Engagiert sich für Flüchtlinge in Luzern: Nicola Neider Ammann.
Schweiz

«Kirche gegen Frontex-Ausbau»: Gegen «Kreuzigungen» an den EU-Aussengrenzen

Das Bündnis «Kirche gegen Frontex-Ausbau» wirft der europäischen Grenzschutzagentur Menschenrechtsverletzungen vor. «In der Karwoche werden wir in Luzern einen zwölf Meter langen Grenzzaun vor der Hofkirche aufstellen», sagt die Theologin Nicola Neider.

Eva Meienberg

Sind Sie grundsätzlich gegen einen europäischen Grenzschutz?

Nicola Neider*: Nein. Wir anerkennen, dass es diese europäische Grenzschutzagentur gibt und dass die Schweiz ihren Beitrag leistet. Aber wir wollen, dass die Schweizerinnen und Schweizer sich überlegen, wofür die geforderten 61 Millionen ausgegeben werden.

«Die Schweiz könnte das Geld für humanitäre Fluchtwege einsetzen.»

Wo wäre das Geld aus Ihrer Sicht besser aufgehoben?

Neider: Die Schweiz könnte das Geld privaten Organisationen geben, die sich für humanitäre Fluchtwege einsetzen. In den Flüchtlingscamps etwa in Libyen, Jordanien, Syrien, Pakistan, Iran und in der Türkei harren Menschen aus. Wir wünschen uns, dass wir solche Menschen aus den Camps evakuieren und in der Schweiz aufnehmen können. Mit dem Geld für den Frontex-Ausbau passiert das Gegenteil.

Das Flüchtlingslager Moria nach dem Brand im Sommer 2020.
Das Flüchtlingslager Moria nach dem Brand im Sommer 2020.

Nämlich?

Neider: Viele Menschen, die aus den Lagern nach Europa flüchten und sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer und die Balkanrote begeben, kommen ums Leben, weil sie von der Grenzschutzagentur Frontex nicht unterstützt werden.

Inwiefern unterstützt Frontex die Flüchtenden nicht?

Neider: Es gibt Berichte über sogenannten Pushbacks. Da wird den Menschen das Grundrecht verweigert, einen Asylantrag zu stellen. Diese Rückweisungen werden durch die Beamten von Frontex verantwortet. Das passiert etwa an der Grenze von Bosnien und Kroatien oder an der Grenze von Weissrussland und Polen. Das sind menschliche Katastrophen, die durch die europäische Politik ausgelöst und von Frontex umgesetzt werden.

Hier geht es also um Menschenrechtsverletzungen?

Neider: Ja, und Menschenrechte sind nicht verhandelbar! Als Kirchen haben wir eine wichtige Stimme in der Gesellschaft, auf die Verletzung von Menschenrechten hinzuweisen. Ausserdem möchte ich auch den vielen Freiwilligen, die sich für Flüchtende engagieren, eine Stimme geben.

Stoffstreifen mit den Namen von verstorbenen Geflüchteten flattern vor der Kirche St. Laurenzen im Wind.
Stoffstreifen mit den Namen von verstorbenen Geflüchteten flattern vor der Kirche St. Laurenzen im Wind.

Inwiefern?

Neider: Der Staat diktiert uns viel im Umgang mit den Geflüchteten. Das habe ich vergangenes Jahr wieder erlebt, als wir humanitäre Visa für Flüchtende aus Afghanistan beantragt haben. Von 7800 Anträgen wurden drei Anträge positiv beantwortet. Das löste grossen Frust und Wut bei den Freiwilligen aus.

Warum wurden nur so drei Anträge bewilligt?

Neider: Weil die Vergabe von humanitären Visa in der Schweiz sehr restriktiv ist. Ein einziges Visum wurde ausgestellt. In den beiden anderen Fällen konnten die Flüchtenden durch Familiennachzug einreisen.

Stacheldraht zur Abwehr von Flüchtlingen
Stacheldraht zur Abwehr von Flüchtlingen

Wie sieht Ihre Kampagne aus – ausser der lancierten Website kirchen-gegen-frontex-ausbau.ch?

Neider: In der Karwoche werden wir in Luzern einen zwölf Meter langen Grenzzaun vor der Hofkirche aufstellen. Er soll darauf hinweisen, dass an den europäischen Grenzlinien jeden Tag Menschen gekreuzigt werden. Das bewirkt die Frontex-Politik: Menschen ertrinken, verhungern oder werden in den Flüchtlingslagern völlig vergessen.

Was geschieht, wenn das Referendum angenommen wird?

Neider: Ich weiss es nicht, ich bin keine Realpolitikerin. Für mich ist die Kampagne ein Mittel, um auf die Fehler der gängigen Politik hinzuweisen. Der Geist von Frontex muss sich ändern und die Fehler im Dublin-System müssen behoben werden.

«Für mich müsste die Kirche in solchen Fragen viel mutiger werden.»

Sollten sich die Bischöfe zum Frontex-Ausbau zu Wort melden?

Neider: Ich erwarte nicht, dass die Bischöfe eine Abstimmungsparole verfassen. Aber ich wünsche mir, dass sich die Bischöfe äussern, wie die Haltung der Kirche zur europäischen Grenzschutzpolitik aussieht. Für mich müsste die Kirche in solchen Fragen viel mutiger werden.

* Nicola Neider leitet den Bereich Migration und Integration der Katholischen Kirche der Stadt Luzern. Die Theologin und Pädagogin engagiert sich auch im Vorstand der Plattform «Sans Papiers» und ist Mitglied des Bündnisses «Kirchen gegen Frontex-Ausbau».

Die Kampagne «Kirchen gegen Frontex-Ausbau» ist ein ökumenisches Bündnis, in dem sich unter anderen der Jesuit Christoph Albrecht, der Seelsorger Chika Uzor, der Luzerner Pfarreileiter Herbert Gut, die Berner Theologin Andrea Meier, die reformierte Pfarrerin Catherine McMillan, Anne-Catherine Reymond von Sant’Egidio und der Priester Mussie Zerai Yosief («Father Moses») engagieren. 


Engagiert sich für Flüchtlinge in Luzern: Nicola Neider Ammann. | © Raphael Rauch
2. April 2022 | 08:37
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