Stefan Staub beim Grillanlass mit ukrainischen Flüchtlingen
Porträt

Der gute Mensch von Teufen: «Labora ist manchmal wichtiger als ora»

Ohne Diakon Stefan Staub (54) wären im März nicht 120 Flüchtlinge aus der Ukraine nach Teufen AR gekommen. Als Armeeseelsorger kann Stefan Staub schnell entscheiden und auch mal zackig etwas anordnen. «Das kommt in kirchlichen Kreisen nicht immer gut an», sagt der Diakon. Doch in Krisen sei schnelles Handeln wichtig.

Regula Pfeifer

An einem Mittwoch Mitte März kommt Stefan Staub schnellen Schritts den Hügel angelaufen. Am Aussichtspunkt oberhalb Teufen AR picknicken rund 50 ukrainische Flüchtlinge – Frauen, Kinder, Teenager, ein paar Männer. Die Würste, die Freiwillige über dem Feuer grilliert haben, scheinen ihnen zu schmecken.

Stefan Staub grüsst da und dort, wechselt ein paar Worte, klopft aufmunternd auf Schultern. Er sei gerade aus Luzern zurück, wo er angehende Armeeseelsorgende ausbilde, sagt er.

Grillfest mit den ukrainischen Flüchtlingen in Teufen: Hampi Kuratli verteilt die Würste.
Grillfest mit den ukrainischen Flüchtlingen in Teufen: Hampi Kuratli verteilt die Würste.

Stefan Staub ist der Grund, weshalb die Flüchtlinge hier sind. Der Pfarreileiter von Teufen-Bühler-Stein hat die Aufnahme-Aktion rund zwei Wochen zuvor gestartet. Zwei Busse haben 120 ukrainische Flüchtlinge am 10. März nach Teufen gebracht. Empfangen wurden sie in der katholischen Kirche Teufen – auch im Beisein des St. Galler Bischofs Markus Büchel.

Samuel Schmid, Chef Armeeseelsorge.
Samuel Schmid, Chef Armeeseelsorge.

Chef Armeeseelsorge fragte an

Auslöser für die Flüchtlingsaktion sei sein Vorgesetzter in der Armee gewesen, erzählt Stefan Staub Ende Mai. Der Chef Armeeseelsorge, Samuel Schmid, leitet das kleine Missions- und Hilfswerk Freundes-Dienst.

Dieses war in Kontakt mit Ukrainerinnen und Ukrainern aus verschiedenen Kirchgemeinden, die gemeinsam auf der Flucht waren. Das alles erzählt Staub am Stubentisch in seiner Wohnung, die neben dem Pfarreisekretariat liegt.

Stefan Staub erzählt aus seinem Leben.
Stefan Staub erzählt aus seinem Leben.

Schmid fragte damals Staub, ob es Platz gäbe für 40 Flüchtlinge in Teufen. Staub sagte spontan zu. Am selben Abend organisierte Teufen ein erstes ökumenisches Friedensgebet. Dort brachte Staub das Anliegen vor. «Am gleichen Abend hatte ich bereits Zusagen von Gastfamilien. Für rund 30 Flüchtlinge war der Platz gesichert.»

Nach einem Aufruf in der Pfarrei und der lokalen Online-Zeitung war drei Tage später klar: Auch die inzwischen auf 120 Personen angewachsene Flüchtlingsgruppe konnte aufgenommen werden. «Die Ukrainerinnen und Ukrainer hatten das Bedürfnis, zusammen zu bleiben», sagt Staub.

Krisengespräch an der Grenze zur Ukraine

Staub organisierte ein Car-Unternehmen. Freiwillige erklärten sich bereit mitzufahren. Ursprünglich sollten die Flüchtlinge an der polnischen Grenze abgeholt werden. Doch dann hiess es: Sie warten in einem alten Kloster wenige Kilometer vor Lemberg in der Ukraine. Die Beteiligten zögerten. Nach einem Krisengespräch mit Stefan Staub entschieden sie sich, das Risiko auf sich zu nehmen. So kamen Rettende und Geflüchtete nach einer 24-Stunden-Reise im Appenzellischen an. Hier sorgte der Pfarreileiter dafür, dass Empfang, Unterkunft und Betreuung funktionierten.

Ankunft der ukrainischen Flüchtlinge in Teufen AR
Ankunft der ukrainischen Flüchtlinge in Teufen AR

«Der Anfang war sehr emotional», sagt Stefan Staub. Inzwischen habe sich die Aufregung gelegt. Die Geflüchteten haben angefangen, sich zu organisieren. Viele besuchen nun sonntags zwei Gottesdienste: den ukrainisch-baptistischen, den zwei mitgeflohene pensionierte Pastoren gestalten. Und den örtlichen katholischen Gottesdienst. «Wir pflegen hier in der Pfarrei die ‘Politik der offenen Herzen’», sagt Staub. Er bleibt mit den ukrainischen Flüchtlingen in Kontakt – und auch mit deren Gastfamilien.

Nützlich bei der Aktion sei seine Militär-Erfahrung gewesen, sagt der Pfarreileiter und Diakon. Als die Rettungsgruppe zögerte, die Grenze zur kriegsversehrten Ukraine zu passieren, habe er dem Buschauffeur per Video-Konferenz gesagt: «Du bist der Kapitän, was du sagst, wird gemacht.»

Der Pfarreileiter von Teufen, Stefan Staub, im TV-Interview
Der Pfarreileiter von Teufen, Stefan Staub, im TV-Interview

Militär-Know-how: Sofortmassnahmen anordnen

Im Militär leistet Armeeseelsorger Stefan Staub Stabsarbeit. Da gehe es teilweise darum, Sofortmassnahmen anzuordnen und durchzusetzen. «Auch hier in der Pfarrei habe ich die Möglichkeit und das Netzwerk, um etwas anzureissen und umzusetzen. Und ich traue es mir zu und kann mich durchsetzen.»

Auch im Alltag sage er oft klar, was er denke und erwarte. Das komme nicht immer gut an, gibt Stefan Staub zu. Denn in kirchlichen Kreisen werde gern über alle Befindlichkeiten ausgetauscht. An diesem Morgen habe er angeeckt, bemerkt er unzufrieden. Und doch ist er überzeugt, dass es klare Ansagen manchmal braucht.

Vorgeschichte: Mission in den Irak

Bereits während des IS-Terrors hat sich der Pfarreileiter humanitär engagiert. Von 2017 bis 2019 wurden auf Staubs Initiative hin mehrere Lieferungen Hilfsgüter zu intern Vertriebenen in die kurdischen Gebiete im Norden des Irak gefahren.

Zerstörte Hauptstrasse in Karakosch, Irak
Zerstörte Hauptstrasse in Karakosch, Irak

«Das waren die schönsten Ostern meines Lebens.»

Zuvor hatten die Pfarreiangehörigen die Ware in der Kirche gelagert. Und mitten in den Kartons Ostern gefeiert. «Das waren die schönsten Ostern meines Lebens», sagt Stefan Staub. Danach verliessen zwei Vierzigtönner das appenzellische Dorf in Richtung Irak.

Auslöser dafür war ein «Gespräch an der Kanzel», zu dem Staub einen Diplomaten des kurdisch regierten Nordiraks eingeladen hatte. Dieser erzählte von Hunderttausenden von Flüchtlingen und bat um Kleider, Hygieneartikel und Spenden.

Die Auszeichung der Pfarrei Teufen-Bühler-Stein für ihren Einsatz im kurdischen Nord-Irak hängt in der Kirche.
Die Auszeichung der Pfarrei Teufen-Bühler-Stein für ihren Einsatz im kurdischen Nord-Irak hängt in der Kirche.

Beten auf Spaziergängen

Stefan Staub sagt: «Ich bin ein aktiver Mensch. Labora ist für mich in gewissen Situationen wichtiger als ora.» Arbeit sei für ihn eine Gebetsform. Das Gebet pflegt er auf seinen frühmorgendlichen Spaziergängen über die voralpinen Höhenzüge des Appenzellerlandes oder am Abend, wenn er sich alleine in die Kirche zurückzieht, um den Tag Revue passieren zu lassen oder anstehende Herausforderungen in der dunklen Kirche vor Gott hinträgt.

«Wenn mein Gewissen mich ruft, schalte ich mich in Konflikten ein.»

«Ich muss nicht die Welt auf meinen Schultern tragen», ist sich Stefan Staub bewusst. «Aber wenn ich die Möglichkeit habe und mein Gewissen mich ruft, schalte ich mich in Krisen und Konflikten ein.» Dabei helfe sein breites Netzwerk – aus Armee, Polizei und Kantonsregierung.

Helfen tut er aus Überzeugung. Kirche sei mehr als Gottesdienste feiern. «Kirche spielt sich heute draussen ab, da müssen wir bestehen, wo es um’s ‘Eingemachte’ geht», ist Staub überzeugt. Es gehe darum, glaubwürdiges Christentum zu leben. In der Armeeseelsorge ist er für Auslandseinsätze zuständig, insbesondere für die Seelsorge der Angehörigen der Swisscoy, dem Kontingent der Schweizer Armee für Friedensförderung im Kosovo.

«Als Pfarreileiter erhalte ich mehr Freiheiten, so konnte ich Vieles umsetzen.»

Stefan Staub arbeitete erst als Fotofachangestellter, dann als Journalist. Erst danach schlug er den Weg in die Kirche ein – über ein Studium am Religionspädagogischen Institut und später am Seminar für den «Dritten Bildungsweg» in Luzern. Stationen seiner kirchlichen Tätigkeit waren Bad Ragaz und Wangs SG, Aadorf TG und St. Gallen – und nun Teufen. «Als Pfarreileiter erhalte ich mehr Freiheiten, so konnte ich Vieles umsetzen», sagt er.

Teilzeit-alleinerziehender Vater

Staub ist geschieden und hat drei erwachsene Töchter, von denen eine noch tageweise bei ihm wohnt. «Als teilzeit-alleinerziehender Vater habe ich enorm viel gelernt, was Menschen in ähnlichen Situationen täglich beschäftigt: finanzielle Ängste überwinden, das Gefühl von Alleinsein ertragen, Hilfe annehmen und durch Krisen hindurchgehen», sagt er. Er habe gewusst, dass er dank einem gesunden Vertrauen auf Gott Vieles schaffen könne.

Stefan Staub vor dem Porträt eines Hindu-Mönchs in seiner Stube
Stefan Staub vor dem Porträt eines Hindu-Mönchs in seiner Stube

Aufgewachsen ist der Diakon im toggenburgischen Städtchen Lichtensteig SG in einer Grossfamilie – mit fünf Geschwistern. «Wir sind sehr unterschiedlich, und doch lieben wir uns heiss», sagt er. Sein Vater sei in der Kirchenverwaltung aktiv gewesen. Seine Mutter hingegen stand den kirchlichen Autoritäten und den «pfarrherrlichen Predigten» kritisch gegenüber.

«Ich brauche die katholischen Riten, ihr Sprache.»

Neben dem Stubentisch ist ein grosses Portrait aufgehängt. Es zeigt einen hinduistischen Mönch. «Ich mag das Bild», sagt Staub, der an eine einzige Gotteskraft glaubt, die in allen Religionen wirke. Und der es spannend findet, andere Religionen kennen zu lernen. «Ich weiss aber, wo ich daheim bin. Ich brauche die katholischen Riten, ihre Sprache.»


Stefan Staub beim Grillanlass mit ukrainischen Flüchtlingen | © Regula Pfeifer
14. Juni 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!