Reyhaneh Jabbari verteidigt sich vor Gericht. Filmstill aus "Sieben Winter in Teheran"
Schweiz

Freiheitskämpferin über den Tod hinaus

Im Filmpodium Zürich feierte der Film «Sieben Winter in Teheran» Premiere. Er erzählt von der Leidensgeschichte der jungen Iranerin Reyhaneh Jabbari, die sich gegen ihre Vergewaltigung wehrte und dafür 2014 hingerichtet wurde. Im Anschluss an die bewegende Dokumentation stellte sich die deutsche Regisseurin Steffi Niederzoll den Fragen aus dem Publikum.

Sarah Stutte

Am Anfang von Steffi Niederzolls Film sieht man Videoaufnahmen einer fröhlichen jungen Frau, die im Kreise ihrer Familie wohlbehütet zu einer solchen heranwachsen konnte. Sie macht Scherze und ist einfach lebensfroh. Neugierig auf das, was draussen in der Welt auf sie wartet.

Die junge Iranerin Reyhaneh Jabbari in unbeschwerten Tagen.
Die junge Iranerin Reyhaneh Jabbari in unbeschwerten Tagen.

Von den Eltern werden die drei Töchter, von denen Reyhaneh Jabbari die älteste ist, sehr liberal erzogen. In einer Szene sagt der liebevolle Vater Fereydoon, dass er seinen Mädchen keine Steine in den Weg legen wollte: «Sie sollten als Frauen genauso viel erreichen können, wie Männer.» Deshalb hatte Reyhaneh ehrgeizige Träume und «alles zielstrebig daran gesetzt, diese zu verwirklichen», erzählt ihre Mutter Shole.

Versuchte Vergewaltigung

Doch dann wird das Leben der 19-jährigen Informatikstudentin, die nebenbei als Inneneinrichterin jobbt, im Sommer 2007 nachhaltig erschüttert. In einem Café lernt Reyhaneh den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter und Familienvater Morteza Abdolali Sarbandi kennen.

Moderatorin Monika Schärer (links) im Gespräch mit Regisseurin Steffi Niederzoll.
Moderatorin Monika Schärer (links) im Gespräch mit Regisseurin Steffi Niederzoll.

Dieser erzählt der jungen Frau, er sei Chirurg und suche jemanden, der seine Praxisräume umgestalten könne. Unter diesem Vorwand lockt Sarbandi die junge Frau in eine leerstehende Wohnung, wo er versucht, sie zu vergewaltigen.

Sieben Jahre im Gefängnis

Doch Reyhaneh wehrt sich und sticht den Angreifer in Notwehr mit einem Messer nieder. Danach flüchtet sie aus der Wohnung, verständigt aber noch den Rettungsdienst. Trotzdem verstirbt Sarbandi kurze Zeit darauf und Reyhaneh wird verhaftet. 2009 wird sie in einem unfairen Schauprozess wegen Mordes verurteilt – nach dem Vergeltungsgesetz der Blutrache «Qisās» zum Tode durch den Strick.

Reyhanehs Vater Fereydoon ist als einziges Familienmitglied immer noch im Iran. Ihm wurde bis heute ein Visum verweigert.
Reyhanehs Vater Fereydoon ist als einziges Familienmitglied immer noch im Iran. Ihm wurde bis heute ein Visum verweigert.

Eindrücklich schildern die Eltern und Schwestern, die vor der Kamera einige Male mit ihren Gefühlen kämpfen, diese Zeit. In der sie ihrer Tochter nicht helfen konnten, weil der Staat von den Beweisen bis zum richterlichen Beistand alles behinderte und manipulierte.

Sieben Jahre – sieben Winter – sitzt Reyhaneh in verschiedenen Gefängnissen in Teheran. Trotz aller nationaler und internationaler politischer und menschenrechtlicher Bemühungen, die unschuldige Frau freizubekommen.

Reyhaneh bleibt sich selbst treu

Die einzige Hoffnung, die der Familie bleibt, ist die Vergebung der Sarbandis. Sie allein haben es in der Hand, ob Reyhaneh stirbt oder lebt. Das iranische Blutrachegesetz sieht vor, dass die Familie des «Opfers» bei der Hinrichtung selbst entweder den Stuhl unter Reyhaneh wegzieht oder sie schlussendlich in die Freiheit entlässt. Dafür soll die inzwischen 26 Jahre alt Frau jedoch ihre Anschuldigungen gegen Sarbandi zurücknehmen. Doch sie bleibt bei ihrer Aussage.

Die deutsche Regisseurin Steffi Niederzoll, die Jabarris Familie durch ihren iranischen Freund kennenlernte, hat mit «Sieben Winter in Teheran» einen genauso schockierenden wie emotional berührenden Dokumentarfilm über Reyhaneh Jabbari gedreht.

Das Filmteam von "Sieben Winter in Teheran" bei der Premiere an der diesjährigen Berlinale.
Das Filmteam von "Sieben Winter in Teheran" bei der Premiere an der diesjährigen Berlinale.

Dieser wurde grössenteils mit heimlich gedrehtem und aus dem Land geschmuggelten Audio- und Videomaterial von Jabbaris nun im deutschen Exil lebender Familie realisiert sowie durch die Tagebucheinträge der jungen Frau. Die tote Reyhaneh wird durch die Stimme der «Holy-Spider»-Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi wieder lebendig, die diese Tagebucheinträge im Film liest.

Film geht unter die Haut

Nicht nur die Verzweiflung der Eltern geht dabei unter die Haut – die Filmemacherin schafft es bei aller Wut über die Ungerechtigkeit und Misogynie im Iran selbst Verständnis für Sarbandis Sohn aufzubringen, der hin- und hergerissen scheint zwischen seinen anerzogenen Ehrgefühlen und seinem Gewissen. Das ist stark inszeniert und lässt die Geschichte so nicht in allzu starres Schwarzweiss-Denken abdriften. Am Ende verlieren beide Familien, es gibt keine Gewinner.

Reyhanehs Mutter Shole
Reyhanehs Mutter Shole

Doch es gibt Hoffnung – eine weitere Qualität von Niederzolls Film, der niemanden der Anwesenden kalt liess. Tatsächlich mussten einige Besucherinnen und Besucher das Kino frühzeitig verlassen, weil ihnen die Geschichte so naheging.

Kampf gegen die Todesstrafe

Bei aller Trauer um Reyhaneh – im Gefängnis wurde diese zur Kämpferin ihrer Mitgefangenen und setzte sich für deren Freilassung ein. Eine Aufgabe, die nach ihrem Tod ihre Mutter übernahm und mithilfe einer von ihr gegründeten Stiftung bis heute weiterführt. Das Publikum in Zürich wurde von der Regisseurin dazu aufgefordert, sich per Petition gegen die Todesstrafe im Iran einzusetzen.

Das Filmpodium Zürich zeigt im Mai und Juni Filme von iranischen Frauen und über solche im Widerstand.
Das Filmpodium Zürich zeigt im Mai und Juni Filme von iranischen Frauen und über solche im Widerstand.

Zudem, sagte Niederzoll im anschliessenden Gespräch mit dem Publikum, hätte Reyhaneh immer darum gebeten, nach ihrem Tod «dem Wind übergeben zu werden». Bei der Arbeit an Buch und Film hätte die Mutter dann plötzlich gewusst, was ihre Tochter damit meinte. «Das sind die zwei Flügel für Reyhaneh, die nicht nur ihr Kind befreit hätten, sondern auch sie selbst», erzählte Niederzoll.

Mutige Heldin

Aufgrund der anhaltenden Proteste von unterdrückten Frauen im Iran, die auf brutalste Art und Weise von staatlicher Seite niedergeschlagen werden ist «Sieben Winter in Teheran» leider sehr aktuell. Niederzolls Film offenbart auf brutal-ehrliche Weise die Missstände in der iranischen Gesellschaft und porträtiert eine unfreiwillige mutige Heldin, die im Kampf für Frauenrechte ihr Leben gab. 

«Sieben Winter in Teheran» ist am 14. Juni und 29. Juni nochmals im Filmpodium Zürich zu sehen. Der Film wird in Zusammenarbeit mit dem Human Rights Filmfestival im Filmpodium-Monatsprogramm «Iranische Regisseurinnen im Widerstand» gezeigt. Zum Film ist gleichzeitig ein Buch erschienen, geschrieben von Reyhanehs Mutter, Shole Pakravan, und Steffi Niederzoll. (sas)


Reyhaneh Jabbari verteidigt sich vor Gericht. Filmstill aus «Sieben Winter in Teheran» | © Made in Germany Filmproduktion GmbH
8. Juni 2023 | 12:00
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