Theologe Peter Kirchschläger und Medienwissenschaftler Matthias Zehnder
Schweiz

Künstliche Intelligenz funktioniert wie eine wiederkäuende Kuh oder ein Papagei

Künstliche Intelligenz und ihr Einfluss auf die Kirchen: Im Podcast «Laut + Leis» debattieren Peter G. Kirchschläger, Professor für Theologische Ethik an der Universität Luzern, und der Medienwissenschaftler Matthias Zehnder über KI. Sie sprechen über Chancen und Risiken, wie KI reguliert werden kann und welche Rolle die Kirchen übernehmen sollen.

Sandra Leis

Alle reden inzwischen über künstliche Intelligenz (KI) und Chat-GPT. Die einen befürchten den Weltuntergang und warnen vor Massenarbeitslosigkeit, Diskriminierung und einer massiven Zunahme von Falsch-Informationen. Andere sehen das Paradies nahen und preisen den technischen Fortschritt. Die NZZ titelte kürzlich: «Die künstliche Intelligenz macht die Medizin besser».

Chat-GPT ist ein Text-Generator, der unglaublich schnell arbeitet. Bittet man ihn beispielsweise darum, Papst Franziskus zu porträtieren, so schreibt er eine Unmenge von Sätzen wie «Franziskus hat die Herzen vieler Menschen auf der ganzen Welt berührt, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit.» Oder: «Er verzichtet auf den päpstlichen Prunkt und lebt ein einfaches Leben.»

«Wir über- und unterschätzen Chat-GPT»

Matthias Zehnder, Medienwissenschaftler

Auf die Frage, was KI genau ist, antwortet der römisch-katholische Theologe und Philosoph Peter G. Kirchschläger im Podcast «Laut + Leis»: «Bei Chat-GPT sehe ich vor mir eine wiederkäuende Kuh. Weil Chat-GPT Sprache, Wortschöpfungen, Formulierungen und Gedanken, die schon einmal gedacht worden sind, wiederkäut und ausspuckt.»

Peter G. Kirchschläger
Peter G. Kirchschläger

Medienwissenschaftler Matthias Zehnder, der auch für die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Basel-Stadt arbeitet, vergleicht die KI mit einem sehr eloquenten Papagei. «Das Gefährliche ist, dass wir die KI gleichzeitig über- und unterschätzen», sagt Zehnder.

Überschätzen, weil wir verblüfft seien, wie leistungsfähig die Textgeneratoren sind. «Wir überschätzen Chat-GPT in ihrem Denkvermögen. Und wir unterschätzen sie in ihren Auswirkungen auf die Arbeit und unseren Alltag.»

Medienwissenschaftler Matthias Zehnder
Medienwissenschaftler Matthias Zehnder

Künstliche Intelligenz ist eine Blackbox: Denn anders als bei herkömmlichen Maschinen und Robotern weiss man bei der KI nicht genau, was rauskommt. Künstliche Systeme lernen von sich aus. Das kann gut und kreativ, aber auch gefährlich sein.

Lässt sich die technische Entwicklung stoppen? Goethes Zauberlehrling ist es nicht gelungen. Namhafte KI-Forscherinnen und -Forscher forderten Ende März in einem Brief mit mehr als 3000 Unterschriften ein Moratorium. Durchgesetzt wurde es nicht, doch es besteht weitgehend Konsens, dass es Regulierungen braucht.

Eine internationale Agentur bei der UN soll es richten

Peter G. Kirchschläger, Professor für Theologische Ethik an der Universität Luzern und Leiter des Instituts für Sozialethik ISE, zieht einen Vergleich zur Pharma-Industrie: «Sie kann nichts ungeprüft auf den Markt werfen. Auch für die KI braucht es einen streng regulierten Zulassungsprozess.» Und: «Wir müssen sicherstellen, dass die Menschenrechte durchgesetzt werden.»

Er fordert eine internationale Agentur für datenbasierte Systeme IDA bei der UN: «Ich glaube, dass wir fähig sind, technisch Machbares nicht einfach blind zu verfolgen, wenn wir sehen, dass wir der Menschheit schaden. Im Bereich der Nukleartechnologie haben wir diese Fähigkeit bereits bewiesen.»

Haftung als entscheidender Faktor

Skeptisch in Bezug auf Regulierung ist hingegen Medienwissenschaftler Matthias Zehnder: «Ich glaube nicht, dass das kommen wird, weil die grossen Blöcke China und USA sich heute sehr feindlich gegenüberstehen.» Was bremsen wird, sei die Frage nach der Haftung: «Wenn’s teuer wird, macht keine Firma weiter.»

Das sehe man beispielsweise bei den selbstfahrenden Autos. «Da sind die Aussichten dramatisch zurückgegangen. Ich würde den Auswirkungen auf den Geldbeutel etwas mehr vertrauen als internationalen Moratorien.»

Roboter steckt Hand helfend aus
Roboter steckt Hand helfend aus

Auch Religionen und Gläubige nutzen die Digitalisierung rege: Es gibt Apps, die für Menschen beten. Es gibt spirituelle Podcasts und sogenannte Sinn-Fluencer, die ihren Alltag als gläubige Christen dokumentieren. Und zum 500-Jahre-Jubiläum der Reformation ist ein Roboter entwickelt worden, der Menschen segnet. Ein solcher Roboter stand beispielsweise in der Stadtkirche Winterthur.

Seelenlose Predigten

Von derartigen Robotern halten weder Peter G. Kirchschläger noch Matthias Zehnder etwas, weil der Roboter ja nicht wisse, was er mache. «Er könnte genauso gut eine Ohrfeige verteilen», sagt Kirchschläger. Auch von Chat-GPT generierte Predigten lehnen beide ab, weil sie seelenlos seien. Dem Priestermangel in der römisch-katholischen Kirche müsse und könne man theologisch fundiert anders begegnen, so Kirchschläger.

Künstliche Intelligenz auf dem Prüfstein.
Künstliche Intelligenz auf dem Prüfstein.

Einig sind sich Zehnder und Kirchschläger in der Frage, welche Rolle die Kirchen in Bezug auf KI übernehmen sollen: Sie sollen sich einbringen ins Gespräch über die datenbasierten Systeme und die digitale Transformation. «Die Kirchen haben die Chance und auch die Kompetenz, Menschen im Umgang mit Ungewissheit zu begleiten», sagt Peter G. Kirchschläger.

Leseempfehlungen:
Matthias Zehnder: Die digitale Kränkung. Über die Ersetzbarkeit des Menschen, 127 Seiten, NZZ Libro 2019.

Peter G. Kirchschläger: Digital Transformation and Ethics. Ethical Considerations on the Robotization and Automation of Society and the Economy and the Use of Artificial Intelligence, 537 Seiten, Nomos 2021.


Theologe Peter Kirchschläger und Medienwissenschaftler Matthias Zehnder | © Sandra Leis / kath.ch
9. Juni 2023 | 09:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Neuer Masterstudiengang Ethik

Die Universität Luzern bietet ab Herbst 2023 ein neues geisteswissenschaftliches Masterstudium «Ethik» an. Es dauert zwei Jahre und kann auch berufsbegleitend absolviert werden. Das Studium ermöglicht u.a. eine Spezialisierung in Ethik der digitalen Transformation und Ethik der künstlichen Intelligenz. (sl)

www.unilu.ch/master-ethik