Drückte auch Jesus die Schulbank? Wissenssplitter zum Schulanfang

Spätestens am Sonntagabend beginnt das grosse Stöhnen: Schulanfang in den vorletzten Kantonen. Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt, dass sumerische Kinder bereits 3000 v. Chr. in Tafelhäusern lernten. Jesus konnte wohl schreiben und eine englische Ordensschwester im 17. Jahrhundert ermöglichte Mädchen eine Schulbildung.

Natalie Fritz

Jesus wird im Kindheitsevangelium des Thomas nicht als Musterschüler inszeniert, sondern als widerspenstiger Besserwisser, der es seinem Lehrer Zachäus nicht leicht macht. Umso interessanter, dass er als Erwachsener in den Evangelien als Lehrer bezeichnet wird. Allerdings nicht als Rohrstab schwingenden ABC-Drillmeister, sondern als Vermittler der Lehre. Dies tut er vor Ort – nicht in einem Schulhaus – unter den Menschen, und zwar mündlich, in ihrer Sprache. Eine interessante Tatsache, wenn man bedenkt, dass das Christentum als Buchreligion bezeichnet wird.

Bibeln
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Auf Ton und nicht auf Papier – Schreibschulen in Mesopotamien

Lernen und Lehren sind unabdingbare Voraussetzungen für die individuelle Einbindung des einzelnen Menschen in eine Gesellschaft. Die Vermittlung des entsprechenden Wissens passiert einesteils in der Familie anderenteils in der Schule – und zwar schon seit geraumer Zeit.

Keilschrifttafel aus Ton über Bierbestände, 3100–3100 v. Chr. British Museum, London.
Keilschrifttafel aus Ton über Bierbestände, 3100–3100 v. Chr. British Museum, London.

Bereits 3000 v. Chr. gab es in Mesopotamien Schulen. Sie wurden «Tafelhäuser» genannt, weil die Schüler nicht auf Papier schreiben lernten, sondern auf Tontafeln ritzten, die sie zuvor hergestellt hatten.

Sumerische Königsliste, Weld-Blundell prisma, um 1827–1817v. Chr.
Sumerische Königsliste, Weld-Blundell prisma, um 1827–1817v. Chr.

Gelehrt wurde wohl in erster Linie Lesen und Schreiben. Die Schüler waren wohl hauptsächlich Knaben aus der privilegierten Oberschicht.

Archäologische Funde von Aufzeichnungen administrativer Vorgänge legen nahe, dass die Schulbildung ein praktisches Ziel hatte. Ausserdem wurde Wissen über rechtliche, kultische und medizinische Belange verschriftlicht und festgehalten.

Das Gilgamesch-Epos über den gleichnamigen König von Uruk und seiner Suche nach Unsterblichkeit gehört zu den ältesten schriftlich fixierten Werken der Literatur. Die Tontafeln in sumerischer Keilschrift stellen die ältesten Gilgamesch-Erzählungen dar.

Alphabetisierung nimmt zu

Funde legen nahe, dass spätestens ab Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. zumindest in den mesopotamischen Städten ein beachtlicher Teil der Männer des Schreibens und Lesens mächtig waren. Eine grosse Zahl an Ton- und Wachstafeln belegt dies. Auch in Ägypten tauchen bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. Schriftstücke auf.

Die Verwaltung grosser Reiche erforderte eine Dokumentation. Nur so konnten wirtschaftliche, administrative und religiöse Vorgänge korrekt und nachvollziehbar archiviert werden.

Amenhotep Sohn des Hapu schreibt auf Papyrus, 1388–1353 v. Chr., Museum Luxor, Ausschnitt.
Amenhotep Sohn des Hapu schreibt auf Papyrus, 1388–1353 v. Chr., Museum Luxor, Ausschnitt.

Ägyptologinnen und Ägyptologen gehen davon aus, dass ein geringer Teil der Bevölkerung lesen und schreiben konnte, da die Ausbildung ansonsten wohl eher «fachspezifisch» organisiert war. Der Gärtner musste nicht schreiben können, dafür musste er wissen, welche Pflanzen wo am besten wuchsen.

Der Beruf des Schreibers war allgemeiner – wer lesen und schreiben konnte, war vielseitig einsetzbar – und wohl hochangesehen. Allgemein gilt, dass wohl nur die Reichen und Mächtigen – also männlichen Geschlechts – lesen und schreiben konnten und damit bereits als Kinder anfingen.

Antike: Öffentliche Schulen für alle in Griechenland, Open air-Schulen in Rom

Im antiken Griechenland war Bildung zentral, allerdings nur für junge, freie Männer und in privaten Häusern. Die einzelnen Stadtstaaten legten aber unterschiedliche Prioritäten bei der Ausbildung junger Menschen fest.

Griechenland: Mann mit Wachstafel, um 500 v. Chr., Museum Berlin.
Griechenland: Mann mit Wachstafel, um 500 v. Chr., Museum Berlin.

So wurden etwa in Sparta vor allem die Kampfkünste gelehrt. Sportliche Ertüchtigung scheint im antiken Griechenland jedoch überall zur Ausbildung gehört zu haben.

Ab 300 v. Chr. konnten in Griechenland dann fast alle freien Menschen zur öffentlichen Schule, dem Gymnasium, sogar Mädchen. Nach und nach bildete sich der Unterrichtskanon der sieben freien Künste heraus: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie.

Diese «artes liberales» wurden im römischen Reich übernommen und bilden bis heute die Grundlage der modernen Schulbildung.

Lesender, 1. Jahrhundert v. Chr., Herculaneum, Neapel.
Lesender, 1. Jahrhundert v. Chr., Herculaneum, Neapel.

Im römischen Reich bekamen die Kinder privilegierter Eltern Privatunterricht von meist griechischen Lehrern. Auch wenige Mädchen reicher Eltern kamen in Genuss solchen Unterrichts.

Sie lernten nebst rechnen auch lesen und schreiben auf Latein und Griechisch, das in einem Grossteil des Reiches gesprochen wurde. Kinder aus unteren Schichten besuchten öffentliche Grundschulen. Die Klassenzimmer waren manchmal in einem Ladenlokal untergebracht, nicht selten auch open air. Nicht gerade beste Voraussetzungen für konzentriertes Lernen.

Ging Jesus zur Schule? Widersprüche in den Evangelien

Die Texte des Alten Testaments bieten kaum verifizierbare Informationen über die Schule in vorexilischer Zeit. Zwar werden die Weisheitstexte, insbesondere das Buch der Sprüche, von einigen Exegetinnen und Exegeten als Schulbücher qualifiziert, konkret wird aber eine Schule im Alten Testament nicht erwähnt. Dass einige Menschen im alten Israel schreiben und lesen konnten, weil sie eine Art Schule besuchten, belegen archäologische Funde von Übungsdokumenten. Wie genau die Ausbildung organisiert war, wer zur «Schule» ging und wer nicht, das lässt sich nur rekonstruieren.

Jesus predigt und lehrt unter den Menschen.
Jesus predigt und lehrt unter den Menschen.

Zur Zeit Jesu waren die jüdischen Bildungsstätten wohl vom griechischen Bildungssystem beeinflusst. Ihre Verbindung zu den Synagogen als zentrale Orte der Wissensvermittlung war aber wohl eng. Das Bildungsziel der Synagogenschulen war in erster Linie das Erlernen des Lesens, damit die Schrift im Synagogengottesdienst gelesen werden konnte. Schreiben war hingegen nicht gleichermassen zentral. Ob Jesus eine Schulbildung erhalten hatte, ist umstritten.

Jesus streitet mit seinem Lehrer Zachäus, um 1340. Schaffhausen, Stadtbibliothek.
Jesus streitet mit seinem Lehrer Zachäus, um 1340. Schaffhausen, Stadtbibliothek.

Die Evangelien weisen darauf hin, dass Jesus als Synagogenbesucher wohl in diesem Kontext lesen und schreiben gelernt hatte. Andererseits stammte er aus der Handwerkerschicht, war gelernter Zimmermann, was gegen eine «Schulbildung» spricht. Sowieso wird Jesus in den Evangelien eher als Lehrer, denn als Schüler beschrieben.

Allerdings erzählt das Kindheitsevangelium des Thomas, eine apokryphe Schrift, von Jesus als Schüler, der schon als Kind voller Weisheit war. Mit seinen Fragen und seinem Wissen treibt er seinen Lehrer Zachäus zur Verzweiflung. «Ich hatte mich darum bemüht, einen Schüler zu bekommen, und es hat sich gezeigt, dass ich einen Lehrer bekommen habe», ruft Zachäus und bittet Josef, seinen Sohn aus der Schule zu nehmen, er sei bereits etwas Grosses.

Mittelalterliche Schulbildung im klösterlich-kirchlichen Umfeld

Im feudalen System des europäischen Mittelalters gerieten die «artes liberales» etwas in Vergessenheit, beziehungsweise waren nur noch für eine kleine Elite relevant. Das Gros der Menschen brauchte eine praktische Ausbildung und keine Allgemeinbildung. In den Genuss von Bildung kamen nur noch die Privilegierten. Ausser, man fand ein Plätzchen an einer Kloster-, Stifts- oder Domschule.

Kinder werden dem Kloster als Schüler übergeben, Mitte 14. Jh., UB Leipzig.
Kinder werden dem Kloster als Schüler übergeben, Mitte 14. Jh., UB Leipzig.

Diese Bildungsstätten waren zwar eigentlich dem (angehenden) Klerus vorbehalten, nahmen aber immer wieder auch weltliche Schüler auf. Die Schüler waren dann aber häufig bereits Teenager und keine Kinder mehr. Der Fokus lag auf dem Lesen der Bibel und dem Schreiben.

Unter Karl dem Grossen wurden Hofakademien und Stiftschulen gegründet, um ein gewisses Mass an Volksbildung und religiöser Unterweisung zu gewährleisten. Viele europäische Universitäten haben übrigens ihre Wurzeln in Kloster- oder Domschulen.

Mündige Christinnen und Christen

Die Reformation schaffte mit den Klöstern auch wichtige Bildungsstätten – insbesondere für Mädchen und Frauen – ab. Nichtsdestotrotz befand Martin Luther es notwendig, die Menschen zu bilden, damit sie mündige Christinnen und Christen würden und die Bibel selbstständig lesen könnten.

Mary Ward, eine katholische englische Ordensschwester setzte sich im 17. Jahrhundert beim Papst dafür ein, dass auch Mädchen Zugang zu Wissen erhielten. Sie gründete gegen enormen Widerstand der kirchlichen Obrigkeit mehrere Institute beispielsweise in Italien, den Niederlanden oder Österreich.

Es zeigt sich, Wissen hat viel mit Macht und Privilegien zu tun. Die Möglichkeit, in die Schule zu dürfen, ja, zu müssen, ist wohl ein kleiner Trost für die heutigen Schulkinder. Ermutigend dürfte hingegen sein, dass die Schülerinnen und Schüler in früheren Zeiten wohl viel längere Unterrichtsstage und körperliche Strafen erdulden mussten.


Schulstunde im antiken Rom: der Lehrer (wahrscheinlich ein Grieche) mit zwei Schülern am Lernen, der dritte kommt verspätet, 180–185 v. Chr. Trier, Rhein. Landesmuseum | © Wikimedia Commons/Carole Raddato, CC BY-SA 2.0
19. August 2023 | 06:45
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