Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.
Schweiz

«Es war in keiner Weise meine Absicht, jemanden zu verletzen»: Kurt Koch bittet um Entschuldigung

Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch sorgt mit einem Interview für Empörung. Nun stellt er klar, er habe «keineswegs den Synodalen Weg mit einer Nazi-Ideologie verglichen». Er bittet um Entschuldigung – bekräftigt aber seine Kritik am Synodalen Weg. Kochs Erklärung in voller Länge.

Kardinal Kurt Koch* 

An der Pressekonferenz nach der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hat der Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing, mir vorgeworfen, im Interview mit der «Tagespost» hätte ich den Synodalen Weg mit einem Nazi-Vergleich heftig kritisiert. Er hat mich ultimativ aufgefordert, diese «inakzeptable Entgleisung» zurückzunehmen und mich «umgehend zu entschuldigen».

Zeitgeist und Gefühl als Offenbarungsquellen?

Ich antworte umgehend, kann aber meine grundsätzliche Aussage nicht zurücknehmen, und zwar schlicht deshalb, weil ich keineswegs den Synodalen Weg mit einer Nazi-Ideologie verglichen habe, und ich werde dies auch nie tun. Der Sachverhalt ist vielmehr folgender:

Im Interview wurde mir die Frage gestellt, man könne immer wieder hören, «dass es angeblich neue Offenbarungsquellen gibt»: «Der Zeitgeist und das – ich nenne das mal so – Gefühl spielt da offenbar eine Rolle. Lässt sich denn die Lehre der Kirche auf diese Weise ändern?» 

Rückgriff auf die «Deutschen Christen»

Auf diese allgemein formulierte Frage habe ich auch in einem allgemeinen Sinn zu antworten versucht. Es war mir ein Anliegen, in diesem Zusammenhang die Barmer Theologische Erklärung in Erinnerung zu rufen, weil ich sie, auch aus ökumenischen Gründen, auch heute noch für wichtig halte. 

Dietrich Bonhoeffer ist das Gesicht der Bekennenden Kirche. Er widersprach den "Deutschen Christen".
Dietrich Bonhoeffer ist das Gesicht der Bekennenden Kirche. Er widersprach den "Deutschen Christen".

Um den Lesenden den Inhalt verständlich zu machen, musste ich kurz notieren, worauf diese Erklärung reagiert hat. Damit habe ich in keiner Weise den Synodalen Weg mit der Mentalität der «Deutschen Christen» verglichen und auch nicht vergleichen wollen. Wie die so genannten «Deutschen Christen» – Gott sei es gedankt – nicht alle deutschen Christen gemeint hat, so habe ich mit meiner Aussage in keiner Weise alle Synodalen im Blick gehabt, sondern nur jene Christen, die die in der Frage formulierte Behauptung vertreten. Und ich hoffe, weiterhin davon ausgehen zu können, dass diese Behauptung nicht die Meinung des Synodalen Weges ist.

Kritik am Orientierungstext des Synodalen Weges

Um ein mögliches Missverständnis, das nun allerdings zu meinem Bedauern eingetreten ist, zu vermeiden, habe ich einen zweiten Abschnitt hinzugefügt, den ich hier in Gänze zitieren will, weil er für mich der wichtigste ist: 

«Der christliche Glaube muss stets ursprungsgetreu und zeitgemäss zugleich ausgelegt werden. Die Kirche ist deshalb gewiss verpflichtet, die Zeichen der Zeit aufmerksam zur Kenntnis und ernst zu nehmen. Sie sind aber nicht neue Offenbarungsquellen. Im Dreischritt der gläubigen Erkenntnis – Sehen, Urteilen und Handeln – gehören die Zeichen der Zeit zum Sehen und keineswegs zum Urteilen neben den Quellen der Offenbarung. Diese notwendige Unterscheidung vermisse ich im Orientierungstext des ‘Synodalen Weges’.»

Die Zeichen der Zeit sind «Quellen der Erkenntnis»

Allein in diesem Zusammenhang habe ich eine Kritik am Orientierungstext formuliert, jedoch in keiner Weise den Synodalen Weg mit einem Nazi-Vergleich kritisiert. Wenn Bischof Bätzing in der Pressekonferenz erklärt hat, die Zeichen der Zeit seien «Quellen der Erkenntnis und für die Entwicklung der Lehre», dann kann ich ihm durchaus zustimmen. 

Georg Bätzing und Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe, 2022.
Georg Bätzing und Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe, 2022.

Doch Quellen der Erkenntnis sind etwas anderes als «Offenbarungsquellen» – davon abgesehen, dass ich diesen Begriff in sich für sehr problematisch halte. Und es stellt sich dann sogleich die weitere Frage, von welchen «Zeichen der Zeit» als Quellen der Erkenntnis und mit welchem Interesse ausgegangen wird.

Aus der Geschichte lernen

Diesbezüglich nehme ich offene Fragen im «Orientierungstext» und in anderen Texten des «Synodalen Weges» wahr. Und diesbezüglich stehe ich nicht allein da. Wer beispielsweise die zweite Beilage der «Tagespost» wahrnimmt, wird feststellen, dass ähnliche Fragen von einem Alttestamentler, einem Dogmatiker, einem Praktischen Theologen und einem Philosophen, alles verdiente Universitätsprofessoren, an den «Orientierungstext» gestellt werden. Meine kritische Anmerkung kann also nicht einfach Ausdruck einer völlig verfehlten Theologie sein.

Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022.
Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022.

Es war in keiner Weise meine Absicht, jemanden zu verletzen. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir auch heute aus der Geschichte, auch aus einer sehr schwierigen, lernen können. 

«Dieser Versuch ist mir misslungen»

Wie die heftige Reaktion von Bischof Bätzing und andere zeigen, muss ich nachträglich feststellen, dass dieser Versuch mir misslungen ist. Und ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind. Diejenigen, die sich von mir verletzt fühlen, bitte ich um Entschuldigung und versichere sie, dass dies nicht meine Intention gewesen ist und nicht ist.

Meine kritische Rückfrage kann ich allerdings nicht zurücknehmen. Ich habe sie nicht aus «purer Angst, dass sich etwas bewegt», und nicht mit der Absicht der «Delegitimierung», wie mir Bischof Bätzing unterstellt, aufgeworfen, sondern aus theologischer Mit-Sorge um die Zukunft der Kirche in Deutschland. Denn hinter meiner Anfrage steht die viel grundlegendere Frage, was unter «Offenbarung» zu verstehen ist. Diese Frage sehe ich in den Texten des Synodalen Weges nicht in genügender Weise geklärt. Ich wäre dankbar, wenn diese wichtige Frage einer weiteren theologischen Klärung unterzogen würde.

* Der Schweizer Kurt Koch (72) ist seit 2010 als Kurienkardinal in Rom tätig. Dort ist er der Ökumene-Minister des Papstes und Präsident der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum.


Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. | © KNA
30. September 2022 | 05:03
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