Ivo Fürer im Jahr 2014.
Rauchzeichen

Ivo Fürer, Seelisberger Thesen, Pfadi-Bundeslager: Was diese Woche wichtig wird

Heute wird Ivo Fürer beerdigt. Als er Bischof von St. Gallen war, spielte die Schweizer Kirche noch in der katholischen Champions League. Bischof Felix Gmür denkt über «Jesus, der Jude» nach. Und die Pfadi sucht noch dringend Freiwillige «für das grösste Pfadi-Lager aller Zeiten».

Raphael Rauch

Wäre der Mailänder Kardinal Carlo Martini oder sein Mainzer Compagnon Karl Lehmann noch am Leben und reisefähig, wären sie heute wohl in St. Gallen – um ihrem Weggefährten Ivo Fürer die letzte Ehre zu erweisen.

Champions League statt Regionalliga

Der emeritierte Bischof von St. Gallen war kein Grosser gemessen in Zentimetern. Aber umso grösser, was Macht, Einfluss und internationale Vernetzung betrifft. 

Kardinal Karl Lehmann
Kardinal Karl Lehmann

Die Schweizer Kirche spielt schon länger in der katholischen Regionalliga. Zu Bischof Ivo Fürers Zeiten war das anders: Da kamen Kardinäle aus aller Welt im Januar nach St. Gallen, um sich in konspirativen Sitzungen für Reformanliegen einzusetzen.

«St. Gallen Mafia»

Sie teilten die Diagnose, die Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils seien noch lange nicht umgesetzt. Und sie bildeten einen Block gegen das konservative Rollback unter Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger, dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation.

Ivo Fürer an der Synode 72 (5. v.l.)
Ivo Fürer an der Synode 72 (5. v.l.)

Die Treffen von St. Gallen haben den Spitznamen «St. Gallen Mafia» erhalten. Auch wenn die Zeitungsüberschrift «Als die ‘St. Gallen Mafia’ einen Papst machte» in dieser Monokausalität so nicht stimmte, gilt als gesichert: 2005 versuchte die «St. Gallen Mafia», Joseph Ratzinger als Papst zu verhindern und stattdessen den Argentinier Jorge Bergoglio durchzudrücken. 

Gegen Ratzinger, für Bergoglio

Ivo Fürer hat dies in einem Interview einmal so beschrieben: «Wir wussten, dass Kardinal Joseph Ratzinger als Nachfolger gehandelt wurde. Weil wir mit ihm nicht einverstanden waren, suchten wir nach Alternativen. Wir wollten einen reformfreudigeren Papst ins Gespräch bringen. Dabei kam der Name Jorge Mario Bergoglio – der heutige Papst Franziskus – auf. Die Kardinäle, mit denen ich mich traf, haben dann vor der Papstwahl seine Kandidatur aufgebaut», sagte Ivo Fürer 2016 der «Ostschweiz am Sonntag».

Ein seltenes Bild aus der Konzilszeit: Joseph Ratzinger (ganz links) und Hans Küng (rechts). Ivo Fürer war beim Konzil als Berater dabei.
Ein seltenes Bild aus der Konzilszeit: Joseph Ratzinger (ganz links) und Hans Küng (rechts). Ivo Fürer war beim Konzil als Berater dabei.

Doch 2005 war das Konklave noch nicht reif für Jorge Bergoglio. 2013 kam der Argentinier dann allerdings zum Zuge: «Damit hatten wir nichts zu tun, ganz einfach, weil sich die Gruppe nach meinem Rücktritt als Bischof verflüchtigte», sagte Ivo Fürer. «Zum letzten Mal trafen wir uns im Jahr 2006. Wir können also weder beim Rücktritt noch bei der Neuwahl eine Rolle gespielt haben.»

Im Bistum erklingen die tiefsten Glocken

Der Trauer- und Auferstehungsgottesdienst ist am heutigen Montag ab 10 Uhr in der Kathedrale St. Gallen – es gibt einen Livestream. «Von 9.30 bis 9.45 Uhr läutet in allen Kirchen des Bistums die tiefste Glocke – verbunden mit der Einladung zum Gebet für Bischof Ivo», teilt das Bistum St. Gallen mit. Details zum Requiem erläutert Dompfarrer Beat Grögli hier.

Dompfarrer Beat Grögli.
Dompfarrer Beat Grögli.

Das feierliche Orgelspiel kommt heute nicht von Domorganist Willibald Guggemos – er ist in den Ferien: «Sie haben mich nicht zurückgepfiffen, weil ich einen sehr guten ehemaligen Studenten habe, der das für mich macht. Er heisst Dario Canal», sagt Willibald Guggemos zu kath.ch.

Antisemitismus-Debatte

In Deutschland kommt die Antisemitismus-Debatte wegen der Documenta-Ausstellung nicht zur Ruhe. Der jüdische Publizist Henryk M. Broder hat dem Feuilleton-Chef der NZZ, Benedict Neff, ein erhellendes Interview gegeben

Antisemitismus an einer Demo 2021 in Bern.
Antisemitismus an einer Demo 2021 in Bern.

Darin konstatiert Broder: «Man hat sich in Deutschland über die Jahrzehnte hinweg darauf geeinigt, was Antisemitismus ist: nämlich Holocaust, Auschwitz, Endlösung, 6 Millionen. Dass Antisemitismus viel früher anfängt, nimmt man hingegen nicht zur Kenntnis. Entsprechend sah man in diesem Dreck, der auf der Documenta ausgestellt wurde, auch keinen Judenhass. Die Benchmark für Antisemitismus ist immer Auschwitz. (…) Kein Problem haben die meisten Deutschen, einschliesslich unserer Politiker, mit Iran, das klar und offen erklärt, es wolle Israel vernichten. Aber das ist dann kein Antisemitismus, das ist schlimmstenfalls massive Israelkritik oder Antizionismus.»

75 Jahre Seelisberg-Konferenz

Dies ist ein Phänomen, das auch in der Schweiz zu beobachten ist. All zu oft wird Antisemitismus nicht erkannt oder mit angeblich legitimer Israel-Kritik verwechselt.

Die Hotels Kulm (l.) und Sonnenberg in Seelisberg. Postkarte mit Poststempel 14.6.1948
Die Hotels Kulm (l.) und Sonnenberg in Seelisberg. Postkarte mit Poststempel 14.6.1948

Umso wichtiger ist es, jene Initiativen zu stärken, die sich entschieden für ein «Wehret den Anfängen» stark machen. Dazu gehört auch die Erinnerung an die Seelisberg-Konferenz, die vor 75 Jahren christlich-jüdische Geschichte schrieb. 

Martin Steiner und Felix Gmür referieren

Am Dienstag steht Propst Christoph Sterkmann in der Luzerner Hofkirche einer Eucharistiefeier vor, die an die Seelisberg-Konferenz erinnert. Der Theologe Martin Steiner gibt ein Impulsreferat – ein Interview mit ihm finden Sie hier.

Bischof Felix Gmür.
Bischof Felix Gmür.

Der Bischof von Basel, Felix Gmür, feiert am Mittwoch in der Luzerner Hofkirche Eucharistie und hält ein Impulsreferat mit dem Titel: «Jesus, der Jude, und jüdische Elemente im christlichen Gottesdienst.»

Christian Rutishauser versus Benedikt XVI. und Kurt Koch

Mit Spannung wird erwartet, ob Gmür auf die Kontroverse zwischen Christian Rutishauser, Benedikt XVI. und Kurt Koch eingeht. «Benedikt XVI. ruft den Juden zu: An Christus führt kein Weg vorbei»: Mit diesen Worten eröffnete der Schweizer Jesuit Christian Rutishauser vor vier Jahren eine Debatte, die international Wellen schlug. Im Oktober 2018 doppelte er nach: «Viele problematische Denkfiguren unterlaufen BenediktXVI., die leicht anti-jüdisch gelesen werden können.»

Der Schweizer Jesuit Christian Rutishauser im Garten der Hochschule für Philosophie in München.
Der Schweizer Jesuit Christian Rutishauser im Garten der Hochschule für Philosophie in München.

Das Ganze war auch ein Schweizer Politikum, weil Kurienkardinal Kurt Koch Benedikt XVI. dazu ermuntert hatte, seinen problematischen Aufsatz zu publizieren. Am Ende musste der Papa emeritus sich rechtfertigen und erklären; Rutishauser ging als Gewinner vom Platz, Kurt Koch und Benedikt XVI. sahen alt aus.

Heute fahren keine deutschen Züge mehr nach Auschwitz

Apropos Holocaust-Erinnerung: Die Deutsche Bahn hat ein Bild der jüdischen Künstlerin Yohana Hirschfeld am Hamburger Hauptbahnhof entfernt. Es zeigt zwei Frauen und zwei Sprechblasen auf Englisch. Übersetzt lautet der Dialog so: «Dieser Zug fährt nicht nach Auschwitz.» Die andere Frau erwidert: «Nicht mehr.»

Kunst am Hamburger Hauptbahnhof.
Kunst am Hamburger Hauptbahnhof.

Zunächst hiess es, man habe das Bild abgehängt, um es vor dem rechten Mob zu schützen. Dann war von einer Kommunikationspanne die Rede. Ich konnte mich am Sonntag persönlich davon überzeugen, dass das Bild inzwischen wieder aufgehängt ist – allerdings gut versteckt am Ende eines Bahnsteigs. Warum nicht präsenter?

Dringend Helferinnen und Helfer gesucht

Im Oberwallis laufen die Vorbereitungen für das Pfadi-Bundeslager auf Hochtouren. «Wir sind auf Kurs», sagt Pfadi-Mann Thomas Boutellier zu kath.ch. Er freut sich «auf das grösste Pfadi-Lager aller Zeiten»

Die Aufbauarbeiten für das Bundeslager haben begonnen.
Die Aufbauarbeiten für das Bundeslager haben begonnen.

Wobei es noch ein paar HR-Probleme zu lösen gibt – warum sollte auch nur die Swiss oder die Gastronomie einen Personalengpass haben? Die Pfadi sucht dringend Helferinnen und Helfer. «Wir freuen uns über alle, die sich spontan melden und uns unter die Arme greifen können», sagt Thomas Boutellier zu kath.ch. Am Dienstag baut die Pfadi eine Jurtenkirche auf – mit drei grossen Jurten und einem Kothenturm mit Kirchenfenstern in der Mitte des Lagers. Wir werden berichten.

Hier wird die Pfads-Kirche aufgebaut.
Hier wird die Pfads-Kirche aufgebaut.

Ottilie Roederstein in Frankfurt

Eine Schweizerin steht am Mittwoch in Frankfurt am Main im Zentrum: Ottilie Roederstein. Sie wurde 1859 in Enge ZH geboren. Schon als Zehnjährige hatte sie den Wunsch, zu malen – doch Frauen waren an Kunstakademien nicht zugelassen. «Sie lernte deshalb in speziellen Damenklassen in Zürich, Berlin und Paris und gehörte zu den ersten Künstlerinnen, die Aktmalerei studierten», schreibt der «Spiegel».

Ottilie W. Roederstein in ihrem Atelier im Städelschen Kunstinstitut.
Ottilie W. Roederstein in ihrem Atelier im Städelschen Kunstinstitut.

Ottilie Roederstein verliebte sich in Elisabeth Winterhalter, der ersten Chirurgin in Deutschland. Die beiden wurden zu einem «power couple». Sie förderten Kunst, aber auch die Ausbildung von jungen Frauen.

Madonna unter Blumen oder Marienmond
Madonna unter Blumen oder Marienmond

In Ottilie Roedersteins Werk sind auch religiöse Genrebilder zu finden. Diese waren bereits 2021 im Zürcher Kunsthaus zu sehen. Details zur Frankfurter Ausstellung finden Sie hier.

Kanada-Reise von Papst Franziskus

Papst Franziskus fliegt am Sonntag nach Kanada. Laut dem Papst handelt es sich um eine «Bussreise». Er reise nach Kanada, um besonders die indigenen Völker zu umarmen. Von ihnen hätten viele auch in katholischen Einrichtungen grossen Schaden erlitten. «Ich drücke ihnen allen meinen Schmerz aus für das Leid, das sie erlitten haben», so der Pontifex. Und er hoffe, dass er auf dieser Reise die Versöhnung vorantreiben könne.

Papst Franziskus mit Mitgliedern der "First Nations" (Kanada) am 31. März 2022 im Vatikan.
Papst Franziskus mit Mitgliedern der "First Nations" (Kanada) am 31. März 2022 im Vatikan.

Was wird nächste Woche wichtig – ausser dem Bundeslager? Ich freue mich auf Ihren Input an rauchzeichen@kath.ch.

Einen guten Start in die Woche wünscht Ihnen 

Ihr

Raphael Rauch


Ivo Fürer im Jahr 2014. | © Josef Bossart
18. Juli 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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