Koran-Verteilung auf der Strasse in Aarau
Schweiz

Die Schweiz zeigt sich uneins bezüglich der Aktion «Lies!»

Zürich, 16.11.16 (kath.ch) In Deutschland wurde der salafistische Verein «Die wahre Religion» verboten. In der Schweiz darf er weiterhin seine Strassenaktionen durchführen. Die Bundesanwaltschaft führt verschiedene Strafverfahren gegen Personen, die mit dem «Lies!»-Projekt zu tun haben oder zu hatten, melden Schweizer Medien am Mittwoch.

Der Verein sei «verfassungsfeindlich», es handle sich um das «grösste deutsche Sammelbecken jihadistischer Islamisten», heisst es in einer Erklärung der deutschen Regierung. Sie sieht in «Lies!» ein Propaganda-Werkzeug für islamistische Kreise. Insgesamt wurden in Deutschland seit Anfang der Woche rund 190 Wohnungen, Büros und Liegenschaften im Zusammenhang mit dem Verbot durchsucht.

Seit April 2012 ist der deutsche Verein «Die wahre Religion» in der Schweiz aktiv, meldet der Winterthurer «Landbote» am Mittwoch. Seither werden immer wieder Gratiskorane verteilt. Einige Städte stellen sich aber quer. Die Regionalpolizei von Brugg AG hat seit 2012 den «Lies!»-Aktivisten keine Bewilligung mehr erteilt, «da Abklärungen ergaben, dass radikale Islamisten dahintersteckten», sagte Stadtammann Daniel Moser gegenüber dem Zürcher «Tages Anzeiger».

Die Stadt sei auch bei Organisationen wie die Scientologen oder wenn es darum gehe, Gideon-Bibeln vor Schulen zu verteilen, zurückhaltend. Von den Koran-Verteilern sei seit der Absage vor über vier Jahren kein Gesuch mehr eingegangen. Die Stadt Baden AG bewilligt laut Stadtammann Geri Müller pro Gruppierung und Jahr nur zwei Standaktionen. Der «Tages Anzeiger» weist darauf hin, dass weitere Organisatoren der Koran-Verteilungen auch mit dem Verein «Islamischen Zentralrat Schweiz» (IZRS) verflochten seien. Der Verein hat wiederholt Vertreter des Salafismus aus Deutschland in die Schweiz eingeladen.

Vorstoss in Winterthur

Vor allem in Winterthur sollen «mehrere jüngere Menschen» über die Koran-Verteilaktion radikalisiert worden sein, schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» am Mittwoch. Als Gründer des Schweizer Ablegers von «Lies!» gelte der Konvertit Sandro V. Dieser sitzt seit Februar in Untersuchungshaft. Ihm wird die Beteiligung an Kampfhandlungen in Syrien vorgeworfen.

In Winterthur konnte die Stadtbehörde die Koran-Verteilung nicht untersagen. Es fehlten Belege, dass diese Aktionen für «kriminelle Handlungen» geworben hätten. Gemäss NZZ führ die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit «Lies!» Strafverfahren gegen einige Personen.

Religiösen Frieden sichern

Der Kanton Zürich hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses soll analysieren, welchen juristischen Spielraum die Behörden im Zusammenhang mit den Aktionen haben. Regierungsrat Mario Fehr weist in der NZZ darauf hin, dass die 400’000 Muslime in der Schweiz grösstmehrheitlich ein normales Leben führten und ihren Teil zum Erfolg der Schweiz beitrügen. Auch um den religiösen Frieden zu schützen, möchte Zürich Organisationen, «die eine Nähe zum Jihadismus haben», aus dem Verkehr ziehen.

Am einfachsten könnte ein Verbot von «Lies!» im Rahmen des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaida» und «Islamischer Staat» sowie «verwandter Organisationen» erfolgen. Dieses «IS-Gesetz» trat gemäss NZZ 2015 in Kraft und ist bis Ende 2018 befristet.

Burka und «Lies!»

Vor einem Verbot warnt der Basler Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Markus Schefer, im «Tages Anzeiger». «Nur weil ein paar Mitglieder dieser Organisation nach Syrien gereist sind und sich dem IS angeschlossen haben, kann man nicht die ganze Organisation verbieten», sagte Schefer. Es brauche eine schwerwiegende Gefährdung der Sicherheit. Die Praxis des deutschen Bundesverfassungsgerichts sei sehr restriktiv, wenn es um das Verbot von Organisationen gehe. Entsprechend könne «man davon ausgehen, dass es hier konkrete Hinweise auf eine Gefährdung gibt».

Er verwahrt sich auch dagegen, das Verbot der Burka mit dem Verbot extremistischer Gruppen gleichzusetzen. «Wenn jemand mit einer Volksinitiative das Verbot dieser Gruppe in die Verfassung schreiben will, dann kann er das machen. Analog wäre, wenn der Bundesrat per Polizeinotverordnung die Burka verbieten würde – und das kann er ja auch nicht.»

Das Gratis-Angebot von «Lies!» erweitert sich. Bisher wurde der Koran verschenkt. Neu findet sich im salafistischen Geschenkekorb ein Buch der Sira, der Biografie des Propheten Mohammed, dazu eine Gebetsanweisung auf Visitenkarte und ein Hörbuch. Das melden verschiedene Schweizermedien am Mittwoch. (gs)

Koran-Verteilung auf der Strasse in Aarau | © Georges Scherrer
16. November 2016 | 12:40
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