Wolken. Ein Foto von Eugen Trost.
Schweiz

Ist die «leere Hölle» eine Idee aus der Schweiz?

Papst Franziskus sagte kürzlich, dass ihm der Gedanke, dass die Hölle leer ist, gefällt. Diese Idee hat in der Kirchengeschichte einige theologische Streitigkeiten ausgelöst und wurde unter anderem vom berühmten Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar (1905-1988) untersucht.

Raphaël Zbinden

«Es gefällt mir, mir die Hölle leer vorzustellen (…) Und ich hoffe, dass dies die Realität ist.» So äusserte sich Papst Franziskus am 14. Januar in der Talkshow des italienischen Fernsehens «Che tempo che fa». Das Kirchenoberhaupt stellte klar, dass seine Antwort persönlicher Natur sei und kein «Dogma des Glaubens» darstelle.

Papst Franziskus.
Papst Franziskus.

Es soll nicht das erste Mal gewesen sein, dass Franziskus Zweifel an dem Konzept der ewigen Verdammnis äussert. Ein solcher Gedanke sei zum ersten Mal in einem Gespräch zwischen dem Journalisten Eugenio Scalfari, dem Gründer der italienischen Zeitung «La Repubblica», und dem Papst im Gästehaus Santa Marta im Jahr 2018 aufgetaucht, berichtete «Il Messagero» am 15. Januar.

Keine Hölle, aber das Verschwinden der sündigen Seelen

Eugenio Scalfari hatte in seiner Zeitung über die von Franziskus geäusserte Hypothese einer «leeren Hölle» berichtet. In der Annahme, dass Gottes Güte, Grösse und Barmherzigkeit gegenüber der Menschheit unermesslich sind, soll Jorge Bergoglio versichert haben, dass Sünder «nicht bestraft werden». «Diejenigen, die bereuen, erhalten Gottes Vergebung und schliessen sich den Reihen der Seelen an, die ihn betrachten, aber diejenigen, die nicht bereuen und denen daher nicht vergeben werden kann, verschwinden. Es gibt keine Hölle, es gibt das Verschwinden der sündigen Seelen», soll der Papst laut «La Repubblica» gesagt haben.

Mittelalterliche Hölle, Herrad von Landsberg um 1180.
Mittelalterliche Hölle, Herrad von Landsberg um 1180.

Dementi aus dem Vatikan

Das Gespräch war jedoch privater Natur und die Äusserungen des Papstes sollten nicht in der Presse auftauchen. Ausserdem hatte Eugenio Scalfari zugegeben, dass er die Aussagen des Papstes nicht aufgezeichnet, sondern nur aus dem Gedächtnis abgeschrieben hatte. Der Vatikan hatte sofort ein Dementi verbreitet und versichert, dass die wiedergegebenen Worte keinesfalls als vom Pontifex stammend angesehen werden könnten.

Eine alte theologische Polemik

Die Reaktion des Vatikans wäre vielleicht nicht so unmittelbar gewesen, wenn es sich um ein weniger heikles Thema gehandelt hätte. Doch die Realität des Teufels und der Hölle schürt seit langem die Flammen der Uneinigkeit innerhalb des Christentums. Der christliche Gelehrte Origenes (185-253) war wohl der erste, der sich daran verbrannt hat.

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Der in Tyrus (heute Libanon) Verstorbene bekannte sich nämlich zur Lehre von der Apokatastasis. Er glaubte, dass am Ende der Zeiten alles «in seiner ursprünglichen Ordnung» wiederhergestellt werden würde, was insbesondere bedeutet, dass den Dämonen und Verdammten vergeben wird und sie an der Herrlichkeit der Seligen teilhaben werden, heisst es auf der Webseite «Religion catholique». Diese These führte dazu, dass er vom Zweiten Konzil von Konstantinopel (553) und von Papst Vigilius (537-555) verurteilt wurde.

Ein guter Gott, der ewig verdammt?

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurde die Idee wieder populär, vor allem durch die Schriften von Hans Urs von Balthasar. Für den Luzerner Theologen war es schwer vorstellbar, dass ein gütiger und barmherziger Gott so viele Seelen zum ewigen Feuer verurteilen kann. «Wir wissen nicht», schreibt Hans Urs von Balthasar auf der letzten Seite des Epilogs (1997), «ob eine menschliche Freiheit fähig ist, sich bis zum Ende dem Angebot des Geistes zu verweigern, ihr ihre eigene und wahre Freiheit zu geben», mit anderen Worten, ohne Vergebung zu sündigen.

Hans Urs von Balthasar
Hans Urs von Balthasar

Il «Messagero» erinnert jedoch daran, dass es dem führenden Theologen des Konzils letztlich nicht darum ging, die Existenz der Hölle zu leugnen. Das Missverständnis geht auf die 1980er Jahre zurück», schreibt die Zeitung, «nach einem Vortrag über das Denken seiner Mitarbeiterin Adrienne von Speyr [einer Laienmystikerin des 20. Jahrhunderts], die seine eschatologischen Überlegungen aufgriff. Hans Urs von Balthasar beschränkte sich auf die Feststellung, dass die Hoffnung auf das ewige Heil aller Menschen nicht gegen den Glauben verstösst».

 Hoffnung auf eine universale Erlösung

Il «Messagero» merkt an, dass es sich hierbei um eine Idee handelt, die in der Vergangenheit bereits von anderen Kirchenvätern entwickelt wurde, insbesondere von Gregor von Nyssa. Darüber hinaus wurde sie von zeitgenössischen Theologen wie Romano Guardini (1885-1968), Jean Daniélou (1905-1974) und Henri de Lubac (1896-1991) geteilt.

Edith Stein: Die zum Katholizismus konvertierte Jüdin wurde 1942 in Auschwitz ermordet.
Edith Stein: Die zum Katholizismus konvertierte Jüdin wurde 1942 in Auschwitz ermordet.

Tatsächlich stimmte Hans Urs von Balthasar mit einer Textpassage von Edith Stein, einer Karmelitin, die 1942 in Auschwitz starb, überein, in der es heisst: «Wenn alle Impulse, die dem Geist des Lichts entgegenstehen, aus der Seele vertrieben sind, dann ist eine freie Entscheidung gegen ihn unendlich unwahrscheinlich geworden. Dann rechtfertigt der Glaube an die unbegrenzte Liebe und Gnade Gottes auch die Hoffnung auf eine Universalität der Erlösung, obwohl die prinzipiell offene Möglichkeit, der Gnade zu widerstehen, die Möglichkeit der ewigen Verdammnis bestehen lässt.» Der unendliche freie Wille des Menschen könnte ihn also dazu bringen, Gott ewig abzulehnen. Dies schliesst jedoch nicht die Hoffnung aus, dass dies nicht geschieht. Und das ist es wohl, was Papst Franziskus im italienischen Fernsehen gemeint hat.

Papst glaubt an Existenz des Teufels

Aber die Hölle ist eine Sache und ihr Hauptinsasse eine andere. In diesem Punkt war Franziskus immer besonders klar. Er hat wiederholt bekräftigt, dass der Teufel ein reales und kein mythisches oder symbolisches Wesen ist. Sein Buch «Der Teufel existiert wirklich, und wir müssen ihn bekämpfen» (2018) reicht völlig aus, um dies zu belegen. Diese Figur, die den Menschen zum Bösen treibt, nimmt in der Theologie von Papst Franziskus einen wichtigen Platz ein. Während er also fest an den Gehörnten glaubt, hält er die Hoffnung aufrecht, dass dieser keine Seelen hat, die er mit zur Hölle nehmen kann.

Der Teufel führt Jesus in Versuchung.
Der Teufel führt Jesus in Versuchung.

Damit markiert der Jesuitenpapst einen deutlichen Unterschied zum Oberhaupt seines Ordens, Pater Arturo Sosa. Der Generalobere der Gesellschaft Jesu, war nämlich 2019 der Ansicht, dass Satan nur eine «symbolische Realität» sei. Die Internationale Vereinigung der Exorzisten hatte sich darüber aufgeregt und daran erinnert, dass die Kirche lehrt, dass der Teufel ein sehr reales Geschöpf ist.

Theorien von der Lehre unterscheiden

Um Licht in die ganze Polemik zu bringen und die Gläubigen vor Verwirrung zu schützen, hatte die italienische Jesuitenzeitschrift «La Civiltà Cattolica» die Aufgabe, das Thema ein für alle Mal zu klären, indem sie zwischen den vielen theologischen Hypothesen und dem Lehramt unterschied, wie «Il Messagero» berichtet. Die Jesuiten-Zeitschrift berief sich dabei auf den italienischen Priester Giandomenico Mucci (1938-2020)

Dieser hatte festgestellt: «Das Lehramt der Kirche über die Hölle lehrt drei Dinge. Erstens: Nach dem irdischen Tod gibt es einen Zustand, nicht einen Ort, der denjenigen gehört, die in schwerer Sünde gestorben sind und die heiligmachende Gnade durch eine persönliche Tat verloren haben. Dieser Zustand wird als die Strafe der Gottlosen bezeichnet. Zweitens: Dieser Zustand beinhaltet den schmerzhaften Entzug der Gottesschau (Strafe für das Böse). Drittens: Dieser Zustand beinhaltet ein Element, das im Ausdruck des Neuen Testaments als «Feuer» beschrieben wird (Strafe für den Sinn). Beide Strafen und damit die Hölle sind ewig.» (cath.ch/ilmessagero/ag/arch/rz/bal)


Wolken. Ein Foto von Eugen Trost. | © Vera Rüttimann
20. Januar 2024 | 17:41
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