Wolfgang Holz
Kommentar

Grosszügigkeit beim Bundeslager: Gilt die auch für Geflüchtete und Fahrende?

Über 30’000 Pfadis kampieren zwei Wochen lang in einer Zeltstadt auf der grünen Wiese. Ob dies mit dem Grundgedanken der Pfadi noch etwas zu tun hat, darf bezweifelt werden. Die Grosszügigkeit der Behörden sollte auch für Geflüchtete und Fahrende gelten.

Wolfgang Holz

Zugegeben: Wer an der Strasse bei Ulrichen steht, staunt erstmal. Was sich da vor einem ausbreitet, wirkt phänomenal. Atemberaubend. Kilometerlang erstreckt sich eine Ansammlung aus Zelten, Holztürmen und kuriosen Bauten auf dem ehemaligen Militärflughafen. Man staunt auch innerlich über die Gelassenheit der Behörden, so etwas genehmigt zu haben. Ja, der Anblick ist so ungewöhnlich, dass man fast glaubt, Ausserirdische seien für zwei Wochen auf der Erde gelandet, um sich auf einem anderen Planeten zu verlustieren.

«Bulawar»? Gigantoman. Sinnentstellend.

Doch es sind eigentlich ganz bodenständige Pfadis, die sich hier für ihr Bundeslager eine riesige Stadt aufgebaut haben. Pfadi-City. Was sich zunächst wie eine unglaubliche Pionierleistung der «Pfädeler» ausnimmt, wirkt nach mehreren Fussmärschen durchs «Bula» jedoch irgendwie verstörend. Gigantoman. Sinnentstellend.

Schon die originell gemeinte Idee eines «Bulawar» – Wortspiel aus Boulevard und «Bula» – zeigt, wie weit sich der Gedanke des Pfadfindertums hier von den idealistischen Vorstellungen des Gründers Baden-Powell entfernt hat. Er hätte mit seinen Boyscouts wohl auf der Stelle kehrt gemacht, hätte er diesen Grössenwahnsinn mit eigenen Augen gesehen.

Was hat eine grossstädtische Prachtstrasse mit einem Pfadilager gemein? Geht es nicht darum, als Pfadi sich in der Natur aufzuhalten, alternative, umweltschonende Lebensformen zu pflegen und Gutes zu tun? Was man auf diesem «Bulawar» sieht, der Versorgungsader des Lagers, ist nichts anderes als eine mehr oder weniger herkömmliche Kopie unserer ganz normalen Konsumwelt.

Party- und Vergnügungspark

Eine Party- und Vergnügungsmeile der anderen Art. Mit Riesenkonzertbühne und Freizeitparkeinrichtungen. Mit Jugendlichen, die in der Gruppe daher schlendern wie zuhause auf dem Dorfplatz. Per Tinder kann man sich sogar einen Partner oder eine Partnerin im Lager suchen. Damit die Sicherheit gewährleistet ist, patrouillieren rund 40 Polizisten auf dem Gelände – während anderswo seit Jahren Ordnungshüter fehlen. Ach ja, das viel beschworene Naturerlebnis findet dann nicht selten ausserhalb des Lagers, bei Ausflügen, statt. Das einzige Unterscheidungskriterium zur realen Welt scheint die Pfadikrawatte zu sein.

Die Tatsache, dass die Migros als einer der Hauptsponsoren des 25-Millionen-Franken-Camps täglich mit 600 Lastwagen tonnenweise Nahrungsmittel ins Wallis karrt, unterstreicht den fragwürdigen ökologischen Charakter des Grossprojekts. Auch die 2000 Päckchen, die die Post hier täglich zustellt, machen einen stutzig. Geht es nicht um das Leben abseits der Zivilisation und weg von zuhause?

Grosssponsoren wollen imponieren

Man merkt schnell, dass die Grosssponsoren sich einfach mächtig ins Zeug gelegt haben, um der Kundschaft im «Bula», ihrer Kundschaft von morgen, imponieren zu wollen. Dabei würde man es als Otto-Normalverbraucher schätzen, wenn die Migros ihre Ressourcen für günstigere Lebensmittel einsetzen würde. Auch würde man sich freuen, wenn man in Postfilialen speditiver bedient würde anstatt zumeist erst mal warten zu müssen.

Doch das interessiert im «Bula» niemanden. Hier geht es einzig um den Mega-Event. Darum, ein Grossprojekt lanciert zu haben und entsprechend «läss» zu managen. Pfadi zu sein, ist ja so hipp. Hier treffen sich junge Menschen, zumeist ohne Migrationshintergrund, mit guten Manieren, und arbeiten am Karriere-Netzwerk für morgen.

Bauern, die sich um ihre Kühe sorgen

Das «Bula»-Grossprojekt gefällt aber nicht allen. Schon die Bauern im Tal fürchten um ihr Heu auf den niedergetrampelten Wiesen und um die Gesundheit ihrer Kühe, die möglicherweise liegengelassene Nägel verschlucken könnten.

Und es kommen einem beim Anblick des «Bula» auch noch andere Bilder und Assoziationen in den Sinn. Jene von Flüchtlingslagern etwa. Wie in Calais. In Griechenland. In Syrien. Hätte man so etwas jemals genehmigt auf der schönen grünen Wiese im Wallis? Und wären die Behörden ähnlich grosszügig, wenn Fahrende einen Grossevent planten? Never ever.


Wolfgang Holz | © Stefan Kaiser
2. August 2022 | 17:33
Lesezeit: ca. 2 Min.
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