Strahlendes Weihnachten in der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich.
Schweiz

«Dieses Mal bete ich noch mehr um den Frieden»: Mit Kyrill im Hochgebet feiern Russen in Zürich Weihnachten

Sinnlich. Melodiös-meditativ. Friedvoll. Lichterstrahlend. So feierten mehr als 400 Gläubige die Geburt Jesu am Heiligen Abend in der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich. Auch zahlreiche ukrainische Flüchtlinge waren in der Mitternachtsmesse. Patriarch Kyrill wurde im Hochgebet beim Namen genannt.

Wolfgang Holz

Schon vor dem Eingang der russisch-orthodoxen Kirche liegt Weihrauch in der Luft. Während Zürich bereits zu schlafen scheint, strömen immer mehr Gläubige zur Auferstehungskirche in der Narzissenstrasse. Da in Russland der julianische Kalender gilt, feiern orthodoxe Christinnen und Christen Weihnachten erst 13 Tage später: am 7. und 8. Januar.

Ausser Familien mit Kindern besuchen vor allem viele Frauen den Weihnachtsgottesdienst. Einige von ihnen ziehen erst unmittelbar vor dem Eingang ins Gotteshaus, der von zwei ungeschmückten Christbäumchen gesäumt ist, ein Kopftuch über. Sie verneigen sich vor der Kirche und bekreuzigen sich.

Alle Frauen trugen meist sehr schöne Kopftücher in der Kirche.
Alle Frauen trugen meist sehr schöne Kopftücher in der Kirche.

Alle Frauen mit Kopftüchern

Auch Diana aus Moldawien bedeckt ihr Haupt mit einem Kopftuch – kurioserweise mit Leopardenmuster. «Die Frauen tragen während des Gottesdiensts ein Kopftuch, damit die Männer nicht abgelenkt werden von der Messe», sagt die Mittvierzigerin und lächelt. Es gebe da allerdings auch noch eine andere Theorie. «Ein orthodoxer Heiliger hat gesagt, Frauen sollen das Kopftuch tragen, um ihre Emotionen zu dämpfen.»

Sie selbst freut sich auf den Weihnachtsgottesdienst. «Gott hat sich unser erbarmt und hat uns den Erlöser geschickt», sagt sie. Dass in der Ukraine Krieg herrscht, findet sie schrecklich. «Das ist für alle Menschen schlimm, wenn es Krieg gibt.»

In der Auferstehungskirche ist die Vigil mit Erzpriester Michail Zeman und Diakon Daniel Schärer in vollem Gange. Die königlichen Türen sind geöffnet worden. Zuerst werden der Altartisch mit dem gesamten Altar beweihräuchert.

«Segne, Gebieter»

Dann geht der Diakon mit der Kerze auf dem Ambo und ruft auf Kirchenslawisch aus: «Segne, Gebieter.» Der Priester zeichnet danach vor dem Altartisch mit dem Weihrauchfass ein Kreuzzeichen und spricht ebenfalls: «Segne, Gebieter.»

Erzpriester Michail Zeman und Diakon Daniel Schärer vor dem königlichen Tor.
Erzpriester Michail Zeman und Diakon Daniel Schärer vor dem königlichen Tor.

Unaufhörlich werden Psalmen gesprochen, Frauen auf der Empore lösen die Geistlichen mit Chorgesang dazwischen ab. Immer wieder geht das Licht an und aus. Die Geistlichen sind ständig in Bewegung. Durch die Psalmen-Sprechgesänge entsteht eine Art religiös-meditativer Flow. Wie beim Rosenkranzgebet in der katholischen Kirche.

«Für uns Russen ist Weihnachten sehr wichtig.»

Julia aus Krasnodarsk

Die ständig stehenden Gläubigen bekreuzigen sich und beten zwischendurch vor einzelnen Ikonen, die an der Wand des Gotteshauses hängen. Julia, «eine halbe Ukrainerin», wie sie sagt, hat gerade eine Kerze angezündet. Ursprünglich stammt sie aus dem südrussischen Krasnodarsk.

Lichterglanz während der Weihnachtsliturgie.
Lichterglanz während der Weihnachtsliturgie.

«Für uns Russen ist Weihnachten sehr wichtig», sagt sie. Es sei das wichtigste Fest nach Ostern. Sie selbst sei sehr religiös und gehe jede Woche in die Kirche zum Beten. «Für mich persönlich bedeutet Weihnachten, dass alles einen neuen Sinn bekommt, eine neue Wahrheit.» Angesichts des Kriegs in der Ukraine bete sie an diesem Weihnachten noch mehr um den Frieden. In der Kirche sind zum Weihnachtsgottesdienst laut Diakon Daniel Schärer auch zahlreiche ukrainische Flüchtlinge erschienen, die mitbeten und mitfeiern.

Kamilavka abgenommen

Inzwischen haben sich Erzpriester Michail Zeman und Diakon Daniel Schärer in die Mitte der Kirche begeben. Der Erzpriester hat seine schwarze Kopfbedeckung abgenommen, die Kamilavka. Die beiden stehen umringt von Gläubigen. Eine angenehme, fühlbare Nähe sowie eine religiöse Gemeinschaft aller Gläubigen entsteht.

Der Diakon zückt das Messbuch mit zerlesenen Seiten und ruft Heilige und Kirchenväter an. Dann werden Brote, Weizen und Öl auf dem Altartisch gesegnet. Das Staccato der Psalmen steigert sich dramatisch durch eine ständige Erhöhung des Grundtons im Sprechgesang.

Ikonen und Kerzen.
Ikonen und Kerzen.

Kurz vor Mitternacht, vor Beginn der eigentlichen Weihnachtsliturgie, verdunkelt sich der Kirchenraum zusehends. Wie in einer heiligen Grotte sind die Menschen versammelt. Immer mehr Menschen strömen in die Auferstehungskirche.

«Pominalnye Zapiski»

Die Gläubigen schwappen vom Kirchenraum in den Empfangsbereich über, wo zwei Frauen Kerzen und religiöse Souvenirs und Bücher verkaufen. In einem Körbchen liegen «pominalnye zapiski» – Zettel, auf denen Namen von Personen in kyrillischer Handschrift stehen, für die gebetet werden soll.

Nicht alle Gläubigen stehen drei Stunden lang in der Kirche und feiern mit. Das ständige Stehen ist anstrengend. Wer möchte, kann in einem Nebenraum eine Tasse Tee trinken. Sich ausruhen. Manche werfen einen Blick aufs Handy.

Erzpriester Michail Zeman
Erzpriester Michail Zeman

Ein Junge dreht an seinem Zauberwürfel. Im hinteren Teil des Raums ist eine Art Gemeindebazar aufgebaut, wo von Modeschmuck bis Pflaumenmarmelade mit dem Namen «Marmelade by Maria» allerlei zu erstehen ist. Auch der neue orthodoxe Kalender mit den Feiertagen liegt aus.

Zweimal Weihnachten gefeiert

Nicolas, ein Franzose, der in Zürich lebt, feiert an diesem Abend quasi sein zweites Weihnachten. «Das war als Kind schon so.» Seine Vorfahren sind vor der russischen Revolution ausgewandert, er ist orthodoxen Glaubens. Für ihn endet nun im Prinzip auch die Fastenzeit mit der Weihnachtsliturgie um Mitternacht. «Ich faste eigentlich das ganze Jahr und lächelt sympathisch.

In der Kirche selbst hat längst eine sinnliche Lichterexplosion stattgefunden. Festliche Gesänge erschallen. Weihrauch an allen Orten. Jesus Christus ist sichtlich und hörbar geboren. Über 300 Menschen gehen zur Kommunion. Es herrscht eine Stimmung der Glorie, des Glanzes und der Erleichterung unter den Gläubigen.

Der Moskauer Patriarch Kyrill im November 2022.
Der Moskauer Patriarch Kyrill im November 2022.

Patriarch Kyrill weiterhin im Hochgebet

Putin spielt an diesem Abend keine Rolle. Allerdings wird sein Verbündeter im Hochgebet erwähnt: der Moskauer Patriarch Kyrill. Manche russisch-orthodoxen Priester und Bischöfe haben Kyrill wegen seiner Nähe zu Putin und wegen seiner religiösen Kriegspropaganda aus dem Hochgebet gestrichen. In Zürich wird er weiterhin genannt. «Solange Kyrill nicht in Häresie verfällt, gibt es keinen Grund, ihn nicht zu nennen», sagte Diakon Daniel Schärer bereits im März 2022, kurz nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine.

Die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche in Zürich.
Die russisch-orthodoxe Auferstehungskirche in Zürich.

Dabei gerät der Krieg in der Ukraine an diesem Weihnachtsabend in Zürich nicht in Vergessenheit. Im Gebet für die Wiederherstellung des Friedens beten Russen und Ukrainer um das Ende des Kriegs. Möge Christus, der Erlöser, alle Gebete erhören!


Strahlendes Weihnachten in der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich. | © Wolfgang Holz
7. Januar 2023 | 13:47
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