Flüchtlinge erhalten praktische Hilfe.
Konstruktiv

Freiwillige unterstützen Geflüchtete: «Wir bekommen viel zurück»

Ursina Albrecht engagiert sich in Brunnen SZ für Geflüchtete. Mit anderen Freiwilligen erteilt sie ihnen im Schulhaus Leewasser Nachhilfe. Dabei seien Freundschaften entstanden, sagt sie. Und einige Geflüchtete hätten dank Hilfe Lehrstellen gefunden.

Vera Rüttimann

Abends ist das Schulhaus Leewasser in Brunnen ein Lernort für Geflüchtete. Hierher kommen junge Frauen und Männer, die aus Eritrea, Afghanistan oder Syrien in die Schweiz geflohen sind. Sie erhalten von freiwillig Helfenden vertiefende Nachhilfe. Den eigentlichen Schulunterricht besuchen sie anderswo.

Ursina Albrecht mit Flüchtlingen und einem weiteren Helfer
Ursina Albrecht mit Flüchtlingen und einem weiteren Helfer

Deutschkurs, Steuern, Ämterpapiere

An diesem Abend ist es wieder so weit. Fünf Lernende und fünf Betreuende treffen sich um 19 Uhr vor dem Schulhaus. Von den zwölf Betreuenden, die mit den Geflüchteten lernen, kommen meist zwei bis vier pro Abend für zwei Stunden. An diesem Abend ist Ursina Albrecht unter den Freiwilligen.

Die Lernenden setzen sich in die Bänke und schlagen ihre Unterlagen auf. Die freiwillig Helfenden sind jetzt ganz Ohr für ihre Fragen. Die einen wünschen Unterstützung bei den Deutschaufgaben. Adere brauchen Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen, bei der Steuererklärung oder beim Verfassen ihrer Vertiefungsarbeit. Jemand versteht seine Stromrechnung nicht. Ein weiterer bekommt Tipps, wie er einen Computer korrekt bedient.

Ermutigung und praktische Tipps

Manchmal brauchen die jungen Frauen und Männer schlicht auch seelsorgerische Ermutigung. Oder «manchmal besprechen wir mit ihnen auch einen bevorstehenden Termin auf einem Amt», sagt Ursina Albrecht. Falls nötig liessen sie auch ihre Beziehungen spielen.

Ursina Albrecht erklärt einem Flüchtling etwas.
Ursina Albrecht erklärt einem Flüchtling etwas.

Reaktion auf Flüchtlingswelle

Die Idee, Geflüchteten zu helfen, entstand bei der grossen Flüchtlingswelle im Jahr 2015. Diese war auch in der Innerschweiz zu spüren. Plötzlich waren in den Dörfern mehr Menschen aus Syrien, Eritrea und Afghanistan zu sehen.

«Wir vom Frauenverein und von der reformierten und katholischen Kirche haben uns gefragt, was wir tun können», erinnert sich Ursina Albrecht. Sie ist Vizepräsidentin des Frauenvereins Brunnen. Der ökumenisch aufgestellte Verein ist dem Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF) und dem Evangelischen Frauenbund der Schweiz (EFS) angeschlossen.

Vom Kirchgemeindehaus zum Altersheim

Zuerst habe es einmal pro Monat am Samstag im reformierten Kirchgemeindehaus in Brunnen ein Begegnungs-Café mit Geflüchteten gegeben. Schon dort entwickelten sich enge Kontakte.

Ursina Albrecht ist Musiklehrerin, Sekretärin - und freiwillige Flüchtlingslehrerin
Ursina Albrecht ist Musiklehrerin, Sekretärin - und freiwillige Flüchtlingslehrerin

«Es sind schöne Beziehungen entstanden.»

Ursina Albrecht

«Es gab Frauen, die zunächst sagten: Wir servieren nur den Kaffee, mehr aber nicht. Es war dann aber schön zu sehen, wie sie anfingen, mit den Geflüchteten zu reden. Dabei sind schöne Beziehungen entstanden», erzählt Ursina Albrecht.

Gegenseitiges Lernen

Die Kommunikation mit den Geflüchteten habe immer besser geklappt. «Die Leute gingen allmählich in den Deutschkurs. So konnten wir uns nicht nur besser mit ihnen verständigen. Sie begannen auch zu lernen. Und wir mit ihnen», sagt Ursina Albrecht.

Der Begegnungstreff wurde später in die Cafeteria des örtlichen Altersheims verlegt. Einmal pro Woche trafen sie sich dort. Wegen Corona musste das Altersheim dann seine Türen für Auswärtige schliessen. Sie versuchten, via Zoom und bei Gesprächen an der frischen Luft miteinander in Kontakt zu bleiben.

Bereits im Sommer 2020 startete der wöchentliche Lerntreff erneut. Nun eben mit Masken und dem geforderten Abstand. Ursina Albrecht sagt über diese schwierige Zeit: «Es war wichtig, die Geflüchteten mit ihren Ängsten und Problemen nicht allein zu lassen.»

Früher Kontakt mit dem «Fremden»

Ursina Albrecht war 20 Jahre alt, als sie erstmals die Bekanntschaft mit Geflüchteten machte. «Als junge Studentin hatten wir in unserer WG für ein halbes Jahr ein kurdisches Ehepaar einquartiert. Die Frau war schwanger», erzählt sie.

Die Innerschweizerin ist eine umtriebige Person. Sie engagiert sich im Pfarreirat der Kirchgemeinde Ingenbohl-Brunnen. Sie ist Musiklehrerin und arbeitet mit Kindern in der Musikschule. Daneben arbeitet Ursina Albrecht in einem Fünfzig-Prozent-Pensum auf einem Büro als Sekretärin. «All diese Erfahrungen kann ich einfliessen lassen in meine Arbeit mit Geflüchteten.»

Im Schulhaus Leewasser in Brunnen tauschen sich die Flüchtlinge auch untereinander aus.
Im Schulhaus Leewasser in Brunnen tauschen sich die Flüchtlinge auch untereinander aus.

Berührende Geschichten

Inzwischen haben viele Geflüchtete, die den Nachhilfeunterricht im Schulhaus Lehrwasser besuchen, das Sprachdiplom B1 abgeschlossen. Einige haben dadurch eine Lehrstelle oder einen Praktikumsplatz gefunden. Da sei, so Ursina Albrecht, ein junger Afghane, der jetzt eine Elektrikerlehre mache. Ein anderer Geflüchteter absolviere eine Lehre zum Automechaniker. Davor konnten beide weder Deutsch lesen noch schreiben.

Ursina Albrecht kennt einige berührende Einzelschicksale. Da ist beispielsweise Ali, der an diesem Abend ebenfalls hier ist. Der junge Mann kommt aus einem Nachbardorf und hat nur einen Arm. Er war Analphabet, als er nach Brunnen kam.

Wie ein Enkel

«Eine ältere Frau aus unserem Team nahm sich seiner an. Bei jedem Treffen hat sie mit ihm Deutsch beigebracht. Sie behandelte ihn wie ihren eigenen Enkel. Das war wirklich megaherzig», sagt Albrecht. Eine andere Frau habe sich für einen jungen Geflüchteten so stark eingesetzt, dass dieser jetzt eine Lehrstelle habe. «Sie musste dafür viele Telefonate mit Behörden führen».

Nachhilfe für Geflüchtete
Nachhilfe für Geflüchtete

Am schwierigsten sei die Situation für die etwas älteren Geflüchteten. Ursina Albrecht beobachtet: «Sie sind mit ihren Gedanken und ihrer Seele viel eher in ihrem Heimatland geblieben und haben oftmals Schwierigkeiten, beruflich und persönlich in der Schweiz Fuss zu fassen.»

«Ich könnte ständig an Feste gehen, zu denen mich Geflüchtete einladen.»

Ursina Albrecht

Zu Beginn waren es unbekannte Menschen, denen die Helfenden um Ursina Albrecht Nachhilfeunterricht erteilt haben. In den letzten Jahren sind bei den Treffen auch einige Freundschaften entstanden.

«Ich könnte ständig an Feste gehen, zu denen mich Geflüchtete einladen», sagt Ursina Albrecht und lacht. Es sei schön, dass von Vielen eine solche Dankbarkeit für den Einsatz des Freiwilligen-Teams zu spüren sei. Ursina Albrecht resümiert: «Wir bekommen extrem viel zurück.»


Flüchtlinge erhalten praktische Hilfe. | © Vera Rüttimann
13. Juli 2022 | 05:00
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