Jörg Winkelströter
Schweiz

«Der Papstbesuch in Lund ist ein wunderbares Zeichen»

Basel, 31.10.16 (kath.ch) Der oberste Lutheraner der Schweiz findet es «grossartig», dass die Kirchenleitungen der Lutheraner und Katholiken am Reformationsgedenken in Lund am 31. Oktober gemeinsam das Evangelium verkünden. In der Beziehung der beiden Kirchen habe sich vieles getan. Dies sagt der Präsident des Bundes der evangelisch-lutherischen Kirchen in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein, Jörg Winkelströter, gegenüber kath.ch.

Regula Pfeifer

Was bedeutet der Papstbesuch beim Reformationsgedenken des Lutherischen Weltbundes in Lund für die evangelisch-lutherische Kirche?

Jörg Winkelströter: Der Anlass ist ein Symbol für die Verständigung und die Gemeinschaft zwischen den beiden Kirchen. Dass unsere Kirchenleitungen gerade an diesem Tag, dem Reformationstag, gemeinsam das Evangelium verkünden, ist grossartig und ein wunderbares Zeichen der christlichen Verbundenheit. In den letzten Jahren ist viel passiert in diese Richtung.

Worauf sprechen Sie an?

Winkelströter: 1999 gab es zum Beispiel eine gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die ja eine der strittigen Fragen in der Reformationszeit war.  2013 verfassten die lutherische und die katholische Kirche eine gemeinsame Erklärung im Hinblick auf das Reformationsgedenken unter dem Titel Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Sie blickten darin auf die Reformation im 16. Jahrhundert zurück und zeigten das Verbindende auf. Das war früher anders.

Die katholische Kirche sprach von uns als von Abgefallenen

Die lutherische Kirche feierte ihre Vergangenheit alleine und setzte sich von der katholischen Kirche deutlich ab. Und die katholische Kirche sprach von uns als von Abgefallenen. Es ist sehr erfreulich, dass sich das in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt hat und Vieles gemeinsam getan werden kann.

Ist der Papstbesuch für Sie ein Thema?

Winkelströter: Wir freuen uns mit über dieses Ereignis und nehmen daran Anteil. Wir vom Bund evangelisch-lutherischer Kirchen haben unseren Gemeinden mitgeteilt, dass sie die Feierlichkeiten am Montagnachmittag per Livestream mitverfolgen können. Als Mitglieder des lutherischen Weltbundes sind wir ja von Ferne mitbeteiligt. Wie viele unserer Mitglieder Zeit finden dafür, weiss ich nicht.

Wie ist das Verhältnis zwischen Lutheranern und Katholiken in der Schweiz?

Winkelströter: Auf Gemeindeebene haben wir gute Kontakte. Es finden immer wieder ökumenische Gottesdienste statt. Wir begegnen uns im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen auf kantonaler und nationaler Ebene und führen Gespräche. Ich bin mit einer guten Geschwisterlichkeit der beiden Kirchen gross geworden und habe dies auch in meiner früheren Tätigkeit in Deutschland so erfahren. In der Schweiz bin ich erst seit vier Jahren und erlebe es hier ähnlich. Das freut mich.

Ich bin mit Geschwisterlichkeit der beiden Kirchen gross geworden

Wie viele Mitglieder zählt Ihre Kirche in der Schweiz?

Winkelströter: Gut 5000.

Sind vor allem Deutsche dabei?

Winkelströter: Ja, unsere Gemeindeglieder sind mehrheitlich Ausländer. Die meisten stammen aus Deutschland, andere aus skandinavischen oder anderen Ländern. In Basel, wo ich Pfarrer bin, ist die Gemeinde international zusammengesetzt. Da sind etwa Leute aus Deutschland, den USA, Island, Indonesien, Tansania, Ungarn, Österreich, Schweizer von Geburt und Eingebürgerte. Wir verstehen uns aber als schweizerische Gemeinde. In den anderen Gemeinden unseres Bundes ist dies ähnlich, die Internationalität teilweise noch ausgeprägter.

Unsere Gemeinden sind international zusammengesetzt

Hat sich die Mitgliederzahl mit der Zunahme der Einwanderung in den letzten Jahren erhöht?

Winkelströter: Für die letzten vier Jahre, da ich hier bin, kann ich das nicht bestätigen. Unsere Kirche ist in den vergangenen Jahren weder gewachsen noch geschrumpft. Die Mitgliederzahl ist stabil.

Weshalb?

Winkelströter: Personen lutherischen Glaubens, die in die Schweiz ziehen, schliessen sich manchmal der reformierten Kirche an ihrem Wohnort an, weil ihnen die lutherische Kirche zu weit weg ist oder sie nicht von uns wissen. Wir haben in der Schweiz insgesamt nur sechs Gemeinden, die je ein grosses Gebiet abdecken. Da wir keine Landeskirche sind, erfahren wir andererseits auch nicht automatisch, wenn sich ein lutherischer Gläubiger in der Schweiz niederlässt.

Sind die lutherische und die reformierte Kirche so ähnlich?

Winkelströter: Wir sind mit der reformierten Kirche sehr eng verbunden. Unsere Glaubensinhalte sind ähnlich. Vor rund vierzig Jahren haben wir in der Leuenberger Konkordie europaweit die volle Kirchengemeinschaft beschlossen – auch mit weiteren evangelischen Kirchen. Seither können wir gemeinsam Gottesdienste und Abendmahl feiern und tun das auch.

Sie kennen auch die Frauenordination.

Winkelströter: Ja, die gibt es schon lange. Unsere Gemeinschaft in Bern wird beispielsweise von einem Pfarrer-Ehepaar geleitet. Doch die Gleichberechtigung ist nicht in allen lutherischen Kirchen vorhanden. In Lettland wurde die Frauenordination vor kurzem wieder abgeschafft; auch in Polen und Äthiopien ist sie meines Wissens umstritten. Das belastet die Gemeinschaft innerhalb des Lutherischen Weltbundes durchaus.

Die Frauenordination gibt es schon lange, ist aber teilweise umstritten

Was ist sonst anders als in der katholischen Kirche?

Winkelströter: Einige Dogmen, die es in der katholischen Kirche gibt, teilen wir nicht, etwa die Auffahrt Marias in den Himmel, die unbefleckte Empfängnis und die Unfehlbarkeit des Papstes. Auch unser Verständnis vom Abendmahl ist ein anderes. Wir glauben nicht an eine bleibende Wandlung der Elemente Brot und Wein. Das Abendmahl ist ein spirituelles Erlebnis, bei dem Jesus auf geheimnisvolle Weise präsent ist. Unser Amtsverständnis ist ebenfalls anders. Wir gehen vom Priestertum aller Gläubigen aus. Die Funktion des Pfarrers wird nicht so sehr hervorgehoben, wie ich das bei der katholischen Kirche erlebe.

Verehren Sie Heilige?

Winkelströter: Nein, wir kennen keine Heiligenverehrung und bitten keine Heiligen um Fürbitte bei Gott. Es gibt aber Menschen, die wir als Vorbilder im Glauben ansehen, und derer wir manchmal in Andachten oder Gottesdiensten gedenken.

Wir feiern unseren Gottesdienst ähnlich wie die Katholiken

Gibt es verbindende Elemente?

Winkelströter: Wir feiern unsere Gottesdienste ähnlich wie die Katholiken: Wir folgen dem klassischen Ablauf der Messe mit den liturgischen Elementen wie «Kyrie», «Gloria», «Agnus Dei» und lassen viel Musik einfliessen. Auch feiern wir – wie die Katholiken – häufig Abendmahl. Die Reformierten tun dies seltener; ihren Gottesdienst gestalten sie schlichter. Theologisch hingegen sind wir, wie gesagt, mit der reformierten Kirche eng verbunden.

Es ist schön, immer wieder zu erleben, dass uns Vieles mit anderen Kirchen verbindet und wir gemeinsam die Botschaft von Gottes Liebe in Jesus Christus in der Welt von heute verkünden können. Das ist ja auch das Ziel des gemeinsamen Reformationsgedenkens mit dem Papst am Reformationstag in Lund.

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Jörg Winkelströter | © zVg
31. Oktober 2016 | 08:40
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Sechs Gemeinden im Bund

Der Bund der evangelisch-lutherischen Kirchen in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein (BELK) besteht aus sechs Gemeinden. Sie befinden sich in Basel, Bern, Genf, Zürich und Vaduz. Fünf davon sind deutschsprachig, eine englischsprachig; die letztere hat ihren Sitz in Genf. Der BELK wurde 1967 gegründet.

Der BELK fördert nach eigenen Angaben die Verbundenheit der lutherischen Gemeinden untereinander, bietet Seminare für ehrenamtliche Mitwirkende an, lädt zum Pfarrkonvent ein und vertritt die Interessen ihrer Mitglieder nach aussen. Das Entscheidungsorgan des BELK ist die Bundesversammlung. Sie tritt jährlich zusammen, entscheidet über administrative und theologische Belange und wählt den Bundesvorstand. Im Pfarrkonvent treffen sich Pfarrerinnen und Pfarrer regelmässig.

In der Schweiz existieren auch eine finnische lutherische Gemeinde, eine norwegische, eine dänische und eine schwedische. Sie predigen in ihrer jeweiligen Sprache. Diese Gemeinden gehören nicht zum BELK, sind aber in Kontakt mit ihm. Wir feiern gemeinsam mehrsprachige Gottesdienste.

Die lutherische Gemeinschaft in Genf entstand bereits im 17. Jahrhundert, als Glaubensflüchtlinge einwanderten. Die Zürcher und die Basler Gemeinden wurden im 19. Jahrhundert gegründet, die Berner nach dem Zweiten Weltkrieg, ähnlich die Gemeinde in Vaduz. (rp)