Der Schweizer Theologe Konrad Schmid
Schweiz

Konrad Schmid: Mich erinnert die Serie sehr an «Ben Hur»

Seit dem 27. März läuft auf Netflix die dreiteilige Serie «Testament: Die Geschichte des Moses». Diese findet Konrad Schmid vom Theologischen Seminar der Universität Zürich «zwar bibeltreu, aber mehr Wilhelm Tell, als historisch fundiert».

Sarah Stutte

Konrad Schmid*: Weil mir die erste Folge schon nicht sonderlich gefallen hat. «Testament: Die Geschichte des Moses» ist eine seltsame Mischung zwischen einem Sandalenfilm à la «Die zehn Gebote» von Cecil B. DeMille aus dem Jahr 1956 und einer Wissenschaftsdokumentation mit verschiedenen Experten, die man interviewt hat. Es fehlt der übergreifende Rahmen.

«Die Expertenmeinungen sind für mich das Hauptproblem.»

Persönlich fand ich manche Überlegungen aus den verschiedenen Religionen interessant. Was ist Ihre Meinung dazu?

Schmid: Die Expertenmeinungen sind für mich das Hauptproblem. Die sogenannten «Talking Heads» erwecken mit ihren Kommentaren den Eindruck, dass die dramatische Handlung der Serie historisch zuverlässig sei. Doch diese Einspielungen stammen nicht von Historikerinnen und Historikern, sondern meistens von Menschen aus kirchlichen und religiösen Gemeinschaften, die ein geistliches Amt innehaben.

Was bedeutet das für die Serie?

Schmid: Dass sie sich allein mit der biblischen und literarischen, nicht der geschichtlichen Figur des Moses beschäftigt. Vom historischen Mose weiss man fast nichts. Nur, dass es ihn offenbar gegeben hat, weil er einen ägyptischen Namen hat. Wenn man ihn später im Judentum erfunden hätte, wäre ihm sicher ein jüdischer Name gegeben worden.

Die neue dreiteilige Netflix-Serie erzählt vom Leben des Propheten Moses.
Die neue dreiteilige Netflix-Serie erzählt vom Leben des Propheten Moses.

An zwei Stellen in der Bibel heisst es zudem, dass Mose eine Ausländerin geheiratet hat – Zippora, die Tochter des Priesters Jitro von Midian, beziehungsweise eine Kuschitin, die namenlos bleibt. Im Judentum nach dem Exil mussten Mischehen aufgelöst werden. Auch dieser Erzählzug ist deshalb wahrscheinlich historisch, man hätte ihn kaum erfunden. Alles andere, was die Bibel jedoch über Mose erzählt, ist Literatur und somit mehr Wilhelm Tell als etwas, das historisch verbürgt ist.

«Es wäre mehr Kontext nötig gewesen.»

Die Archäologin Carol Meyers hebt beispielsweise hervor, dass in Exodus, Kapitel 1 und 2 die Frauen, die ägyptischen Hebammen, die Mutter und Schwester Moses und die Pharaonentochter, eine wichtige Rolle spielen. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Frauen zu jener Zeit die Weltgeschichte verändert hätten. Doch das ist die Ansicht der biblischen Autoren, die Jahrhunderte nach Mose geschrieben haben – es handelt sich dabei nicht um geschichtliche Fakten.

Was hat Ihnen noch gefehlt?

Schmid: Es wäre mehr Kontext nötig gewesen. Eine einordnende Stimme, die erklärt, was beispielsweise der Unterschied zwischen einem liberalen und einem orthodoxen Rabbi ist oder was die evangelikale Baptisten-Kirche auszeichnet. Entsprechend bleiben die Expertenstimmen vergleichsweise disparat.

Die Islamwissenschaftlerin Dr. Celene Ibrahim erklärt in der Serie die Bedeutung von Moses im Koran.
Die Islamwissenschaftlerin Dr. Celene Ibrahim erklärt in der Serie die Bedeutung von Moses im Koran.

Zudem sind einige Kommentare auch recht tendenziös. Natürlich wehrt sich Mose gegen Ungerechtigkeit, aber deshalb muss er nicht zwangsläufig der Erfinder sozialer Gerechtigkeit sein, wie einer der Kommentatoren festhält. Genauso gut könnte man sagen, er sei der Erfinder der Lynchjustiz, weil er einen ägyptischen Aufseher erschlägt, der einen jüdischen Volksgenossen auspeitscht.

Im Abspann steht, dass einige der Theologen und Rabbis offenbar auch als Berater der Serie fungierten.

Schmid: Das sieht man der Ausstattung und den Sets auch an, dass hier religiöse Spezialisten und nicht historische Fachpersonen beraten haben. Mich hat das sehr an Kostümfilme wie «Ben Hur» erinnert. Wie Ägypten zu dieser Zeit dargestellt wird, finde ich ein wenig lieblos. Eine historische Fachexpertise, wie der Pharaonenhof ausgesehen haben könnte, oder wer die Midianiter, zu denen Jitro und Zippora gehören, waren, hätte dem Film geholfen.

«Die erzählte Handlung ist recht bibeltreu.»

Hier ist viel Imagination im Spiel. Natürlich muss man nicht auf historische Akkuratesse achten. Jede künstlerische Adaptation kann sich auch von der geschichtlichen Realität entfernen. Dann hätte man die Szenerie aber auch gut in ein postmodernes Setting setzen können.

Wie steht es um den Inhalt. Die biblischen Passagen – Moses Aussetzung auf dem Nil oder die Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai?

Schmid: Die erzählte Handlung ist recht bibeltreu. Gewisse Teile werden allerdings aufgebläht, die im Bibeltext nicht so eine grosse Rolle spielen und andere eingetragen, die so in der Bibel nicht vorkommen. So treibt in der Serie das Bastkörbchen auf dem Nil entlang. In der Bibel platziert die Mutter es im Schilf. Auch bei den Ereignissen auf dem Berg Sinai gibt es Unterschiede.

Moses führt sein Volk durch die Wüste.
Moses führt sein Volk durch die Wüste.

Was Gott dort zu Mose sagt, ist zusammengerafft aus den verschiedenen Stellen im Buch Exodus. Eigentümlich finde ich, dass vom biblischen Gott als Jahve geredet wird. Es ist für das im Film auf Expertenebene repräsentierte orthodoxe Judentum nicht akzeptabel, dass man den Gottesnamen ausspricht. Die Aussage «Ich bin, der ich bin – und der ich sein werde» steht so nicht in der Bibel und wird darin auch nicht auf Mose angewendet. Der Film setzt hier auf heikle Weise Gott und Mose auf eine Ebene.

Welche Information in der Serie haben Sie als weiterführend angesehen?

Schmid: Als Rachel Adelman als Expertin für die Hebräische Bibel erklärt, dass Moses Bastkörbchen auf Hebräisch Tevah, also «Arche» heisst, und damit den gleichen Namen trägt wie Noahs Arche. Beides steht, als biblische Verbindung zwischen diesen Geschichten, für die Rettung der Menschheit und Israels.

«In den USA steht die Serie auf Platz 1 bei Netflix.»

Was für ein Publikum soll die Serie ansprechen? Ein bibelfestes oder ein mehrheitlich säkulares?

Schmid: Ich gehe davon aus, dass diese kommerzielle Serie in den USA, die derzeit auf Platz 1 bei Netflix steht, auf die dortigen, religiös gefestigten Segmente der Gesellschaft ausgerichtet ist. Umfragen gehen davon aus, dass bis zu 40% der Amerikanerinnen und Amerikaner ein wörtliches Bibelverständnis vertreten. Für diese Bevölkerungsgruppen liefert die Serie, die die historische Zuverlässigkeit der biblischen Geschichte von Moses suggeriert, eine willkommene Bestätigung ihres Glaubens.

*Konrad Schmid (58) ist Theologe und Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Zürich.

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Der Schweizer Theologe Konrad Schmid | © zVg
10. April 2024 | 12:00
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