Philipp Landmark
Kommentar

Ein Abenteuer im besten Pfadi-Geist

Unter dem Titel «Grosszügigkeit beim Bundeslager: Gilt die auch für Geflüchtete und Fahrende?» arbeitet sich ein Kommentar am Bundeslager der Pfadibewegung Schweiz im Goms ab. Der Text verdreht so ziemlich alles, weshalb ich die Einladung gerne angenommen habe, eine Replik zu verfassen. Ein Gastkommentar.

Philipp Landmark*

Vorweg: Ich schreibe hier als eine der Pfadi wohlgesonnene Privatperson, ich spreche in keiner Weise für die Lagerleitung des BuLas oder andere offizielle Pfadi-Stellen.

Als früherer Pfadi – ich war, lange ist’s her, einmal Leiter einer Einheit – pflege ich heute noch Freundschaften, die in dieser Zeit gründen. Und so kam es, dass sechs reifere Kumpel dem Ruf folgten, beim Aufbau des Lagers zu helfen. Ich durfte eine Woche lang die Medienstelle unterstützen und unter anderem Facts & Figures zusammengetragen: Tatsächlich kann man sich in diesem BuLa an Zahlen in ungewöhnlichen Grössenordnung ergötzen. «Gigantoman»?, wie Wolfgang Holz schreibt?

Potenziertes Erlebnis der Pfadi

Wer die Behauptung aufstellt, Pfadi-Gründer Baden-Powell hätte angesichts dieses «Grössenwahns» auf der Stelle kehrt gemacht, hat in der Begeisterung über seine eigene Kommentar-These schlampig gegoogelt. Der Chief of Scouts himself lud schon 1920 zum World Jamboree ein und versammelte 8000 Pfadis – in der City of London, nicht jenseits der Zivilisation.

Es ging damals wie heute nicht um die Tonnen an Brot, nicht um die Zahl der Extrabusse. Es geht um das potenzierte Erlebnis der Pfadis.

Tatendrang und Vorfreude

Am Tag des eigentlichen BuLa-Beginns habe ich am Bahnhof Ulrichen beobachtet, wie alle paar Minuten Extrazüge der Matterhorn–Gotthard-Bahn jeweils mehrere hundert Pfadis aufs Lagergelände spülten: Glänzende Augen, übermütiges Gejohle, Tatendrang, riesige Vorfreude auf ein Abenteuer, von dem Jahrzehnte später noch erzählt werden wird.

Ich weiss nicht, wie es den Verantwortlichen der Lagerleitung und der Pfadi Schweiz, die in jahrelanger, teils aufreibender Knochenarbeit dieses BuLa möglich gemacht haben, in diesem Moment erging. Ich jedenfalls hatte ein Tränchen im Auge.

Pfadi bedeutet Gemeinschaft

«Sinnentstellend» sei das BuLa, behauptet der Autor. So ein Unfug! Er bezieht sich auf einen «Grundgedanken der Pfadi», den er wohl nicht einmal vom Hörensagen her kennt. Pfadi bedeutet zuallererst: Gemeinschaft. Gemeinsam etwas erleben, gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Und Rücksicht auf andere nehmen. Was auch bedeutet, dass in einem Lager dieser Grössenordnung sich individuelle Planungswünsche von Einheitsführern etwas unterordnen müssen (Einheitsführer Gimpel* hätte sich zuerst darüber geärgert und dann rasch den Sinn dahinter verstanden.).

Ein weiterer Grundgedanke: Die jungen Menschen werden von jungen Leiterinnen und Leitern angeführt. Wenn der Autor behauptet, junge Menschen arbeiten hier «am Karriere-Netzwerk von morgen», dann hat er den Sinn von Engagement nicht verstanden und die Freude an zielführender Fronarbeit nie erlebt. Es geht nicht um Vitamin B, nicht um den besseren Job in ein paar Jahren. Es geht um sinnstiftende Jugendarbeit, auch im Pfadialltag. Der Lohn für die Leiterin, für den Leiter: Die Kinder, die schliesslich freiwillig in der Pfadi sind, kommen nächsten Samstag wieder. Und nehmen vielleicht noch ein Gschpänli mit.

An Problemen wachsen

Was hingegen stimmt: In der Pfadi lernt man fürs Leben. Pfadileiterinnen und Pfadileiter, die ein solches Ding wie das BuLa durchziehen, kann man durchaus auch für andere Aufgaben gebrauchen. Sie haben gelernt, mit Widrigkeiten umzugehen, in schwierigen Situationen zu improvisieren, mit verschiedensten Menschen zusammenzuarbeiten. Sie sind an unzähligen Problemen gewachsen.

Nachhaltig organisiert

Völlig verhauen hat sich der Autor, wenn er vom «fragwürdigen ökologischen Charakter» des BuLas schreibt. Wohl noch selten in der Geschichte wurde ein so grosses Lager so nachhaltig organisiert. Für den Grossanlass war seit mehreren Jahren auch ein kompetentes Umwelt-Ressort in die Planung eingebunden, das unzählige clevere Massnahmen umsetzte.

Dazu als Hinweis: Wenn nicht etwa alle 14 Jahre einmal ein BuLa stattfindet, organisieren gegen 800 Einheiten eigene Sommer- oder Herbstlager. Auch jedes dieses Lager ist per se immer noch sehr viel umweltfreundlicher als etwa eine Woche Ferien auf Mallorca, und das BuLa ist in der Summe nochmals umweltfreundlicher als Hunderte einzelner Lager.

  • Im BuLa ist das Verpflegungskonzept ist bewusst darauf ausgerichtet, möglichst wenig Food-Waste zu generieren. Dass 600 Lastwagen täglich für die Verpflegung anfahren, ist eine reine Erfindung, woher kommt diese Zahl? Es dürften im Durchschnitt vielleicht ein Dutzend sein, viel mehr wäre logistisch gar nicht bewältigbar.
  • Der Wasserverbrauch wird zum Beispiel mit kontingentiertem kurzem Duschen auf ein absolutes Minimum reduziert. Das Abwasser wird zurückgehalten und dosiert abgegeben, um die Kläranlage nicht zu überlasten.
  • 2000 Post-Päckli pro Tag bedeuten grob gerechnet: Ein (Fress-)Päckli pro Teilnehmer während des Lagers. Also nicht mehr und nicht weniger, als es seit Generationen Usus ist.
  • Für den Materialtransport während des Aufbaus wurde ein hochkomplexes logistisches Konzept entwickelt, um zu verhindern, dass Fahrzeuge in Wiesen fahren. Auch während des Lagers wird mit aufwendigen Schutzmassnahmen darauf geachtet, möglichst jede Bodenverdichtung zu verhindern. Löcher für pfaditechnische Bauten wie Sarasani-Zelte mussten vorgängig abgesprochen werden.
  • Das Holz für Bauten usw. stammt aus der regionalen Schutzwald-Pflege (wäre also ohnehin angefallen), die Pfadis werden über den Umgang mit dem Holz instruiert, damit es nachher hochwertig recycliert werden kann.
  • Die Anreise aller Teilnehmenden wurde mit dem ÖV in einer logistischen Meisterleistung bewerkstelligt. Auch die Besuchstage sind mit ÖV-Anreisen organisiert.
  • Die Behörden haben das BuLa nicht aus einer «Gelassenheit» heraus bewilligt, sondern darauf geachtet, dass etwa Umweltauflagen oder Sicherheitsauflagen bis hin zu Evakuationsplänen höchsten Anforderungen entsprechen. Gleichzeitig haben die Behörden die Organisation darin unterstützt, diese Ziele zu erreichen.
  • Die Bauern, deren Land genutzt wird, haben Verträge mit der Pfadi abgeschlossen, sie werden für die Nutzung entschädigt. Der Zustand der Böden wird nach dem BuLa von unabhängiger Seite beurteilt; sollte ein Schaden entstanden sein, werden die Grundeigentümer auch dafür entschädigt. Grund zur Sorge, wie der Autor suggeriert, gibt es für die Bauern nicht.

Willkürliche Vergleiche

Ganz offensichtlich ging es dem Autor aber auch zu keinem Zeitpunkt darum, sich basierend auf Fakten eine Meinung zu bilden. Das zeigen auch die willkürlich ins Feld geführten Vergleiche des Pfadilagers mit der Situation von Flüchtlingen oder von Fahrenden.

Seine «verstörenen» Eindrücke sind dem Autor gemäss seinem Text auf «mehreren Fussmärschen durch das BuLa» gekommen. Leider hat er es dabei versäumt, die Scheuklappen abzulegen und sich ohne vorgefasste Meinung mit dem BuLa auseinanderzusetzen.

* Philipp Landmark (56) war über 30 Jahre im Journalismus tätig, zuletzt bis 2016 Chefredaktor des St. Galler Tagblatts. 2017 gründete er ein eigenes Kommunikationsbüro. In der Schaffhauser Pfadi wurde er auf den Namen Gimpel getauft, als Aktiver war er in den 1980er Jahren zuletzt Stammesführer.


Philipp Landmark | © zVg
3. August 2022 | 17:21
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