Karin Ottiger, Co-Geschäftsleiterin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes
Schweiz

Karin Ottiger: «Der arbeitsfreie Sonntag wird mit Salamitaktik angegriffen»

Die Co-Geschäftsführerin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes (SKF), Karin Ottiger, ist überzeugt: Der freie Sonntag bietet Lebensqualität. Und er sei eine Frage der Solidarität. So wie die meisten Menschen hätten auch die Mitarbeitenden im Detailhandel ein Recht darauf. Ottiger hat die «Sonntagsallianz» im Jahr 2012 mitbegründet, die am Donnerstag ein Podium in Bern organisiert.

Regula Pfeifer

Wieso braucht es einen freien Sonntag?

Karin Ottiger: Weil der freie Sonntag für unser Wohlbefinden entscheidend und wichtig ist. Ein Sonntag ist nicht ein Dienstag oder Donnerstag. Es ist ein spezieller Tag, der gesellschaftlich-kulturell gewachsen ist. Der freie Sonntag ist ein Eckpfeiler des familiären, sozialen, sportlichen, spirituellen und kulturellen Lebens. Die Erwerbsarbeit soll deshalb an diesem Tag auf Dienstleistungen beschränkt werden, die für die Gesellschaft unerlässlich sind.

Migros-Filiale in Zürich
Migros-Filiale in Zürich

Weshalb ist dem SKF der freie Sonntag wichtig?

Ottiger: Viele Versuche, den freien Sonntag aufzuweichen, zielen auf den Detailhandel. Die meisten Angestellten im Detailhandel sind Frauen. Schon heute ist es für erwerbstätige Frauen eine Herausforderung, Arbeit und Familienleben zu vereinbaren. Hinzu kommt für viele Frauen im Detailhandel eine prekäre Arbeitssituation: geringe Entlöhnung, lange Arbeitstage und fehlende Wertschätzung.

«Die gesellschaftliche und soziale Teilhabe einer Berufsgruppe und ihrer Angehörigen würde unnötig eingeschränkt.»

Würden die Sonntagsarbeitszeiten ausgeweitet, schränkte das die gesellschaftliche und soziale Teilhabe einer ganzen Berufsgruppe und ihrer Angehörigen massgeblich und unnötig ein. Zeit für die Familie, die Pflege von Freundschaften, sonntägliche Unternehmungen, Besuche von Festen und Gottesdiensten, oder ein ruhiger Tag zu Hause zwecks Erholung und Regenration – das gehört für den grössten Teil der Bevölkerung in der Schweiz zur selbstverständlichen Lebensqualität. Es ist eine Frage der Solidarität.

In der Bibel steht: Am siebten Tag sollst du ruhen. Ist Ihnen das wichtig?

Ottiger: Ob man den Tag fürs Ausruhen nutzt oder für Aktivitäten, ist jeder und jedem selbst überlassen. Beides ist wichtig.

Frauen sind in der Kirche stark als Freiwillige engagiert: Hier im  Hospiz auf dem Grossen Sankt Bernhard.
Frauen sind in der Kirche stark als Freiwillige engagiert: Hier im Hospiz auf dem Grossen Sankt Bernhard.

Was ist katholisch an diesem Anliegen?

Ottiger: Katholisch ist das Anliegen nicht. In der Sonntagsallianz wirken verschiedene Player mit, die seit Jahren immer wieder versuchen, die Angriffe gegen den arbeitsfreien Sonntag abzuwehren. Da sind Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner dabei, die klar sagen: Aus gesundheitlichen Gründen ist es wichtig, diesen freien Sonntag zu haben. Die Gewerkschaften sind dabei, verschiedenste kirchliche Organisationen…

«Christinnen und Christen hätten es schwerer, den Sonntagsgottesdienst zu feiern.»

Was ist mit dem Sonntagsgebot?

Ottiger: Die Forderungen der Sonntagsallianz haben nichts mit dem katholischen Sonntagsgebot zu tun. Doch wenn der freie Sonntag zugunsten von Einkaufszeiten weiter Wirtschaftsinteressen geopfert wird, werden es Christinnen und Christen schwerer haben, die den Sonntagsgottesdienst feiern oder gestalten wollen.

Festgottesdienst in der Kathedrale St. Gallen anlässlich der Columban's Day.
Festgottesdienst in der Kathedrale St. Gallen anlässlich der Columban's Day.

Sind Sie schon lange dafür engagiert?

Ottiger: Ja, ich war sogar Gründungsmitglied der Sonntagsallianz. Das war im Jahr 2012. Wir entschieden uns dafür, weil es immer wieder Druck und Angriffe gab auf diesen arbeitsfreien Tag.

Woher kommen diese Angriffe?

Ottiger: Sie geschehen in einer Art Salamitaktik. Gewisse Tourismusregionen oder Berufsgruppen wurden befreit vom arbeitsfreien Sonntag. Das rief andere Interessengruppen auf den Plan. Es gibt seit Jahren immer wieder Vorstösse, die verschiedene Berufsgruppen, Branchen und Regionen ins Auge fassen.

«Aktuell will ein Vorstoss das Sonntagsarbeitsverbot für Start-up-Angestellte aufheben.»

Was läuft aktuell diesbezüglich?

Ottiger: Im Moment sind zwei politische Vorstösse hängig. So sollen die Ausnahmebestimmungen bezüglich Ladenöffnungszeiten, die es in Bergregionen gibt, auf die Städte ausgeweitet werden. Ein anderer Vorstoss hat zum Ziel, das Sonntagsarbeitsverbot und die Arbeitszeiterfassungspflicht für Angestellte, die an Start-ups beteiligt sind, aufzuheben. Dies würde den Arbeitnehmerschutz für viele verschiedene Menschen aufweichen, und zwar branchenübergreifend, denn Start-ups gibt es in allen Branchen.

Nationalratssitzung
Nationalratssitzung

Sie haben einen Anlass der Sonntagsallianz mitorganisiert…

Ottiger: Ja, am 30. November findet hierzu in Bern ein Podium statt. Auf dem Podium sind wir vom SKF diesmal nicht vertreten. Aber wir tragen den Anlass mit. Unser Anliegen ist, damit den arbeitsfreien Sonntag wieder einmal ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu rufen.

Podium zur Sonntagsfrage

Die Sonntagsallianz organisiert am Donnerstagabend in Bern ein Podium zum Thema: «Was ist uns der Sonntag noch Wert?». An der Diskussion nehmen teil: Christina aus der Au, Theologin, Kirchenratspräsidentin der Evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Brigitta Danuser, emeritierte Professorin für Arbeitsmedizin an der Universität Lausanne und ehemalige Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin (SGARM) sowie die Verkäuferin Kerstin Mauerhofer. Moderation: Leena Schmitter von der Gewerkschaft Unia. Der Anlass findet im Polit-Forum Bern im Käfigturm statt, 18.30-20.00 Uhr. (rp)

Die Sonntagsallianz

Die 2012 gegründete Sonntagsallianz ist ein Zusammenschluss von Frauenverbänden, Gewerkschaften, politischen Parteien, Kirchen sowie kirchlichen Verbänden und der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin. Ihr Ziel ist es, den gesetzlich verankerten arbeitsfreien Sonntag zu verteidigen. (rp)


Karin Ottiger, Co-Geschäftsleiterin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes | © Angelina Müller
28. November 2023 | 13:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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