Verhüllte Frau an einer Kundgebung des Islamischen Zentralrates in Freiburg
Schweiz

Der Islamische Zentralrat sorgt immer wieder für mediale Aufregung

Bern, 14.11.16 (kath.ch) Eine eher kleine, strenge muslimische Gruppierung in der Schweiz schafft es, immer wieder in die Schlagzeilen zu kommen: der Islamische Zentralrat Schweiz. Mit dem Auftritt von Nora Illi in der ARD-Talksendung «Anne Will» schwappte die Empörung kürzlich auf Deutschland über. Einige Hintergründe und Einschätzungen zum Phänomen.

Regula Pfeifer

Der Islamische Zentralrat (IZRS) ist «eine relativ kleine Gruppe aktiver Muslime». Das erklärt Hansjörg Schmid, der Leiter des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg (Schweiz) auf Anfrage. Ihr sei es mit der Selbstbezeichung «Zentralrat» gelungen, ein hohes Mass an Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Verein mit Sitz in Bern zählte anfänglich 26 Aktivmitglieder und 45 Passivmitglieder. Inzwischen besteht er nach eigenen Angaben aus 40 amtierenden Aktivmitgliedern und 3920 Passivmitgliedern.

Die Gruppe sei ein «stark vom Schweizer Kontext geprägtes Phänomen», so Schmid, es gebe aber gewisse Übereinstimmungen mit dem deutschen Konvertiten Pierre Vogel. Die Gründung des IZRS am 25. Oktober 2009 war laut Schmid eine Reaktion auf die Kampagne für das Minarettverbot. Das schreibt auch der IZRS auf seiner Homepage. Das Minarettverbot wurde anschliessend in der Schweizerischen Bundesverfassung verankert.

Die Gründung war eine Reaktion auf das Minarettverbot.

Der IZRS selbst besteht darauf, vollkommen unabhängig zu sein, und zwar strukturell wie ideologisch. «Keine ausländische oder inländische Organisation hat direkten oder indirekten Einfluss auf die Geschäfte des IZRS», betont Sprecher Qaasim Illi gegenüber kath.ch. Der Verein tausche sich aber mit der European Muslims League (EML) und der Muslim Scholars Association (MSA) aus, so Illi.

Zentralrat will «gerechten Platz» in der Gesellschaft

Der Verein will laut dem Islamwissenschafter Schmid zu einem «authentischen» Islam zurückkehren, der weder Pluralismus noch Interpretation zulasse. Er wolle eine «strenge muslimische Frömmigkeitspraxis fördern» und sehe die Muslime weltweit als Opfer von Islamophobie und westlicher Politik.

Reinhard Schulze, Islamwissenschafter an der Universität Bern, sagte im Januar 2015 zu kath.ch, der IZRS vertrete «eine neu-puritanische islamische Position, die in der Schweiz nur marginale Bedeutung hat». Im Gespräch mit kath.ch vor vier Jahren rückte Schulze die Gruppe in Sektennähe. Sie sei eine «sehr abgeschlossene Gruppe, die für sich behauptet, dass ihre Lebensführung durch den religiösen Koran definiert wird.»

Der Verein will eine strenge Frömmigkeitspraxis fördern.

Laut Pressesprecher Illi erstrebt der IZRS für die Muslime und den Islam «einen selbstbestimmten, gerechten Platz» in der Schweizer Gesellschaft. «In Zukunft sollen Muslime den Islam unter Einhaltung der Schweizer Rechtsordnung genauso frei und unproblematisch praktizieren können wie etwa orthodoxe Juden oder praktizierende Christen jeder Couleur», schreibt Illi auf Anfrage. Unter anderem mit juristischen Mitteln wolle der Verein «die Wahrung der Grundrechte» erkämpfen, die durch «strukturelle Islamophobie» gefährdet seien.

Politische Einmischung und unrealisierte Pläne

Der Zentralrat ist auffallend häufig in den Medien präsent. Dies erklärt Islamwissenschafter Schmid einerseits mit dessen aktiver Medienarbeit. So äusserte sich der Verein im Januar 2015 ablehnend zu den Mohammed-Karikaturen in der französischen Zeitschrift «Charlie Hebdo», kritisierte im Oktober 2015 das Vorgehen der Thurgauer Polizei gegenüber mutmasslichen Dschihad-Sympathisanten und veröffentlichte im April 2016 eine «Fatwa» (islamisches Urteil) zur Händedruckdebatte, die sich an einem Fall in Therwil (BL) entzündete.

Auch sonst ist die Organisation alles andere als zurückhaltend. Im Januar 2012 kündigte sie eine geplante Grossmoschee in Bern-West für 20 Millionen Franken an. Ausserdem wolle sie ein muslimisches Fernsehen und ein islamisches Frauenhaus errichten. Wenig später hiess es, der IZRS wolle eine Halle für 2000 Personen kaufen, um Grossveranstaltungen abzuhalten. Von all dem war später nichts mehr zu hören. Ein geplanter islamischer Kindergarten in Volketswil ZH, der Verbindungen zum IZRS hatte, erhielt – trotz Gang vors Bundesgericht – keine Betriebserlaubnis.

Gemässigte Muslime distanzieren sich

Umgekehrt haben die Medien in der Schweiz und im Ausland der Gruppierung «zu viel Aufmerksamkeit geschenkt», findet Schmid. «Somit hat der IZRS das mediale Islambild oft mehr geprägt als der breite Mainstream der Muslime in der Schweiz.» Er warnt: «Dies erschwert den gesellschaftlichen Dialog insgesamt.»

Das Islambild des IZRS gefällt der überwiegenden Mehrheit der Muslime nicht, wie Schmid weiss. Der Verein gehört deshalb auch keinem der grossen muslimischen Dachverbände an, weder der Koordination islamischer Organisationen der Schweiz (Kios), noch der Föderation Islamischer Dachorganisationen der Schweiz (Fids).

Der Gruppierung wird zu viel Aufmerksamkeit geschenkt.

«Wir können die Bedeutung des IZRS nicht beurteilen, da wir gar keinen Kontakt zu ihm haben», erklärt Önder Günes, Mediensprecher des Fids gegenüber kath.ch. «Die Kios und die Kantonalverbände in Bern, Zürich und Basel stehen dem Zentralrat äusserst kritisch gegenüber», teilt ihr Präsident Farhad Afshar auf Anfrage mit. Kios und Fids hätten sich «des Öftern öffentlich vom Zentralrat distanziert».

So kritisierte der damalige Fids-Präsident Hisham Maizar im Januar 2012 die geplante Grossmoschee des IZRS in der Zeitung «Der Bund» scharf. Bern brauche nicht eine «fundamentalistische Moschee, in der extremistische Kreise verkehren». Auch Pascal Gemperli, der Präsident der Vereinigung der muslimischen Gemeinschaften im Kanton Waadt sagte, der IZRS stehe für Polemik und gebe ein aggressives Bild des Islam wieder (»20 Minuten», 15.10.14).

Umstrittene Prediger eingeladen

Der Vorwurf kommt nicht von ungefähr. Der IZRS lud mehrmals Prediger ein, die wegen extremen Positionen aufgefallen waren. Im Dezember 2009 trat der deutsche Konvertit Pierre Vogel auf, der für seine radikalen Predigten bekannt ist. Auch Reden der umstrittenen Imame Shefqet Krasniqi und Enis Rama aus Kosovo und von Muhammed Al-Arifi aus Saudiarabien kündigte der IZRS an. Nicht alle Prediger traten tatsächlich auf, teils verzichtete der IZRS nach Protesten, teils verfügte das Bundesamt für Migration Einreisesperren.

Auch der Zentralrat selbst wurde mehrmals abgewiesen. 2012 konnte er eine Veranstaltung auf Verfügen der Behörden weder in Bülach ZH noch in Spreitenbach AG durchführen. Auch die Jahresversammlung 2014 in Freiburg verboten die Behörden – zu Unrecht, wie das Bundesgericht später juristisch urteilte. Denn der Anlass hätte in einem privaten Lokal stattgefunden. Aus Protest gegen das Verbot organisierte der IZRS am 29. November 2014 zusammen mit der Islamischen Jugend Schweiz eine Demonstration im Freiburger Stadtzentrum, an der rund 300 Personen teilnahmen.

Im Fokus der Justiz

Aktuell läuft ein Strafverfahren gegen Naim Cherni, ein Vorstandsmitglied des IZRS. Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft lautet auf propagandistische Darstellung der Syrienreise eines IS-Kämpfers in einem Video. Auch die Frauenvertreterin des IZRS, Nora Illi, äusserte sich kürzlich in einer Sendung der ARD wenig kritisch zum Engagment von IS-Kämpfern in Syrien. Der IZRS-Präsident Nicolas Blancho selbst lehnt die Gewalt des IS ab, wie Islamspezialist Hansjörg Schmid feststellt. An der diesjährigen Ramadan-Ansprache habe er aber den Westen selbst für die Terroranschläge verantwortlich gemacht.

Verhüllte Frau an einer Kundgebung des Islamischen Zentralrates in Freiburg | © Georges Scherrer
15. November 2016 | 17:07
Lesezeit: ca. 4 Min.
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