Kardinal Mario Grech in Prag.
Theologie konkret

Erzbischof Wolfgang Haas boykottiert den synodalen Prozess. Was sagen Sie dazu, Kardinal Mario Grech?

Kurienkardinal Mario Grech (65) ist «Mister Synode»: Bei ihm laufen die Fäden des synodalen Prozesses zusammen. Ein Gespräch über seine Erfahrungen in Prag, die Kritik von Kardinal Müller – und was er enttäuschten Katholikinnen und Katholiken der Synode 72 sagt.

Raphael Rauch

Eminenz, was ist die wichtigste Botschaft, die von Prag ausgeht?

Kardinal Mario Grech*: Wir haben gelernt, dass wir einen unterschiedlichen Hintergrund haben und unterschiedliche Positionen. Aber wir haben es geschafft, zusammen zu gehen und zusammen zu arbeiten. Das hat sich als sehr produktiv erwiesen.

Kardinal Mario Grech
Kardinal Mario Grech

Wie würden Sie einem Kind erklären, was Synodalität bedeutet?

Grech: Ich würde das Kind fragen: Gehst du gerne alleine – oder lieber mit deiner Familie spazieren? Ich denke, Kinder sind gerne mit der Familie unterwegs. Synodalität bedeutet in einfachen Worten: Die Familie Gottes, das Volk Gottes, ist gemeinsam auf dem Weg. Und jedes Familienmitglied hat etwas zu sagen und etwas beizutragen. Die Eltern entscheiden nicht einfach, sondern sie hören auf ihre Kinder und sind ständig im Austausch mit ihnen.

«Synodalität ist zeitaufwändig.»

Prag war der Auftakt vieler kontinentaler Konferenzen. Was lief gut, was lief schlecht?

Grech: Vieles lief sehr gut. Aber ich hätte mir mehr Zeit gewünscht. Synodalität ist zeitaufwändig – besonderes, wenn wir den spirituelleren Kontext aufrechterhalten wollen. Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass Diskussionen und Austausch innerhalb eines spirituellen Gesprächs stattgefunden hätten.

Teilnehmende unterhalten sich im Sitzungssaal in Prag, ganz links Tatjana Disteli aus der Schweiz.
Teilnehmende unterhalten sich im Sitzungssaal in Prag, ganz links Tatjana Disteli aus der Schweiz.

Wie geht das zusammen: kirchenpolitische Texte, Statements, Spiritualität?

Grech: Das eine schliesst das andere nicht aus. Der ganze synodale Prozess ist ein spiritueller Prozess. Wir alle lernen, dass die Früchte dieses synodalen Prozesses die Saat einer spirituellen Erfahrung sind.

Die Menschen im Libanon hoffen auf einen Neuanfang.
Die Menschen im Libanon hoffen auf einen Neuanfang.

Von Prag aus fliegen Sie direkt nach Beirut. Dort werden Sie ein anderes Gesicht der katholischen Kirche vorfinden. In den orientalischen Kirchen gibt’s verheiratete Priester und die Bischöfe werden synodal gewählt.

Grech: Diese Vielfalt macht die Schönheit der katholischen Kirche aus. Auch in Prag haben wir gespürt, dass es Einheit in Vielfalt gibt. Mit Blick auf die Synodalität können wir viel von der orthodoxen Kirche lernen, mehr aber noch von den katholischen Ostkirchen, weil sie in Einheit mit dem Papst leben.

Bericht des synodalen Prozesses
Bericht des synodalen Prozesses

Unter den Delegierten in Prag herrscht etwas Verwirrung. Für Montag ist das synodale Ergebnispapier angekündigt. Ist das die Endversion? Zunächst hiess es, alle könnten zu diesem Dokument noch Feedback einreichen.

Grech: Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil ich nicht Teil des Organisationsteams bin. Ich bin hier als Beobachter in meiner Rolle als Generalsekretär der Synode. Jede Synodenversammlung hat die Freiheit, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich habe auch noch keine Kopie des Textes. 

Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz.
Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz.

Die Woche in Prag hat gezeigt, wie aufwändig Kommunikation ist. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat gegenüber katholisch.de beklagt, das Treffen sei schlecht organisiert gewesen. Er habe keinen Link für das Online-Treffen erhalten. Und die Theologin Dorothea Sattler habe «erst einen Tag vor Beginn erfahren, dass sie die Arbeitsgruppe moderieren soll». Wie wollen Sie das Synoden-Treffen in Rom besser organisieren? 

Grech: Die Vorbereitung einer Synode ist aufwändig. Aber unser Büro hat damit Erfahrung. Es ist nicht das erste Mal, dass wir eine Synodenversammlung organisieren. Wir hoffen, dass es uns gelingen wird, mit all denen, die teilnehmen werden, Kontakt aufzunehmen und diesen zu pflegen.

Synodaler Prozess: Pressekonferenz im Vatikan im September 2021.
Synodaler Prozess: Pressekonferenz im Vatikan im September 2021.

Papst Franziskus hat Ihr Büro umbenannt. Sie sind nicht mehr für die Bischofssynode zuständig, sondern für die Synode. Was bedeutet der Namenswechsel?

Grech: Die große Veränderung besteht nicht im Namen, sondern in der Praxis. Diese Synode unterscheidet sich von den Synoden, die in der Vergangenheit stattgefunden haben. Die ganze Kirche nimmt daran teil. Die Treffen in den Diözesen, auf nationaler Ebene oder jetzt hier auf kontinentaler Ebene waren keine Vorbereitung, sondern bereits Teil der Synode.

«Ekklesiologisch ist die Unterscheidung durch die Bischöfe wichtig.»

Viele haben den Eindruck, dass das Entscheidende erst in Rom passiert.

Grech: Ich sehe das anders. Der ganze Prozess ist entscheidend. Es geht ums Zuhören – von Anfang bis Ende. Die Rückmeldungen, die an unser Sekretariat geschickt wurden, haben wir sehr ernst genommen. Für mich sind die Papiere «res sacra» – also nicht bloss Entwürfe, sondern Dokumente mit einem eigenständigen Wert. Natürlich kommt es auf das «discernement» an, auf die Unterscheidung. Und ekklesiologisch ist die Unterscheidung durch die Bischöfe wichtig – zusammen mit dem Volk Gottes. Der ganze Prozess ist also wichtig und nicht nur das, was in Rom passiert.

Bischof Joseph Bonnemain diskutiert mit Ordensvertreterinnen die Ergebnisse der "Wir sind Ohr"-Umfrage.
Bischof Joseph Bonnemain diskutiert mit Ordensvertreterinnen die Ergebnisse der "Wir sind Ohr"-Umfrage.

Der synodale Prozess ist keine Meinungsumfrage. Trotzdem hat das Volk Gottes auf Ihre Fragen geantwortet. Was machen Sie mit den Antworten?

Grech: Wir haben bewusst keinen Fragebogen verschickt. Uns ging es um die Unterscheidung. Unterscheidung ist etwas anderes, als nach Meinungen zu fragen. Das, was wir von den Bischofskonferenzen erhalten haben, ist das Ergebnis einer Unterscheidung, die von Menschen in Gruppen, dann vom Ortsbischof und dann von der Bischofskonferenz getroffen wurde. Das ist etwas völlig anderes als eine Meinungsumfrage oder eine Diskussion.

Kardinal Ouellet (links) und Bischof Bätzing an der Synode in Prag, 2023
Kardinal Ouellet (links) und Bischof Bätzing an der Synode in Prag, 2023

Manche haben in Prag einen Widerspruch zwischen den Predigten von Kardinal Hollerich und Kardinal Ouellet wahrgenommen. Kardinal Hollerich hat über eine inklusive Kirche gepredigt, während Kardinal Ouellet die göttliche Ordnung von Mann und Frau betont hat. Was bedeuten solche Unterschiede für eine synodale Kirche? 

Grech: Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil Kardinal Hollerich auf Deutsch und frei gepredigt hat. Entsprechend gab es keine Übersetzung.

Papst Franziskus auf dem Rückflug vom Südsudan nach Rom.
Papst Franziskus auf dem Rückflug vom Südsudan nach Rom.

Manche halten Papst Franziskus für einen Cha-Cha-Cha-Tänzer: ein Schritt nach vorne, zwei zurück. 

Grech: Ich teile diesen Eindruck nicht. Papst Franziskus hat einen klaren Kurs. Er will der Kirche helfen, Kirche zu sein. Eine Kirche, die das Evangelium verkündet und die Menschen erreicht. Mit dem synodalen Prozess möchte Papst Franziskus die Bedeutung des Volkes Gottes wiederfinden. Wir alle können an dieser Mission teilnehmen. Zweitens müssen wir neue Wege finden, damit die Freude des Evangeliums bei den Menschen ankommt. Synodalität und Evangelisierung sind zwei Seiten derselben Medaille.

Jesus (Yavn Sagnet) und seine Jüngerinnen und Jünger beim letzten Abendmahl. Szene aus "Das neue Evangelium" von Milo Rau.
Jesus (Yavn Sagnet) und seine Jüngerinnen und Jünger beim letzten Abendmahl. Szene aus "Das neue Evangelium" von Milo Rau.

Jesus war kein Mann des Konjunktivs, sondern geistesgegenwärtig. Sprechen reicht nicht zur Umkehr. Das Gute ist immer konkret. Der synodale Prozess vertröstet das Volk Gottes aber gerne auf morgen: Erst brauchen wir synodale Strukturen – und dann können wir die Themen angehen, die euch wirklich beschäftigen.

Grech: Als Kirche denken wir darüber nach, wie wir synodaler werden können. Sobald wir synodaler sind, können wir bestimmte Themen besser angehen. Und ich bin überzeugt: Eine synodale Kirche gibt bessere Antworten auf die existenziellen Fragen.

Ikonen auf Munitionskisten aus der Ukraine.
Ikonen auf Munitionskisten aus der Ukraine.

Sie haben in Rom erwähnt, dass zwei nationale Bischofskonferenzen nicht am synodalen Prozess teilgenommen haben. Ausser der Ukraine: Wer hat noch nicht mitgemacht?

Grech: Aus Respekt werde ich diese Frage nicht beantworten. Es liegt an den Bischofskonferenzen, sich zu erklären, wenn sie das möchten. Die Ukrainer haben es getan – und wir haben Verständnis dafür aufgrund der schrecklichen Situation.

Wolfgang Haas ist noch Erzbischof von Vaduz.
Wolfgang Haas ist noch Erzbischof von Vaduz.

Erzbischof Wolfgang Haas hat im Erzbistum Vaduz den synodalen Prozess boykottiert. Wie finden Sie das?

Grech: Gewisse Zweifel mögen berechtigt sein. Aber das Volk Gottes hat die Botschaft verstanden. Ich freue mich über alle, die sich am synodalen Prozess beteiligt haben. Ich beziehe mich jetzt nicht konkret aufs Erzbistum Vaduz, wenn ich sage, dass eine Nicht-Teilnahme eine verpasste Gelegenheit ist. Der synodale Prozess ist ein Moment der Gnade. Diejenigen, die sich im synodalen Prozess engagiert haben, haben sehr positive und vielversprechende Erfahrungen gemacht.

Günther Boss vom "Verein für eine offene Kirche" in Liechtenstein.
Günther Boss vom "Verein für eine offene Kirche" in Liechtenstein.

Laiinnen und Laien aus Liechtenstein haben den Boykott nicht akzeptiert und am Erzbischof vorbei einen synodalen Prozess organisiert. Haben Sie die Berichte, die Sie aus Liechtenstein erhalten haben, in Rom zur Kenntnis genommen?

Grech: Selbstverständlich.

«Der Bischof hört zu, betreibt die Unterscheidung, kommuniziert das Ergebnis – und holt nochmals Feedback ein.»

In Prag war viel von «decision taking» und «decision making» die Rede. Was meinen Sie damit genau?

Grech: Ich mache ein Beispiel. Ein Bischof ist für seine Diözese verantwortlich. Bevor er eine Entscheidung trifft, muss er auf sein Volk hören. Und das ist der Prozess der Entscheidungsfindung, also das «decision making». Im Vergleich zu einer Top-Down-Entscheidung bedeutet das: Wir brauchen mehr Zeit. Denn es geht ums Zuhören. Und um Zirkularität: Der Bischof hört zu, betreibt die Unterscheidung, kommuniziert das Ergebnis – und holt nochmals Feedback ein, um seine Entscheidung zu verifizieren. Dieses Prinzip wird uns helfen, den Willen Gottes zu erkennen. Denn unsere Entscheidungen sind ja keine politischen Entscheidungen.

Kardinal George Pell (links) begrüsst Tarcisio Pietro Evasio Bertone.
Kardinal George Pell (links) begrüsst Tarcisio Pietro Evasio Bertone.

Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass es Leute gibt, die den synodalen Prozess offen bekämpfen. Wen meinen Sie damit?

Grech: Die Antwort auf diese Frage überlasse ich Ihnen. 

Der Bischof und sein Priester-Nachwuchs: Joseph Bonnemain mit Seminaristen an der Osternacht 2021 in Chur.
Der Bischof und sein Priester-Nachwuchs: Joseph Bonnemain mit Seminaristen an der Osternacht 2021 in Chur.

Im selben Interview meinten Sie, der grösste Widerstand komme von jüngeren Priestern. Welche Erklärung haben Sie hierfür?

Grech: So pauschal habe ich das nicht gemeint. Es gibt junge Priester, denen es schwerfällt, sich auf diesen Prozess einzulassen. Aber es gibt viele andere, die sich mit Begeisterung darauf eingelassen haben. Wir Priester unterscheiden uns nicht von anderen Mitgliedern des Volkes Gottes. Wir alle brauchen eine Ausbildung. Durch die Ausbildung lernt man hoffentlich den Wert, die Bedeutung einiger dieser Dinge besser kennen.

Nur Kleriker auf dem Podium in Prag.
Nur Kleriker auf dem Podium in Prag.

Zu Beginn der Woche in Prag sorgte ein Foto in manchen Kreisen für Empörung, weil auf dem Podium nur Kleriker anwesend waren. In Rom achten Sie meistens darauf, dass mit Schwester Nathalie Becquart eine Frau auf dem Podium sitzt. Warum hat das in Prag nicht geklappt?

Grech: Das Volk Gottes ist Protagonist des synodalen Prozesses. Wir schließen niemanden aus. Das Bild war nicht optimal, aber ich kann es erklären: Anwesend waren die Menschen, die eine bestimmte Funktion innehatten. Sie waren nicht als Kleriker auf dem Podium, sondern kraft ihres Amtes.

Nathalie Becquart, Untersekretärin der Synode.
Nathalie Becquart, Untersekretärin der Synode.

Warum ist nach kanonischem Recht das Synodensekretariat nicht Teil der Kurie?

Grech: Das war nicht meine Entscheidung, sondern das ist einfach so. Aus meiner Sicht hat das weder einen Vorteil noch einen Nachteil. De facto habe ich nicht das Gefühl, dass wir nicht Teil der Kurie sind. 

Kardinal Gerhard Ludwig Müller gehört zu den einflussreichsten Kritikern von «Fiducia supplicans».
Kardinal Gerhard Ludwig Müller gehört zu den einflussreichsten Kritikern von «Fiducia supplicans».

Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller hat Sie scharf kritisiert: Sie hielten sich für eine «Super-Autorität».

Grech: Das ist völlig falsch. Ich bin hier, um zu dienen. Meine Autorität besteht darin, zu dienen. Und zwar dem ganzen Volk Gottes, zu dem auch meine Mitbrüder im Episkopat gehören.

Bischof an Bischof - der Klerikalismus als Gefahr für die Kirche
Bischof an Bischof - der Klerikalismus als Gefahr für die Kirche

Wer wird im Oktober nach Rom eingeladen – und wer wird Stimmrecht erhalten?

Grech: Diese Frage ist noch nicht geklärt. Die letzte Entscheidung hierüber liegt beim Heiligen Vater. Es ist eine Bischofssynode, insofern sind die Bischöfe sehr wichtig. Aber ich bin überzeugt, dass andere Mitglieder daran teilnehmen werden. Und von den Laiinnen und Laien wird mindestens Schwester Nathalie Becquart Stimmrecht haben.

«Synodalität bedeutet, einen Konsens anzustreben.»

Wenn das Volk Gottes Subjekt sein soll: reicht dann eine Laiin mit Stimmrecht?

Grech: Der Fokus auf die Frage des Stimmrechts überrascht mich, weil wir mit Abstimmungen nicht vorankommen. Synodalität bedeutet nicht, Abstimmungen zu gewinnen oder zu verlieren. Es geht darum, einen Konsens anzustreben.

"Love is love."
"Love is love."

1991 gab es eine Europa-Synode. Ein junger Weihbischof wollte damals über Geschiedene und künstliche Verhütung diskutieren, was einen Eklat auslöste. Sind wir heute weiter?

Grech: Thema des synodalen Prozesses ist die Synodalität. Wir sollten die Gelegenheit nicht verpassen, jetzt die Weichen für eine synodale Kirche zu stellen. Aber es gibt keine Tabu-Themen.

Vor 50 Jahren hat das Bistum Basel während der Synode 72 den Zugang von Frauen für die Weiheämter gefordert. Ältere Katholikinnen und Katholiken haben keine Lust mehr auf den synodalen Prozess, weil sie sagen: Das haben wir doch schon vor 50 Jahren diskutiert – und nichts ist passiert. Was antworten sie denen?

Synode 72 in Bern: Es wird über Frauenordination, Laienpredigt und Empfängnisverhütung diskutiert.
Synode 72 in Bern: Es wird über Frauenordination, Laienpredigt und Empfängnisverhütung diskutiert.

Grech: Ich verstehe die Ungeduld. Aber wir sollten auch zugeben, dass die Kirche wichtige Schritte nach vorne gemacht hat.

Ein Delegierter meinte in Prag, es gebe nicht nur Spannungen zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd. Sie stammen aus Malta, wo es mittlerweile auch die «Ehe für alle» gibt und das Abtreibungsverbot gelockert werden soll. Was denken Sie über Nord-Süd-Differenzen?

Grech: Ich finde solche Differenzen schwierig auszumachen. Wir leben in einer Weltkirche, in der wir mit Schwarz-Weiss-Mustern nicht weiterkommen.

Maltas Hauptstadt Valletta.
Maltas Hauptstadt Valletta.

Wird ein Ergebnis des synodalen Prozesses «heilsame Dezentralisierung» lauten, also mehr Autonomie für die Bischofskonferenzen oder gar für einzelne Bistümer?

Grech: Es gibt Themen, die die ganze Kirche angehen, und es gibt Themen, die von den Ortskirchen angegangen werden können. Das ist nichts Neues, sondern etwas, was in unserer Ekklesiologie verankert ist.

Die Schweizer Delegation im Livestream des synodalen Prozesses: Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen.
Die Schweizer Delegation im Livestream des synodalen Prozesses: Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen.

Was sagen Sie Menschen, denen das Wort Synodalität Angst macht?

Grech: Ich verstehe, wenn es Zweifel gibt. Das gehört zum Wesen der Kirche. Und es gibt Fälle, wo Synodalität bislang nicht gelebt wurde. Etwas Ungewohntes kann Unsicherheit hervorrufen. Aber wir können die Kirche nicht allein retten. Wir müssen den Weg gemeinsam gehen. Synodalität befähigt das ganze Volk Gottes. Sie befähigt die Laiinnen und Laien ebenso wie die Priester und die Bischöfe, die nicht allein unterwegs sind. Synodalität ist ein Geschenk des Heiligen Geistes für die Kirche heute.

Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion.
Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion.

Papst Franziskus und Kurienkardinal Kurt Koch haben in einem Video-Telefonat mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und seinem damaligen Aussenbeauftragten Metropolit Hilarion die Erfahrung gemacht, dass auch Kirchenleute oftmals nicht zuhören wollen. Was bedeutet Dialogverweigerung im synodalen Prozess?

Grech: Geduld ist eine wichtige Tugend. Wir sollten weiter hoffen und Geduld haben, bis es uns gelingt, ein hörendes Herz zu finden. Es ist wichtig, dass wir unsere Stimme erheben. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass wir den anderen zuhören müssen.

* Der Malteser Mario Grech (65) war von 2005 bis 2019 Bischof von Gozo. Seit 2019 arbeitet er für Papst Franziskus im Generalsekretariat der Bischofssynode, das mittlerweile Synodensekretariat heisst. Seit 2020 ist er Kardinal.


Kardinal Mario Grech in Prag. | © Raphael Rauch
12. Februar 2023 | 14:51
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