Kardinal Kurt Koch
Schweiz

Kardinal Kurt Koch: «Ich habe Benedikt XVI. als einen sehr sensiblen und aufmerksamen Papst erfahren»

Zum ersten Todestag gedenkt Kardinal Kurt Koch Benedikt XVI. Den Menschen Benedikt habe er als tief gläubig und demütig erlebt. Der «Dialog zwischen Glaube und Vernunft» in Ratzingers Theologie hat Koch immer tief beeindruckt. Wenn die späten Predigten des Papstes veröffentlicht werden, werde Koch «sie gewiss meditieren».

Annalena Müller

Herr Kardinal Koch, heute vor einem Jahr starb Benedikt XVI., wie gedenken Sie ihm heute?

Kardinal Kurt Koch*: Am 30. Dezember fand im Campo Santo Teutonico im Vatikan in englischer Sprache eine Tagung statt, an der an sein Leben, sein theologisches Wirken und sein kirchliches Erbe gedacht wurde: «Life, Teaching, Legacy». Im Mittelpunkt standen Erinnerungen an sein Leben und Wirken, an Jesus Christus als Zentrum seiner Theologie und an sein Sterben im Licht seines theologischen Denkens über das Ewige Leben.

Der Camposanto teutonico - deutscher Friedhof gleich neben dem Petersdom in Rom
Der Camposanto teutonico - deutscher Friedhof gleich neben dem Petersdom in Rom

Am Sterbetag selbst wird in der Basilika St. Peter zum Gedächtnis an den verstorbenen Papst unter dem Vorsitz von Erzbischof Georg Gänswein die Heilige Messe mit einem anschliessenden Gebetsgedenken an seinem Grab gefeiert werden. In dieser würdigen Weise werden wir den ersten Jahrestag seines Sterbens begehen.

Benedikt XVI. war als Papst umstritten – was hat Sie am meisten an der komplexen Persönlichkeit beeindruckt?

Koch: Komplex ist die Persönlichkeit von Papst Benedikt XVI. in meinen Augen vor allem deshalb, weil in ihr drei Eigenschaften eng miteinander verbunden gewesen sind, die selten in einer Person zusammen anzutreffen sind. Er ist erstens ein feiner und demütiger Mensch, zweitens ein tief gläubiger Christ, Priester und Bischof und drittens ein gebildeter und intelligenter Theologe gewesen.

«Herausragender Theologe und Lehrmeister des Glaubens.»

Papst Franziskus hat das theologische Lebenswerk von Papst Benedikt XVI. mit Recht als «Theologie auf Knien» gewürdigt, weil er nicht nur ein herausragender Theologe und Lehrmeister des Glaubens gewesen ist, sondern auch ein «Mann, der wirklich glaubt und betet». Wenn man gerecht über Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. urteilen will, muss man diese drei Eigenschaften zusammen sehen. Die so genannte «Umstrittenheit» hängt weitgehend auch damit zusammen, dass man dieses Zusammenklingen nicht wahrnimmt.

Wie haben Sie den Papst im persönlichen Umgang erlebt?

Koch: Ich habe Benedikt XVI. als einen sehr sensiblen und aufmerksamen Papst erfahren, der zuhören konnte und für den der Mensch, der vor ihm sitzt, in diesem Augenblick wichtig war.

Papst Benedikt XVI. 2007 auf dem Petersplatz
Papst Benedikt XVI. 2007 auf dem Petersplatz

Hinzu kommt, dass er die ausserordentliche Fähigkeit gehabt hat, nach langem Zuhören bei einer Diskussion in seiner Zusammenfassung die Aufmerksamkeit auf den wichtigen Punkt zu lenken und sich nicht in Details zu verlieren. Ich persönlich konnte die wichtigen Fragen bei meiner ökumenischen Arbeit eingehend mit ihm besprechen, und er hat mir stets grosse Freiheit und Vertrauen geschenkt.

Was haben Sie von dem Theologen Joseph Ratzinger gelernt?

Koch: In einer Grussadresse an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission im Jahre 2008 hat er seine Sicht der Sendung der Theologie in der Kirche mit diesen Worten umschrieben: «Die vorrangige Aufgabe der Theologie besteht darin, wie es schon ihr Name sagt, von Gott zu sprechen, über Gott nachzudenken. Und die Theologie spricht von Gott nicht so, als sei er eine blosse Hypothese unseres Denkens. Sie spricht von Gott, weil Gott selbst mit uns gesprochen hat.

Kardinal Joseph Ratzinger (l.) 1992 bei der Präsentation des Weltkatechismus.
Kardinal Joseph Ratzinger (l.) 1992 bei der Präsentation des Weltkatechismus.

Die wahre Arbeit der Theologie liegt darin, in das Wort Gottes einzudringen, den Versuch zu unternehmen, es so weit wie möglich zu verstehen und es in unserer Welt verständlich zu machen, um auf diese Weise Antworten auf jene Fragen zu finden, die uns bewegen.» Besser als mit seinen eigenen Worten kann man nicht umschreiben, wie er die Aufgabe der Theologie gesehen hat, nämlich den Menschen von heute die Wirklichkeit Gottes, der sich in Jesus Christus offenbart hat, nahe zu bringen. Aus diesem Grund hat Joseph Ratzinger Theologie nicht nur für die Theologen, sondern in erster Linie für alle glaubenden Menschen vollzogen.

Wie hat seine Theologie Sie persönlich geprägt?

Koch: Mich hat immer beeindruckt, wie sehr der Dialog zwischen Glaube und Vernunft Joseph Ratzinger-Benedikt XVI. ein wichtiges Anliegen gewesen ist. Er hat den so genannten Fideismus, nämlich den Willen, auch gegen die Vernunft zu glauben (»Credo quia absurdum») für keine katholische Möglichkeit gehalten.

«Ratzinger wollte als Theologe und Papst Mitarbeiter der Wahrheit sein.»

Er ist vielmehr überzeugt gewesen, dass Glaube und Vernunft aufeinander angewiesen sind und dass nur im wechselseitigen Dialog Krankheiten des Glaubens vermieden und Pathologien der Vernunft überwunden werden können. Denn es gehört zum christlichen Glauben, dass er seine eigene Vernunft und darin die Vernünftigkeit alles Wirklichen sucht und deshalb den Anspruch erhebt, wahr zu sein. Joseph Ratzinger wollte als Theologe wie als Papst «Mitarbeiter der Wahrheit» sein.

Nun sollen seine Predigten erscheinen, die er als Emeritus gehalten hat. Er wusste wohl nicht, dass er aufgenommen wurde. Ist das ein Vertrauensbruch oder ist die Publikation Ihrer Meinung nach gerechtfertigt? 

Koch: Das Urteil darüber, ob diese Predigten veröffentlicht werden sollen, überlasse ich Erzbischof Georg Gänswein. Papst Benedikt hat ihn als seinen Testamentsvollstrecker eingesetzt; und er hat die Predigten von Benedikt gehört und kennt am besten deren Inhalt. Wie kein anderer kann er entscheiden, was mit diesen Predigten geschehen soll.

Ein gebrechlicher Ex-Papst lässt sich seinem Privatsekretär Kurienerzbischof Georg Gänswein stützen (Aufnahme von 2015).
Ein gebrechlicher Ex-Papst lässt sich seinem Privatsekretär Kurienerzbischof Georg Gänswein stützen (Aufnahme von 2015).

Ich bin diesbezüglich zuversichtlich, weil diese Predigten gewiss erneut zeigen werden, wie wichtig Papst Benedikt XVI. die Verkündigung des Wortes Gottes gewesen ist. Es ist zudem ein weiteres Zeichen seiner Bescheidenheit, dass er in seiner Zeit als Papa emeritus für die kleine Hausgemeinschaft im Monastero Mater Ecclesiae für jeden Sonntag eine Predigt vorbereitet hat, solange er noch die Kraft dazu hatte.

Werden Sie die Predigten lesen, wenn sie veröffentlich sind?

Koch: Wenn die Predigten veröffentlicht werden, werde ich sie gewiss meditieren. Jeder, der Papst Benedikt XVI. auch nur ein wenig kennt, weiss, wie sehr er sich in seiner Verkündigung und in seiner Theologie stets auf die Auslegung des Wortes Gottes konzentriert hat.

Benedikt XVI. und sein Privatsekretär Georg Gänswein im Jahr 2009.
Benedikt XVI. und sein Privatsekretär Georg Gänswein im Jahr 2009.

Seine Theologie ist im Kern Interpretation des Wortes Gottes, und zwar in der Einheit der beiden Testamente. Die Predigt zum vierten Adventssonntag, die bereits veröffentlicht worden ist, belegt dies. Von daher gehe ich davon aus, dass auch diese Predigten ein schönes Zeugnis seiner tiefen, theologisch genährten Spiritualität sein werden.

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*Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch (73) ist Präsident (seit 2022: Präfekt) des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen. 2010 wurde er vom damaligen Papst Benedikt XVI. auf diesen Posten berufen. Koch ist Protektor des Neuen Schülerkreises Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. e.V. Von 1995 bis 2010 war Koch Bischof von Basel. 

Das Interview wurde schriftlich geführt.


Kardinal Kurt Koch | © Annalena Müller
31. Dezember 2023 | 12:15
Lesezeit: ca. 4 Min.
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