"Pray for Ukraine!": Eine klare Botschaft an die russisch-orthodoxe Kirche in der Nachbarschaft.
Schweiz

Kalter Krieg mitten in Zürich: Wie Anwohner auf die russisch-orthodoxe Kirche reagieren

So mancher russisch-orthodoxe Christ lässt sich im Maybach in die Zürcher Narzissenstrasse kutschieren. Hier steht die Auferstehungskirche, wo Patriarch Kyrill in jedem Hochgebet erwähnt wird. Die Anwohner beobachten das Gotteshaus mit Argwohn – und reagieren mit «Pray for Ukraine»-Plakaten.

Wolfgang Holz

Irgendwie krass. Wer durchs lauschige Wohnviertel an der Narzissenstrasse in Zürich spaziert, um die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche zu besuchen, dem stechen sofort die zahlreichen gelbblauen Fahnen sofort auf. 

«Stop Putin’s War»

Wie ein Mahnmal wirken die Banner und Plakate an den beiden Gründerzeit-Mehrfamilienhäusern, die den Krieg Russlands in der Ukraine verurteilen. Beide Häuser liegen direkt gegenüber der Russisch-Orthodoxen Kirche. 

Putin durchgestrichen, "Courage" auf dem Selenskyj-Plakat: Solidarität mit der Ukraine in der Zürcher Narzissenstrasse.
Putin durchgestrichen, "Courage" auf dem Selenskyj-Plakat: Solidarität mit der Ukraine in der Zürcher Narzissenstrasse.

«Stop Putin’s War» flattert da ein Leintuch an einem Balkon. An einem anderen, mit vielen Pflanzen behangenen Balkon ist das Wort Putin kunstvoll mit einem gelben und einem blauen Farbbalken durchgekreuzt. Daneben ist ein selbst angefertigtes Porträt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sehen, ebenfalls in blaugelb gehalten. Darauf steht: Courage. Ganz oben an demselben Haus prangt eine sakrale Botschaft: «Pray for Ukraine!»

Falschparken kostet 80 bis 100 Franken

Wie werden diese Botschaften wohl auf der anderen Seite der Narzissenstrasse wahrgenommen – in der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche? Die Kirche ist an diesem Donnerstagnachmittag geöffnet. Vor dem Gebäude sind mehrere schwarze Limousinen und ein schwarzer Sportwagen parkiert.

Die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche in Zürich.
Die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche in Zürich.

Am Eingang ist auf Russisch zu lesen, dass die Gläubigen ihr Auto nicht auf dem Trottoir oder auf den Fussgängerüberwegen parkieren sollten. Es drohen Bussen von 80 bis 100 Franken.

«In der Kirche sprechen wir nicht über den Krieg»

Im Vorraum der Kirche steht eine Frau. Sie trägt ein wollenes Tuch über dem Kopf und bedient den Kiosk, wo Kerzen, Ikonen und zahlreiche Bücher über Heilige und Glaubensfragen auf Russisch ausliegen. Es gibt auch sakrale Literatur auf Deutsch. Sie wendet sich freundlich dem Besucher zu. Erzpriester Michail Zeman sei gerade nicht da. Sie selbst sagt nichts zum Krieg. «In der Kirche sprechen wir nicht über den Krieg.»

Ikonen in der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich.
Ikonen in der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich.

Freundlich führt sie durch den Kirchenraum, der von der Sonne hell beschienen ist. «Früher war hier eine evangelisch-methodistische Kirche», erklärt sie und beschreibt einige Ikonen. «Diese hier ist dem Heiligen Nikolai gewidmet», zeigt sie auf einen bärtigen Mann. Dann verneigt sie sich vor dem Heiligenbild und küsst es.

Diakon Daniel Schärer beteuert Friedensliebe

Obwohl die Kirche geöffnet ist, sind zu diesem Zeitpunkt keine Gläubigen anwesend. Später kommt Diakon Daniel Schärer hinzu. Was sagt er zu den Anti-Kriegs-Bannern auf der anderen Seite der Strasse? «Nichts. Es steht den Menschen frei, an ihre Balkone zu hängen, was sie wollen.» Dass dies Menschen tun würden, sei aber nicht nur ein Phänomen in der Narzissenstrasse, sondern in ganz Zürich.

Daniel Schärer, russisch-orthodoxer Diakon und seit neuestem frisch geweihter Priester
Daniel Schärer, russisch-orthodoxer Diakon und seit neuestem frisch geweihter Priester

«Was den Krieg in der Ukraine angeht, betet die Auferstehungskirche seit dem 24. Februar in jeder Liturgie für die Wiederherstellung des Friedens», versichert Daniel Schärer. «Wir haben schon anlässlich des interreligiösen Gebets am 28. Februar zum gemeinsamen Gebet für den Frieden aufgerufen.»

Nur Religion, keine Politik

Die Auferstehungskirche habe auch entscheidend daran mitgearbeitet, so der russisch-orthodoxe Diakon, dass alle Orthodoxen am 27. März eine Friedenspilgerfahrt zur Schwarzen Madonna in Einsiedeln durchgeführt haben und den Frieden bei jedem gemeinsamen Gebet thematisieren würden. Anders als andere Diaspora-Gemeinden hält die russisch-orthodoxe Kirche in Zürich daran fest, Patriarch Kyrill im Hochgebet zu erwähnen.

Putin und Kyrill im November 2021.
Putin und Kyrill im November 2021.

«Die Ereignisse in der Ukraine sind kein Thema. Insbesondere nehmen wir nicht Stellung zu politischen Themen und Ansichten», sagt Schärer. Es sei die Aufgabe der Kirche, die Gläubigen zu vereinen und zu Gott zu führen, nicht auseinander zu treiben. «Es sind alle Menschen willkommen, die in der Auferstehungskirche Gott anbeten wollen, unabhängig von der politischen Haltung.»

Über 400 Menschen an Mariä Himmelfahrt

Auch ukrainische Flüchtlinge kämen zum Gebet in die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche, sagt Schärer. «Unsere Kirchgemeinde ist förmlich explodiert. An Mariä Himmelfahrt hatten wir über 400 Kommunikanten.» Über den Krieg würden die Gläubigen nicht miteinander in der Kirche sprechen.

Eingang mit Engeln: Hier geht's zur russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich.
Eingang mit Engeln: Hier geht's zur russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich.

«Was die Menschen zu Hause tun, weiss ich nicht. In der Kirche ist es kein Thema, darf es auch nicht sein», ist der Diakon überzeugt. Die Kirchgemeinde umfasse Menschen jeglicher Couleur und Meinung. «Was uns alle zusammenhält, ist der Wunsch, an der Narzissenstrasse Gott anzubeten und uns mit ihm zu vereinigen.»

Die Männer warten im Auto – die Frauen gehen beten

Anwohner in den Häusern auf der anderen Seite der Narzissenstrasse nehmen die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche etwas anders wahr. «Es parken immer sehr viele Autos mit Zuger, Aargauer und Schwyzer Autokennzeichen entlang der Strasse – wobei vor allem Frauen die Messe besuchen», versichert ein Mieter, der bereitwillig Auskunft gibt.

Solidarität mit der Ukraine in der Zürcher Narzissenstrasse.
Solidarität mit der Ukraine in der Zürcher Narzissenstrasse.

«Ihre Männer bleiben oft in den Autos sitzen und warten, bis die Messe vorbei ist.» Manchmal parkierten auch Luxuslimousinen wie ein Maybach mit Chauffeur in einer der Nebenstrassen.

«Man lässt sich in Ruhe»

Was den Krieg in der Ukraine angeht, wünschen sich die befragten Anwohner, «dass die Aggression Putins nicht belohnt wird und die Russen eine Niederlage erleiden». Ein Pensionär ist sich sicher: «Wäre die Ukraine ebenfalls in der Nato wie Polen und die baltischen Staaten, hätte sich Putin diese Militärinvasion nicht getraut. Russland ist doch nur ein Scheinriese.»

Die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche in Zürich.
Die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche in Zürich.

Reaktionen seitens der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche auf ihre Anti-Krieg-Banner haben die Anwohnerinnen und Anwohner noch nicht erhalten: «Man lässt sich in Ruhe.» Der «fromme Lärm» am Sonntag während des Gottesdienstes bei offenen Fenstern sei manchmal aber störend. Die fröhlichen Kinderstimmen aus der russischen Kinderkrippe, die gleich neben der Kirche untergebracht ist, empfinden sie dagegen als sehr angenehm. Der Pensionär findet: «Die Kinder beleben unser Quartier.»


«Pray for Ukraine!»: Eine klare Botschaft an die russisch-orthodoxe Kirche in der Nachbarschaft. | © Wolfgang Holz
24. September 2022 | 13:50
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