Muhammad Ali Moschee, Kairo, mit Bundeshaus
Schweiz

Grichting lehnt staatskirchenrechtliche Integration der Muslime ab

Chur, 20.7.18 (kath.ch) Muslime sollen nicht in das bestehende staatskirchenrechtliche System in der Schweiz integriert werden. Das betont der Churer Generalvikar, Martin Grichting, in einem Gastbeitrag für die «Neue Zürcher Zeitung» von Freitag.

Der Grundstein für das aktuelle staatskirchenrechtliche System sei im 19. Jahrhundert gelegt worden. Damals habe der demokratisch gewordene Staat seine Staatskirche demokratisiert, statt ihr zu erlauben, sich nach eigenen, dem Glauben entspringenden Strukturprinzipien zu organisieren, schreibt der Generalvikar. Der Kanton Zürich etwa habe die Religionsfreiheit nicht nur im Staat, sondern «auch in seiner Staatskirche» eingeführt.

Der «legitimen kirchlichen Leitung» stehe heute eine vom Staat geschaffene Struktur gegenüber, die einer eigenen Agenda folge. Aufgrund dieser Überlegungen erklärt der Generalvikar, wäre es «definitiv als Ausdruck von Realitätsverlust» zu verstehen, wenn der Staat den Muslimen im gleichen Sinn einen «demokratischen Schweizer Islam» angedeihen lassen wolle.

Keine demokratischen Strukturen

Die Geschichte des Islam und die gesellschaftliche Realität in islamischen Ländern zeige, dass es vermessen sei, Muslimen «entgegen den Grundsätzen ihrer Religion demokratische Strukturen aufzunötigen».

Die Muslime selbst könnten die Integration ins Schweizer Staatskirchentum auch selbst kaum wollen, schreibt der Theologe. Es würde sie «spalten und zersetzen». Grichting: «Man stelle sich vor, muslimische Gläubige – Männer und Frauen – würden gemäss Zürcher Kirchengesetz einen Imam abwählen oder über Bekenntnisfragen demokratisch entscheiden.»

Islamischen und orthodoxen Gemeinschaften fehlt die Verwurzelung in der Schweiz.

Grichting stellt die Frage, ob Religionspolitik in den Dienst von Integration gestellt werden könne. Zweifellos habe die katholische Kirche den aus dem Ausland stammenden Gläubigen eine Heimat gegeben und im 20. Jahrhundert deren gesellschaftliche Integration erleichtert. Das sei aber nur möglich gewesen, «weil die katholische Kirche schon zu Beginn der Massenimmigration eine überwiegend von Schweizern bevölkerte Kirche war».

Den Einzelnen fördern

Ganz anders verhalte es sich mit den islamischen und orthodoxen Gemeinschaften, deren Mitgliedern in der Mehrzahl eine ähnlich tiefe soziale und kulturelle Verwurzelung in der Schweiz «fehlt und auf absehbare Zeit auch fehlen wird».

Eine staatlich betriebene Stärkung religiöser Autoritäten fördert Parallelgesellschaften.

Der Staat müsse deren soziale und gesellschaftliche Integration fördern, indem er «den Einzelnen diskriminierungsfrei in den Blick» nehme. Er müsse für dessen Bildung sorgen und ihn an die Gesellschaft heranführen. Das geschehe primär im Bereich der Schule, des Arbeitsmarktes und des Sozialsystems. Der Einzelne müsse zu zivilgesellschaftlicher und politischer Mitwirkung ermuntert werden. Die Gleichheit im bürgerlichen Bereich müsse für alle durchsetzt werden, schreibt Grichting. So könne Integration gelingen.

Aus der Sicht des Generalvikars fördert eine staatlich betriebene Stärkung religiöser Autoritäten Parallelgesellschaften und ist kontraproduktiv. Der religiös neutrale Staat müsse sich von «seinem Staatskirchentum» verabschieden. Das sei nicht nur gegenüber der wachsenden Zahl Konfessions- beziehungsweise Religionsloser geboten.

Kein staatlicher Interventionismus

Religionsgemeinschaften sollen sich gemäss ihrem eigenen Selbstverständnis organisieren können, fordert der Generalvikar. Das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften könne über Verträge geregelt werden. Italien habe Vereinbarungen mit elf Religionsgemeinschaften abgeschlossen und «dadurch mit wenig Aufwand eine Antwort auf den religiösen Pluralismus gefunden».

Diesem Pluralismus gerecht zu werden, müsse das Ziel von Religionspolitik sein. Trage der Staat hingegen durch seinen Interventionismus Konflikte in die Religionsgemeinschaften hinein, verletze er die Religionsfreiheit und entfremde sich gläubige Menschen. Damit arbeite er seinen Integrationsbemühungen gerade entgegen, so Grichting. (gs)

Muhammad Ali Moschee, Kairo, mit Bundeshaus | © Fotomontage Georges Scherrer
20. Juli 2018 | 17:15
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