gegeben und diese seien Männer gewesen. Wenn Paulus diese Junia jedoch als noch grössere Apostolin verehrt, als er selber einer ist, dann heisst das, dass im Urchristentum das Geschlechterarrangement anders gehandhabt wurde. Man müsste historisch-kritisch genau nachforschen, wann die Brüche eingetreten sind und warum sich plötzlich eine Tradition entwickelt hat, die nur noch Männer in Leitungsaufgaben zugelassen hat.

*Martina Bär habilitiert in systematischer Theologie mit einem Forschungsprojekt über Religion in spätmodernen Grossstädten und arbeitet als Theologische Fachmitarbeiterin für interreligiösen Dialog sowie Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung der Katholischen Kirche Region Bern.

Martina Bär | © zVg
29. August 2017 | 14:28
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Europäische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen

Vom 23. bis 25. August fand in Wien die internationale Konferenz der «Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR)»  statt. Dies ist ein Netzwerk für Wissenschaftlerinnen im Bereich Theologie, Religionswissenschaften sowie benachbarter Gebiete. Die internationalen Konferenzen finden alle zwei Jahre zu einem aktuellen feministisch-theologischen Thema statt. Dieses Jahr ging es um «Translation – Transgression – Transformation» (Übersetzung, Übertretung, Veränderung). Konkret ging es um Grenzsituationen in biblischen, ethischen und interreligiösen Bereichen. Im Zentrum stand das Thema der Migration und die Rolle der Religion im Migrationskontext. An der Tagung nahmen rund 130 Frauen aus ganz Europa und den USA teil. (sys)