Kind beim Malen.
Schweiz

«Kinder glauben oft zweifellos, dass Gott sie liebt»

Gossau SG, 18.8.18 (kath.ch) Mit dem Schulanfang lernen Kinder Rechnen und Lesen, vielerorts auch mehr über ihre Religion. Im konfessionellen Religionsunterricht vermittelt Friederike Herbrechtsmeier* nicht nur Bibelgeschichten. Sie will einen Raum für eigene Gedanken und gegenseitiges Zuhören schaffen.

Patricia Dickson

Können sich Kinder in der ersten Klasse unter Religion schon etwas vorstellen?

Friedericke Herbrechtsmeier: Das ist sehr unterschiedlich. Im Dorf, wo ich unterrichte, haben viele Kinder einen Bezug zur Kirche und schon erste Erfahrungen mit Beten, Singen und biblischen Geschichten. Sie sind getauft und haben daheim eine Kinderbibel. Zum Teil besuchen sie schon als Kleinkinder unser ökumenisches «Fiire mit de Chline». Aber grundsätzlich kann man nicht davon ausgehen, dass Kinder verstehen, was Religion ist. Es hängt von den Familien ab, was dort vermittelt wird.

Welche existentiellen Fragen beschäftigen Schulanfänger?

Herbrechtsmeier: Viele Kinder, die ich kenne, starten ihre schulische Laufbahn fröhlich und selbstbewusst. Jüngere Kinder glauben oft zweifellos, dass Gott sie liebt. Erst in den folgenden Jahren beginnen sie stärker, sich zu hinterfragen, sehen sich kritischer und das hat natürlich auch Auswirkungen auf den eigenen Glauben.

Verlieren die Kinder ihr Selbstbewusstsein?

Herbrechtsmeier: Ich würde eher sagen, sie verstehen mehr und erleben, dass das zwischenmenschliche Miteinander auch kompliziert sein kann. Sie sehen Ungerechtigkeiten oder machen die Erfahrung, dass sie selbst auch nicht alles perfekt können. Sei es Rechnen oder Schreiben, bei den Fremdsprachen oder im Sport. Das sorgt für Stress.

«Für die Kinder ist der Religionsunterricht ein Ort, wo sie akzeptiert werden, wie sie sind.»

Für die Kinder ist dann der Religionsunterricht ein Ort, wo sie akzeptiert werden, wie sie sind. Dort erfahren sie Zuspruch und dürfen ihre Gedanken gleichwertig erzählen.

Wie gehen Sie diese ersten Schuljahre im Religionsunterricht an?

Herbrechtsmeier: Zu Beginn des Religionsunterrichts ist es vor allem wichtig, Vertrauen zu schaffen, mit den Kindern zu lachen und ihnen zuzuhören. Gemeinsam schaffen wir einen Raum, wo wir zusammen feiern und über Glauben sprechen können. Abwechslung ist wichtig. Ich erzähle nicht nur Geschichten, ich lasse die Kinder immer wieder zeichnen und basteln. So können sie Gehörtes und ihre Gottesbilder kreativ verarbeiten.

Wie gehen Kinder damit um, dass es neben dem Christentum noch viele andere Religionen gibt?

Herbrechtsmeier: Für sie ist das relativ normal. Sie wissen oft schon etwas von anderen Religionen – von den Ferien im Ausland oder von anderen Kindern in ihrer Nachbarschaft. Im Religionsunterricht sollen sie mehr über ihre eigene Religion erfahren, aber auch lernen, wie unterschiedlich Menschen sind. Ich erkläre ihnen, dass wir voneinander lernen können.

Gibt es Themen, wo Sie als Religionslehrerin speziell vorsichtig sein müssen?

Herbrechtsmeier: Man darf nicht zu kompliziert werden, wenn man etwas erzählt. Kinder finden es dann schnell langweilig. Hingegen können sie auch traurige oder brutale Geschichten verarbeiten.

Auch Geschichten über Tod und Kreuzigung?

Herbrechtsmeier: Ich erzähle den Kindern auch von Jesu Tod am Kreuz. Dabei spreche ich aber nicht über schaurige Details wie die Nägel in seinen Händen, die blutenden Wunden und wie Jesus über Stunden hinweg langsam verdurstete. Ich sage, dass er gestorben ist, und dass seine Freunde traurig darüber waren.

«Die Bibel erzählt von Gefühlen, welche die Kinder aus ihrem eigenen Leben kennen.»

Danach kann ich von der Auferstehung erzählen und wie sich alle gefreut haben, weil Jesus wieder da war. Die Bibel erzählt hier von Gefühlen, welche die Kinder aus ihrem eigenen Leben kennen. Später kann man ihnen etwas über die Hintergründe erzählen. Mit jedem Jahr ein bisschen mehr.

Worin besteht der theologische Reiz, wenn man Kindern den Glauben erklärt?

Herbrechtsmeier: Es ist spannend, komplexe Zusammenhänge einfach und verständlich zu erklären. Die Theologie bietet viele Ebenen. Sie hat nicht nur die wissenschaftlich-theoretische Seite. Und sie wird erst dann lebensrelevant, wenn sie im Alltag und zu besonderen Gelegenheiten von Menschen jeden Alters gelebt wird.

Und was können Erwachsene von kindlicher Religiosität lernen?

Herbrechtsmeier: Kinder haben eine unglaubliche Freude am Leben, staunen über alles und zeigen ihre Dankbarkeit. Ich lasse mich von ihrer Begeisterung und Freude über dieses geschenkte Leben anstecken. (ref.ch)

* Friederike Herbrechtsmeier ist seit sieben Jahren reformierte Pfarrerin in Gossau, Kanton St. Gallen. Dort ist sie für die Arbeit mit Familien, Kindern und Frauen zuständig. Sie unterrichtet seit rund zehn Jahren Religion an der Schule.

Kind beim Malen. | © pixabay.com CCO
18. August 2018 | 14:54
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