Jean-Louis Borter, Oberwalliser Krankenträger.
Schweiz

Jean-Louis Borter: «Wenn man die Kranken in Lourdes sieht, hat man selber keine Schmerzen mehr»

Es begann mit einem Tauschgeschäft: Du eine Woche lang Sherpa bei der Jagd, ich eine Woche lang Krankenträger in Lourdes. Das erzählt der Walliser Jean-Louis Borter (64). Seit dem Deal mit Richard Lehner, damals Vikar, sind über 20 Jahre  vergangen. Und noch immer hilft Borter kranken Lourdes-Pilgern. Alles gratis und franko. «Ich habe jedes Jahr eine Ferienwoche für die Lourdes-Wallfahrt investiert. Das war es mir wert.»

Barbara Ludwig

Herr Borter, wie oft sind Sie als Krankenträger nach Lourdes gepilgert?

Jean-Louis Borter: 1996 pilgerte ich erstmals nach Lourdes. 2023 war ich zum 25. Mal dort. Ich ging jedes Jahr mit – ausser 2020 und 2021. Da fiel die Wallfahrt coronabedingt aus. Wir konnten nicht gehen, das fehlte einem richtig.

Was fehlte Ihnen denn?

Borter: Ich freue mich jedes Jahr wieder aufs Neue, an der Lourdes-Wallfahrt teilzunehmen. Dort kann ich während einer Woche Kraft tanken – für ein ganzes Jahr.

Sie tanken dort Kraft, obwohl Sie nicht als Patient nach Lourdes pilgern?

Borter: Wenn man dort die Patientinnen und Patienten sieht, fehlt einem eigentlich nichts mehr. Sprich: Wenn man jeden Tag selbstständig aufstehen und aufs WC gehen kann, fehlt einem nichts.

«Während einer Zugreise kann man sich am besten auf eine Wallfahrt einstimmen.»

Welche Aufgaben übernehmen Sie als Krankenträger?

Borter: Wir bringen die kranken Pilgerinnen und Pilger in Brig zum Zug und begleiten sie nach Genf, wo wir in einen Extra-Zug für die Lourdes-Wallfahrt der Westschweiz umsteigen. Das ist jeweils ein TGV der französischen Bahn. Die Kranken, die mit dem Zug reisen können, sind noch relativ mobil. Wer nicht mehr mobil ist, nimmt den Krankenbus mit Liegebetten. Während einer Zugreise kann man sich übrigens am besten auf eine Wallfahrt einstimmen.

Wie das?

Borter: Im Zug kann man einen Wortgottesdienst feiern. Es gibt eine Mikrophon-Anlage, die Durchsagen sind in jedem Wagen zu hören. Wir beten und singen gemeinsam. Immer gehört auch das Rosenkranzgebet dazu. Bei der Ankunft in Lourdes ist man dann so richtig eingestimmt auf das Geschehen am Wallfahrtsort. Im Flugzeug ist das nicht möglich.

«Mit dem Auftauchen aus dem Wasser veränderte sich der Ausdruck ihrer Augen.»

Müssen Sie die kranken Pilger auf der Reise auch medizinisch betreuen?

Borter: Im Tageszug ist das nicht nötig. Wir betreuen während der Zugfahrt alle Pilgerinnen und Pilger, ob krank oder gesund. Als Zugsverantwortlicher sorge ich dafür, dass alle am richtigen Platz sind. Das grösste Problem auf der achtstündigen Fahrt ist jeweils das WC-Papier. Wenn es ausgeht, muss ich für Nachschub sorgen.

Krankenträgerinnen und -träger helfen Pilgerinnen und Pilgern, die nicht mehr gut zu Fuss sind.
Krankenträgerinnen und -träger helfen Pilgerinnen und Pilgern, die nicht mehr gut zu Fuss sind.

Welche Aufgaben stehen in Lourdes an?

Borter: Bis zur Corona-Pandemie habe ich in den Bädern gearbeitet. Zu zweit haben wir jeweils die Pilger ins Quellwasser eingetaucht. Das waren Erwachsene und Kinder mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen. Mit dem Auftauchen aus dem Wasser veränderte sich der Ausdruck ihrer Augen. Sie strahlten eine grosse Zufriedenheit aus. Das war für mich immer ein besonderes Erlebnis. Wegen Corona gibt  es kein Eintauchen mehr ins Quellwasser. Jetzt wird einem bloss etwas Wasser in die Hände geschüttet, mit dem man sich den Kopf nass machen kann. Unsere Arbeit braucht es in den Bädern nicht mehr.

Haben Sie eine neue Aufgabe bekommen?

Borter: Jetzt arbeite ich im Kirchendienst. Vor Beginn der Messe stellen wir uns vor die Kirche, damit uns die Pilgerinnen und Pilger in unseren blauen Jacken sehen. Alle Krankenträgerinnen und -träger aus der Westschweiz tragen die blaue Jacke. In der Kirche weisen wir Plätze an und helfen bei der Kommunion. Ich und meine Kollegen begleiten die Priester mit einer Kerze in die Mittelgänge der Kirche, wo sie den Gläubigen die Kommunion spenden.

«Wir mussten schon mit einer grossen Toblerone oder einer Flasche Wein vorbeigehen, damit ja alles klappt.»

Was machen Sie sonst noch in Lourdes?

Borter: Jedes Jahr feiern wir in Lourdes eine Messe anlässlich der Ehrung unserer Jubilarinnen und Jubilaren. Anschliessend offerieren wir einen Apéro für zirka 150 bis 200 Personen. Ich bin für die Organisation zuständig. In Lourdes ist das nicht immer einfach. Schon bei der Ankunft muss man überprüfen, ob die Räumlichkeiten für den Apéro wirklich reserviert wurden. Bei den Kollegen aus Frankreich ist das nie sicher. Wir mussten schon mit einer grossen Toblerone oder einer Flasche Wein vorbeigehen, damit ja alles klappt.

Kranke und Begleiter an der Schweizer Landeswallfahrt in Lourdes.
Kranke und Begleiter an der Schweizer Landeswallfahrt in Lourdes.

Zudem müssen alle aktiven Vereinsmitglieder flexibel sein. Es gibt Helferinnen und Helfer, die die Kranken im Spital abholen, zur Messe begleiten und anschliessend wieder ins Krankenhaus bringen. Zirka ein Drittel dieser Pilger sind auf den Rollstuhl angewiesen. Die übrigen können zwar gehen, aber keine längeren Strecken. Sie werden deshalb auf kleinen Wagen transportiert, die ähnlich wie Kutschen aussehen und die die Helferinnen und Helfer von Hand ziehen. Wenn hier jemand ausfällt, springen wir anderen ein.

Gibt es ein Erlebnis in Ihrer «Laufbahn» als Krankenträger, das Sie besonders beeindruckt hat?

Borter: Eines Tages kam ein Italiener zu den Bädern. Vor dem Baden sagt man den Kranken jeweils, sie könnten nun ihre Gedanken der Mutter Gottes mitteilen. Zu meinem Erstaunen begann der Mann, seine Sünden aufzuzählen. Er weinte. Danach schien er erleichtert und stieg ins Wasser. Für uns Helfer war das ein besonderes Erlebnis.

«Richard Lehner durfte Gämsen tragen und eine Hirschkuh ausweiden.»

Wie kamen Sie auf die Idee, sich für die Lourdes-Wallfahrt zu engagieren?

Borter: Mitte der 1990er Jahre war Richard Lehner, der heutige Generalvikar, Pilgerleiter der Lourdes-Wallfahrt. Wir waren zusammen im Vorstand des Turnvereins von Glis-Gamsen. Er als Präses, ich als Materialwart. In jener Zeit kam er jeweils im Herbst ein paar Mal mit zur Jagd. Eines Tages, das war 1995, sagte ich ihm: «Wenn du mich eine Woche lang bei der Jagd begleitest, gehe ich mit dir nach Lourdes.» So geschah es, und so begann mein Engagement als Krankenträger.

Ich wusste nicht, dass Richard Lehner jagt?

Borter: Nein, er jagt nicht. Er kam nur als Sherpa mit, als Träger (schmunzelt). Er durfte Gämsen tragen und eine Hirschkuh ausweiden.

Eine Hirschkuh ausweiden, hat er das geschafft? Das kann doch nicht jeder.

Borter: Das war kein Problem. Er hat das sehr gut gemacht.

Lichterprozession in Lourdes.
Lichterprozession in Lourdes.

Sind Sie als Krankenträger ehrenamtlich tätig oder erhalten Sie einen Lohn?

Borter: Wir erhalten keinen Lohn. Der Verein beteiligt sich mit 100 Franken pro Person an der Reise nach Lourdes, die restlichen 845 Franken bezahlt jede und jeder selber. Im vergangenen Jahr habe ich erstmals keine Ferien für dieses Engagement nehmen müssen, weil ich schon in  Vorpension war. Während 24 Jahren habe ich jährlich eine Woche Ferien für die Lourdes-Wallfahrt investiert. Aber das war es mir wert.

Richard Lehner, heute Generalvikar im Bistum Sitten, hat Jean-Louis Borter eine Woche lang auf der Jagd begleitet.
Richard Lehner, heute Generalvikar im Bistum Sitten, hat Jean-Louis Borter eine Woche lang auf der Jagd begleitet.

Was motiviert Sie zu diesem freiwilligen Engagement?

Borter: Wenn man in Lourdes ist und die Kranken sieht, hat man selber keine Schmerzen mehr. Diesen Menschen geht es viel schlechter. Wir engagieren uns ausserdem das ganze Jahr über. In Brig und Naters gibt es Alterswohngruppen mit behinderten Menschen. Mit ihnen besuchen wir jeden ersten Sonntag im Monat die Messe und anschliessend gibt es einen Apéro.

«Menschen, denen nichts fehlt, sind oft viel unzufriedener als die kranken Lourdes-Pilger.»

Das ist für sie eine Abwechslung. Es sind ältere Menschen, die keine Verwandten mehr haben, die sich um sie kümmern. Zum Teil sind es Menschen, die jeweils mit nach Lourdes pilgern. Weil es die monatliche Messe gibt , sieht man sich regelmässig. Sie freuen sich, und das gibt auch uns Kraft. Uns fehlt ja nichts. Ich habe festgestellt: Menschen, denen nichts fehlt, sind oft viel unzufriedener als die kranken Lourdes-Pilger.

*Jean-Louis Borter (64) ist Mitglied der 1963 gegründeten Krankenträgervereinigung Oberwallis. Der gelernte Elektromonteur wurde am 3. Februar für seine 25. Teilnahme an der Lourdes-Wallfahrt mit der Ehrenmitgliedschaft auszeichnet. Borter wohnt in Ried-Brig VS.

Krankenträgervereinigung Oberwallis bekommt Nachwuchs

Die Krankenträgervereinigung Oberwallis wurde 1963 gegründet. Aktuell zählt sie rund 200 Mitglieder, Frauen und Männer. Einmal pro Jahr reist der Verein für eine Woche zum französischen Marienwallfahrtsort Lourdes. Dabei betreuen die Mitglieder kranke und behinderte Pilgerinnen und Pilger während der Reise und vor Ort in Lourdes. An der Generalversammlung vom 3. Februar wurden fünf neue Mitglieder aufgenommen, wie der «Walliser Bote» berichtete. (bal)


Jean-Louis Borter, Oberwalliser Krankenträger. | © zVg
11. Februar 2024 | 17:32
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