Die iranische Regisseurin und Künstlerin Shirin Neshat.
Schweiz

Iranische Regisseurin ist von «weiblicher Revolution» beeindruckt

Die bissige Polit-Satire «Land of Dreams» der iranischen Regisseurin Shirin Neshat erzählt von einem futuristischen Amerika, in dem der Staat und die Religion die Menschen kontrollieren. Regisseurin Shirin Neshat stellt damit die provokante Frage, ob die Unterdrückungsmechanismen des Iran nicht auch überall anders funktionieren.

Sarah Stutte

In nicht allzu ferner Zukunft haben die Vereinigten Staaten ihre Aussengrenzen abgeschottet. Das Zensusbüro – die wichtigste Behörde der neu-autoritären Regierung – entwickelt ein umfassendes Programm zur besseren Kontrolle der Gedanken ihrer Bürgerinnen und Bürger: Diese umfasst auch die Aufzeichnung ihrer Träume.

Filmstill aus "Land of Dreams"
Filmstill aus "Land of Dreams"

Simin ist eine solche «Traumfängerin». Auf einem surrealen Roadtrip fährt sie durch den Mittleren Westen der USA und sammelt die Träume der Menschen ein, die sie besucht. Die Protokolle liefert sie an Zensus ab. In ihrer Freizeit verwandelt sich Simin jedoch in eine Art Performance-Künstlerin, indem sie in die Rollen der von ihr interviewten Personen schlüpft und deren Träume vor der Kamera auf Farsi rezitiert. Vermutlich, um die Bindung zu ihrer Heimat nicht ganz zu verlieren.

Science-Fiction und Roadmovie

Als Amerikanerin mit iranischem Hintergrund wird sie bald darauf für eine Sondermission ihrer Behörde ausgewählt. Zusammen mit einem Leibwächter fährt sie zur sogenannten Kolonie, einem geheimen Wüstenlager, in dem iranische Freiheitskämpferinnen und -kämpfer im Exil leben. Diese Begegnung bringt sie dazu, sich mit ihren eigenen Wurzeln auseinanderzusetzen.

Filmstill aus "Land of Dreams"
Filmstill aus "Land of Dreams"

Der in Mexiko gedrehte Film «Land of Dreams» ist eine reizvolle Mischung aus verschiedenen Genres. Einerseits ist es eine Science-Fiction-Erzählung, deren Kontrollinstanzen und das Gebäude-Setting der Behörde nicht grundlos an George Orwells Dystopie-Klassiker 1984 erinnern. Gleichzeitig ist der Film aber auch ein geerdetes existenzielles Drama im Mantel einer politischen Satire mit Roadmovie-Zügen.

Surreale Momente in Amerika

Demgegenüber stehen absurd-groteske Begegnungen und rätselhafte Story-Elemente – etwa ein liebeskranker Dichter, der Simin auf Schritt und Tritt folgt. Auch Simins Motivation, Traumvideos zu produzieren und im Internet hochzuladen, bleibt letztendlich im Dunkeln. So verschwimmen in «Land of Dreams» bewusst die Grenzen zwischen Traum und Realität.

«Der Name des Films bezieht sich einerseits auf Amerika und die surrealistische Vorstellung eines Landes, in dem alle Menschen willkommen sind.» Das sagte die Regisseurin und Fotografin Shirin Neshat anlässlich der Premiere des Films im November in Zürich. Sie finde aber Träume generell faszinierend. «Vor allem Albträume, weil sie für mich eine Manifestation der individuellen und kollektiven Ängste der Menschen sind», so die Filmemacherin.

Zwischen zwei Welten

Ihre Hauptfigur sei ihr sehr ähnlich, sagte Shirin Neshat.Auch die Regisseurin, die den Film zusammen mit ihrem Lebenspartner Shoja Azari realisierte, ist eine gebürtige Iranerin, die in den USA lebt. «Ich verliess mit 17 Jahren mein Heimatland und studierte 1979 – zur Zeit der Iranischen Revolution – Kunst in den USA.

Ich habe also die Geschehnisse im Iran von einem Land aus mitverfolgt, das auf sehr problematische Weise in den Konflikt involviert war», so Neshat. Diese schwierige Beziehung habe sie versucht, in ihrem bisher persönlichsten Film zu kommentieren.

Filmstill aus "Land of Dreams"
Filmstill aus "Land of Dreams"

Auch der Fokus auf die Religion spielt dabei eine nicht unbedeutende Rolle. In einer Filmszene bezichtigt Simin einen New Age-Geistlichen, der eine sektenähnliche Gruppierung anführt, der Heuchelei und Shirin Neshat rechnet auf diese Weise mit konservativ-religiösen Überzeugungen ab. «Mir ist natürlich die Rolle der Frauen in der religiös konnotierten iranischen und islamischen Welt wichtig», erklärte sie.

Religiöse Ideologien gibt es überall

Gleichzeitig werfe sie aber auch einen kritischen Blick auf das Christentum in der westlichen Gesellschaft, das ebenfalls unterdrückend wirke, erklärte die iranische Künstlerin. Hier wie dort sei die Verbindung von Religion und Politik stets problematisch und die Leidtragenden oftmals die Frauen. «Kontrollierende Systeme gibt es überall. Ich wollte zeigen, was passiert, wenn sich niemand dagegen wehrt.»

Filmstill aus "Land of Dreams"
Filmstill aus "Land of Dreams"

In diesem Zusammenhang beschäftige sie sich auch seit langem damit, wie der weibliche Körper in der iranischen Kultur dargestellt werde. «Als eine Art Projektionsfläche für Männer, die darüber ihre religiösen Ideologien verbreiten können», meinte sie in Zürich. Die verschiedenen Regimes würden die Frauen zwingen, sich dieser Idee unterzuordnen und die Gesetzgebung werde dementsprechend gebeugt, so Neshat.

«Kraftvoll und symbolisch»

Was zurzeit im Iran passiere, finde sie deshalb bewundernswert, denn iranische Frauen hätten diese Machtstrukturen seit Jahrzehnten so akzeptiert. «Dass diese mutige, junge Generation jetzt aufsteht und sagt: Es reicht! Wir möchten nicht mehr, dass unsere Körper weiterhin für diese Ideologien missbraucht werden, ist so kraftvoll und symbolisch – eine weibliche Revolution», sagte Shirin Neshat.

Nicht zuletzt spiegle «Land of Dreams» ihren eigenen Kampf als iranische Frau wider – ihre ungelöste Beziehung mit ihrem Land. Es gebe ein Menge Wut, Angst und Frustration in ihr, die sie seit über 40 Jahren begleiteten, so Shirin Neshat.

«Vermutlich habe ich mich deshalb in meiner künstlerischen Tätigkeit auf starke, rebellische Frauenfiguren konzentriert, die sich gegen ihre Lebensumstände wehren.» Das habe sie stets inspiriert und gebe ihr auch jetzt Hoffnung: «Diese Überzeugung, die Angst zu überwinden und sich dem Bösen zu stellen.»

«Land of Dreams» läuft zurzeit in den Schweizer Kinos.


Die iranische Regisseurin und Künstlerin Shirin Neshat. | © 2022 Cineworx
29. November 2022 | 14:21
Lesezeit: ca. 3 Min.
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