Chiara Lubich, Gründerin der ökumenischen Fokolar-Bewegung.
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«Die wohl mächtigste Frau in der katholischen Kirche»

Sie gilt als eine der grossen spirituellen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts: Chiara Lubich. Die Italienerin gründete die Fokolare, eine religiöse Laienbewegung, die nicht immer unumstritten war. Vor 100 Jahren wurde die Fokolar-Gründerin geboren.

Christopher Beschnitt

Der «Spiegel» nannte sie «die wohl mächtigste Frau in der katholischen Kirche»: Chiara Lubich. Die Italienerin hat eine der heute am weitesten verbreiteten religiösen Laienbewegungen gegründet: die Fokolare.

Praktizierte Nächstenliebe

Am 22. Januar 2020 würde Lubich 100 Jahre alt. Ihre Karriere begann als Reaktion auf die Schrecken des Krieges. 1943 erschüttern Bomben Trient, die Stadt in Norditalien. Tausende Menschen fliehen, auch die Familie Lubich. Doch Chiara bleibt.

23 Jahre jung ist die tiefgläubige Volksschullehrerin. Mit Freundinnen bezieht sie eine kleine Wohnung. Die Frauen setzen auf praktizierte Nächstenliebe, sozusagen als Kontrastprogramm zum Weltkriegsgrauen um sie herum.

«Alle sollen eins sein.»

Das erste «Fokolar» entsteht, das die Trienter Bevölkerung nach einem Wort für Herdfeuer benennt, in Anlehnung an die Wärme von Flammen und der sich darum sammelnden Familie. Die Frauengemeinschaft will ihr Leben komplett in den Dienst Gottes stellen, getreu einem Satz aus dem Johannes-Evangelium: «Alle sollen eins sein.»

Zentrum Eckstein der Fokolar-Bewegung.
Zentrum Eckstein der Fokolar-Bewegung.

Daraus entwickelt sich unter den Fokolaren – zu denen bald auch Männer zählen – der vehemente Einsatz für ein friedvolles Miteinander aller Menschen in Geschwisterlichkeit, unabhängig von Konfession und Religion.

«Unkontrollierbare Tränen»

Lubich selbst wächst mit drei Geschwistern auf. Sie ist Kind einer überzeugten Katholikin und eines engagierten Sozialisten. Mit 19 beginnt ihr «geistiges Abenteuer», wie es die Fokolare nennen. Lubich besucht den marianischen Wallfahrtsort Loreto in Mittelitalien. In der dortigen Basilika steht der Tradition zufolge Marias Geburtshaus aus Nazareth. Als sie dort gekniet habe, so Lubich später, habe etwas Göttliches sie umfasst. «Ich weinte unkontrollierbare Tränen.»

Vier Jahre später tritt Lubich dem Dritten Orden der Franziskaner bei. 1949 beendet sie ihre Mitgliedschaft, behält aber ihren geänderten Namen: Chiara – statt Silvia, wie sie getauft wurde –, zu Ehren der Ordensgründerin Klara von Assisi.

Immer eine Frau an der Spitze

Am 7. Dezember 1943 legt Lubich das ewige Gelübde der Keuschheit ab. Dieses Datum gilt als Beginn der Fokolar-Bewegung. An deren Spitze steht laut Statut immer eine Frau. Dieses «weibliche Postulat» erklärt die deutsche Fokolar-Sprecherin Andrea Rösch so: «Chiara wollte sicherstellen, dass die Fokolare immer laiengeführt sind, und die marianische Dimension zum Ausdruck bringen.»

Und so heissen die längst päpstlich approbierten Fokolare kirchenrechtlich «Werk Mariens». Aktiv sind sie heute in 182 Ländern und zählen rund 110’000 Mitglieder.

90 Prozent der Fokolare sind katholisch.

Zugehörig fühlten sich der Organisation bis zu zwei Millionen Menschen. 90 Prozent der Fokolare seien katholisch, hinzu kämen Angehörige anderer Konfessionen und Religionen sowie Bekenntnislose.

Personenkult gilt als überwunden

So erfolgreich die Ausbreitung der Fokolare gelungen sein mag, ihre Geschichte hat auch Schatten. Da gibt es etwa den Vorwurf eines sektenähnlichen Personenkults um Chiara Lubich. Die Kritik sei heute nicht mehr haltbar, aber früher teils begründet gewesen, meint Rösch. «Chiara selbst war daran nie gelegen.» Lubich starb am 14. März 2008 mit 88 Jahren in Rocca di Papa bei Rom.

Papst Benedikt XVI. gedachte ihrer als einer «Botin der Hoffnung und des Friedens». Geehrt worden war Lubich auch zu Lebzeiten: etwa mit dem Menschenrechtspreis des Europarats, dem Unesco-Friedenspreis und dem Templeton-Preis, dem «Nobelpreis der Theologie». Ferner war sie Ehrenpräsidentin der «Weltkonferenz der Religionen für den Frieden».

Seligsprechung ist in Gang

Posthum könnte eine weitere Würde folgen: Der 2015 eröffnete Seligsprechungsprozess für Lubich hat es just in die vatikanische Prüfung geschafft. Die Fokolare selbst gedenken ihrer Gründerin zum Jubiläum unter anderem mit einer international koordinierten Jahresschau des Historischen Museums von Lubichs Heimatstadt Trient. Zudem sind 2020 weltweit Festgottesdienste, Kulturveranstaltungen, Symposien und Tagungen zum Gedächtnis an die Italienerin geplant.

Chiara Lubich mag also fast zwölf Jahre tot sein, ihr Feuer brennt weiter. (kna)

Hinweis: Informationen über die Fokolar-Bewegung in der Schweiz und Aktuelles zu 100-Jahr-Anlässen.

Chiara Lubich, Gründerin der ökumenischen Fokolar-Bewegung. | © KNA
22. Januar 2020 | 11:37
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Ehrenbürgerin von Mollens

Chiara Lubich verband eine enge Beziehung zur Schweiz. Wie der Schweizer Zweig der Fokolar-Bewegung mitteilt, verbrachte sie ihre Sommerferien oft in Mollens im Wallis, wo sie 2007 das Ehrenbürgerrecht bekam. Lubich pflegte zudem einen intensiven Kontakt zum Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf, sprach an einer ökumenischen Feier im Grossmünster Zürich (2001) und in der reformierten Kirche St. Pierre in Genf. Weiter werden Auftritte an den beiden Kongressen des Forums «Politik und Geschwisterlichkeit» in Martigny 2003 und Bern 2004 genannt. In der Schweiz fand nebst verschiedenen kleineren Anlässen am 21. Januar in Lugano ein Festgottesdienst mit Bischof Valerio Lazzeri zum Gedenken an Chiara Lubich statt.

In der Schweiz stehen gemäss Angaben auf der Internetseite zwischen 15’000 bis 20’000 Personen mit der Fokolar-Bewegung in Verbindung, davon zählen 1000 als Mitglieder. Der Festanlass für die deutsche Schweiz wird laut Mitteilung am Freitag, 22. Mai, im zugerischen Baar, wo die Fokolar ein Gemeinschafts- und Bildungszentrum betreiben, stattfinden. (ms)