Glücklich? Naja! Mutter (Penélope Cruz) und Tochter (Luana Giuliani)
Filmtipp

Es brodelt unter der blank polierten Oberfläche: «L'immensità»

Clara könnte sich in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter im Italien der 1970er wohlfühlen – wenn nicht die Heuchelei und Oberflächlichkeit des Bürgertums wären. In «L’immensità» von Emanuele Crialese versucht eine Frau das Korsett der Konventionen zu sprengen, mit mässigem Erfolg.

Daria Pezzoli-Olgiati*

Würde Clara (Penélope Cruz) sich damit abfinden können, dass das Leben keinen Sinn hat, dann könnte sie alles geniessen, was man sich in einem italienischen Vorort der 1970er Jahre nur wünschen kann: einen attraktiven Ehemann, eine wunderschöne Wohnung mit Designmöbeln, fantastische Kinder, beindruckende Kleider und lange Ferien am Meer.

Clara (Penélope Cruz) ist unglücklich in ihrer Rolle
Clara (Penélope Cruz) ist unglücklich in ihrer Rolle

Der Ehemann, der fremdgeht, die Wohnung, in der sie meistens alleine sitzt, die Grossfamilie, die auf hohle bürgerliche Geschlechterrollen setzt oder die Kinder, die in Identitätskrisen stecken, sollte sie als vorübergehende Wolken am heiteren Himmel betrachten. Die plagenden existenziellen Fragen müsste Clara angesichts ihres hohen sozialen Status einfach verdrängen können – müsste…

Geht gar nicht: Clara (Penélope Cruz) tanzt mit Wasserschlauch.
Geht gar nicht: Clara (Penélope Cruz) tanzt mit Wasserschlauch.

Mit einer beeindruckenden Farbkulisse erkundet «L’immensità» von Emanuele Crialese das Unbehagen einer entfremdeten Mutter, die den Anschluss im dekadenten Milieu der idealen Familie nicht schaffen kann und will. Mit einem ästhetisch durchdachten, farbigen Stil bietet der Film ein Porträt der Familie, die nur als Fassade funktioniert.

Entleerte Werte, strenge Normen und unerträglich enggefasste Geschlechterrollen verunmöglichen erfüllende Beziehungen. Liebe und Zuwendung werden so im «Kern der Gesellschaft», der Familie, undenkbar. Auch die unkonventionelle, faszinierende und mysteriöse Clara schafft nur, die grassierende Heuchelei in Brand zu setzten. Verändern kann sie jedoch wenig.

*Daria Pezzoli-Olgiati ist Professorin für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied bei Interfilm. Pezzoli-Olgiati war Mitglied der Interfilm-Jury am Filmfestival in Venedig, die diesen Film ausgezeichnet hat.

«L’immensità», IT/FR 2022; Regie: Emanuele Crialese; ProtagonistInnen: Penélope Cruz, Lusana Giuliani, Vincenzo Amato; Verleih: Pathé Films; Filmseite: https://www.pathefilms.ch/catalog/limmensita/

Ab 1. Juni 2023 im Kino

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Glücklich? Naja! Mutter (Penélope Cruz) und Tochter (Luana Giuliani) | © 2023 Pathé Films AG
1. Juni 2023 | 05:00
Lesezeit: ca. 1 Min.
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