Daniel Schärer, russisch-orthodoxer Diakon und seit neuestem frisch geweihter Priester
Schweiz

Russisch-orthodoxer Diakon: «Wir nennen Kyrill weiterhin im Hochgebet»

Manche russisch-orthodoxe Priester und Bischöfe haben den Moskauer Patriarchen Kyrill aus dem Hochgebet gestrichen. In Zürich wird er weiterhin genannt. «Solange Kyrill nicht in Häresie verfällt, gibt es keinen Grund, ihn nicht zu nennen», sagt Diakon Daniel Schärer.

Raphael Rauch

Welche Botschaft ging vom letzten Sonntagsgottesdienst aus?

Daniel Schärer*: Es war ein besonderer Sonntag – der letzte Sonntag vor der Fastenzeit. Da steht die Vergebung im Zentrum. Wir hatten das Evangelium aus der Bergpredigt. Gott sagt: Wenn wir nicht vergeben, vergibt uns Gott nicht. Der erste Schritt für uns lautet also, einander um Vergebung zu bitten und Vergebung zu erhalten. 

«Wenn wir einander vergeben sollen, sind alle gemeint.»

Hat Erzpriester Mikhail Zeman den Krieg in der Ukraine thematisiert?

Schärer: Nein. Aber zu uns kommen auch Menschen aus der Ukraine. Es ist klar: Wenn wir einander vergeben sollen, sind alle gemeint.

Kyrill I., Russisch-Orthodoxer Patriarch von Moskau und Russland, Dezember 2016.
Kyrill I., Russisch-Orthodoxer Patriarch von Moskau und Russland, Dezember 2016.

Russisch-orthodoxe Bischöfe in der Ukraine haben Patriarch Kyrill aus dem Hochgebet gestrichen. In der Diaspora haben sich manche Priester dem angeschlossen. Wie sieht’s bei Ihnen in Zürich aus?

Schärer: Patriarch Kyrill wird selbstverständlich weiterhin im Hochgebet genannt. Er ist unser Kirchenoberhaupt. Solange Kyrill nicht in Häresie verfällt, gibt es keinen Grund, ihn nicht zu nennen – auch viele Bischöfe in der Ukraine tun das nach wie vor.

Tete-à-tete: Der russische Staatspräsident Wladimir Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I.
Tete-à-tete: Der russische Staatspräsident Wladimir Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I.

Patriarch Kyrill steht ganz eng an der Seite Putins, legitimiert seinen Krieg in der Ukraine. 

Schärer: Unser Gottesdienst hat nichts mit Politik zu tun. Wir kennen alle Leute in der Ukraine und die Leiden des ukrainischen Volkes. Es geht jetzt darum, den Menschen zu helfen, die gegenseitige Liebe und den Frieden zu stärken. Wir sind als Kirche für alle Menschen da, egal ob aus der Ukraine, Belarus, Russland, Moldawien oder woher auch immer. Es geht darum, Gott zu suchen.

Ich habe gehört: Manche gehen aus Protest nun nicht mehr in die russisch-orthodoxe, sondern in die griechisch-orthodoxe Kirche.

Schärer: Das weiss ich nicht, da habe ich keinen Überblick.

Russisch-orthodoxe Auferstehungskirche in Zürich.
Russisch-orthodoxe Auferstehungskirche in Zürich.

Äussern Sie sich so diplomatisch, weil Sie sonst Ärger bekämen – sei es aus der russisch-orthodoxen Community, sei es aus Moskau?

Schärer: Natürlich ist das ein schwieriges Thema. Ich verstehe auch die Perspektive der Menschen in der Ukraine. Aber unsere Kirchgemeinde ist immer noch die gleiche wie vor einem Monat. Es geht hier nicht um Politik, sondern um persönliche Beziehungen, persönliche Bande. Wir sollten die Spaltung jetzt nicht grösser machen, sondern einander zuhören, zusammen beten.

Wie bewerten Sie persönlich das Verhalten von Patriarch Kyrill?

Schärer: Das kann ich Ihnen nicht sagen. 

«Es mag tausend Gründe für sein Verhalten geben.»

Warum nicht?

Schärer: Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was ihn beschäftigt, was er macht. Es mag tausend Gründe für sein Verhalten geben. Ich weiss es einfach nicht – und dann ist es besser zu schweigen. Wichtig ist jetzt, sich nicht hineinziehen zu lassen in den Hass und die Polarisierung. 

Warum sind Sie vor 32 Jahren von der reformierten zur russisch-orthodoxen Kirche konvertiert?

Schärer: Mein Grund war derselbe wie damals bei Wladimir dem Grossen. Der hat vor über tausend Jahren eine Kommission eingesetzt, um nach der besten monotheistischen Religion zu schauen, wurde in Konstantinopel fündig und liess sich mitsamt der ganzen Kiever Rus taufen. Bei mir war das ähnlich: Ich habe eine russisch-orthodoxe Liturgie in Genf besucht und gespürt: Hier ist Gott und den Menschen. Das war mein Bekehrungserlebnis.

Laut Website sind Sie «Kirchenältester». Was ist ein Kirchenältester?

Schärer: Die direkte Übersetzung vom russischen «Starosta». Wir haben nicht den Schweizer Begriff «Kirchenpflegepräsident» gewählt, weil das nicht ich bin, sondern der Pfarrer.

* Daniel Schärer ist Diakon der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich.


Daniel Schärer, russisch-orthodoxer Diakon und seit neuestem frisch geweihter Priester | © Raphael Rauch
9. März 2022 | 15:02
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