Eva Schmassmann, zuständig für Entwicklungspolitik bei "Alliance Sud"
Schweiz

«Diese Politiker wissen nicht, wie Schweizer Entwicklungshilfe funktioniert»

Bern, 26.10.16 (kath.ch) Die Orientierung der Entwicklungshilfe an migrationspolitischen Interessen der Schweiz ist «unsinnig». Diese Ansicht vertritt Eva Schmassmann, bei Alliance Sud zuständig für Entwicklungspolitik. Seit 2015 habe sich unter den Bundesparlamentariern ein Trend verstärkt, Entwicklungshilfe und Migrationspolitik zu verknüpfen. Die Fachfrau stellt klar: «Die Gelder der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit können gar kein Pfand sein in Verhandlungen mit Regierungen.»

Barbara Ludwig

Das Schweizer Parlament hat diesen Herbst beschlossen, die Migrationspolitik und die Entwicklungshilfe «dort, wo es im Interesse der Schweiz ist», strategisch miteinander zu verknüpfen. Gibt es einen Trend in der Bundespolitik, diese beiden Bereiche aneinander zu koppeln?

Eva Schmassmann: Nicht unbedingt in der Bundespolitik, denn diese Forderung kommt nicht aus der Verwaltung. Aber ich stelle fest, dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier das jetzt explizit verlangen.

Seit wann beobachten Sie den Trend bei den National- und Ständeräten?

Schmassmann: Bereits in der Vergangenheit gab es entsprechende Vorstösse. Seit 2015 aber hat sich das verstärkt. Dieses Jahr lancierten Politiker auch Vorstösse im Zusammenhang mit der Einwanderung aus Eritrea, in denen sie forderten, Eritrea solle zu einem Schwerpunktland für die Entwicklungszusammenarbeit erhoben werden.

Früher war die Verknüpfung von Entwicklungshilfe mit migrationspolitischen Zielen ein SVP-Thema. Heute ist es auch bei der FDP und der CVP eine Mehrheitsforderung geworden.

Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

Schmassmann: Es hat damit zu tun, dass seither mehr Flüchtlinge nach Europa unterwegs sind. Die Fluchtbewegungen haben Ängste ausgelöst, die auch geschürt worden sind. Für gewisse Parlamentarier ist die Orientierung der Entwicklungszusammenarbeit an migrationspolitischen Interessen der Schweiz eine Antwort darauf. Allerdings eine unsinnige.

Wieso ist das nicht sinnvoll?

Schmassmann: Die migrationspolitischen Interessen der Schweiz können sehr schnell ändern, je nachdem, wo neue Krisenherde und damit Fluchtgründe entstehen. Wenn man so schnell auf wechselnde Realitäten reagieren will, setzt man bereits Erreichtes aufs Spiel. Will man Entwicklungszusammenarbeit sinnvoll betreiben, muss man von der Perspektive ausgehen, zwischen acht und zehn Jahren an einem Ort zu bleiben. Nötig ist also eine längerfristige Strategie.

Gerade wenn man auch die strukturellen Ursachen von Armut beseitigen will, braucht es längerfristige Engagements, um Resultate zu erreichen. Und wenn man an den Ursachen von Armut und Konflikten arbeitet, arbeitet man übrigens immer auch an den Ursachen von Migration.

Wie steht Alliance Sud grundsätzlich zur Verknüpfung von Entwicklungshilfe mit migrationspolitischen Zielen?

Schmassmann: Wir lehnen sie immer und grundsätzlich ab. Es besteht die Gefahr, dass man nur noch in Ländern helfen will, aus denen Flüchtlinge in die Schweiz kommen. Das heisst aber nicht, dass man nicht gegen die Ursachen von Flucht und Migration vorgehen soll.

Wie sehen die Verknüpfungen von Entwicklungshilfe und Migrationspolitik, die Politiker vorschlagen, konkret aus?

Schmassmann: Etliche Politiker haben offenbar den Eindruck, man könne zum Beispiel der Regierung von Eritrea einige Millionen Franken anbieten und diese würde das Geld ins Gesundheits- oder Bildungssystem des eigenen Landes investieren und wäre anschliessend im Gegenzug bereit, mit der Schweiz Rückübernahmeabkommen abzuschliessen. Diese Vorstellung ist illusorisch.

Inwiefern?

Schmassmann: Diese Politiker wissen offenbar nicht, wie die Schweizerische Entwicklungszusammenarbeit funktioniert. Die Gelder der Deza (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) können gar kein Pfand sein in Verhandlungen mit Regierungen. Erstens handelt es sich um relativ kleine Summen im Vergleich zu den nationalen Haushaltbudgets der betreffenden Länder. Die Schweiz ist in der Entwicklungszusammenarbeit kein grosser Player. Zweitens fliessen die Gelder der Entwicklungszusammenarbeit gar nicht an die Regierungen. Mit den finanziellen Mitteln werden vielmehr Projekte unterstützt, die die Deza oder die Schweizer Hilfswerke in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern in den betreffenden Ländern umsetzen.

Wird der Entscheid des Parlaments negative Auswirkungen auf die Schweizer Hilfswerke haben?

Schmassmann: Die neue Regelung lässt immer noch Spielraum zu. Noch besteht kein gesetzlicher Auftrag, nur dort aktiv zu werden, wo man migrationspolitische Eigeninteressen im Fokus hat. Damit gibt es auch noch keinen Zwang, ausschliesslich in Ländern zu arbeiten, aus denen Asylsuchende zu uns kommen. Das ist das eine.

Zum andern sind die Hilfswerke zum Glück nicht ausschliesslich abhängig von der öffentlichen Finanzierung. Die Spendengelder, die sie erhalten, lassen ihnen genügend Flexibilität, um dort weiterzuarbeiten, wo sie es für sinnvoll erachten.

Heisst das, Alliance Sud kann mit der neuen Regelung leben?

Schmassmann: (seufzt) Es wäre uns lieber gewesen, man hätte darauf verzichtet. Denn sie gibt schon eine bestimmte Richtung vor. Bislang wurde die Schweiz immer dafür gelobt, dass sie ihre Entwicklungszusammenarbeit aus einer humanitären Tradition heraus macht und nicht so stark mit Eigeninteressen verknüpft. Entwicklungszusammenarbeit kann sich am besten entfalten, wenn sie losgelöst von den Interessen eines Landes, das sie leistet, gewährt wird. Und wenn man dabei analysiert, wie man in einem bestimmten Kontext am meisten erreichen kann.

 

 

Eva Schmassmann, zuständig für Entwicklungspolitik bei «Alliance Sud» | © Barbara Ludwig
26. Oktober 2016 | 17:00
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Alliance Sud

Alliance Sud ist die gemeinsame entwicklungspolitische Organisation von sechs grossen Schweizer Hilfswerken. Dies sind die katholischen Hilfswerke Fastenopfer und Caritas Schweiz sowie die Hilfswerke Brot für alle, Swissaid, Helvetas und das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (Heks). Alliance Sud setzt sie sich seit 1971 in der Politik, der Öffentlichkeit und gegenüber Wirtschaftsakteuren für gerechte Nord-Süd-Beziehungen und eine nachhaltige Entwicklung ein. Seit 2005 tut sie dies unter ihrem heutigen Namen.