Andrey Monakhov leitet ein Gebet für den Frieden. Er ist pensionierter Pastor einer ukrainischen Baptistengemeinde.
Schweiz

Flüchtlinge in Teufen: «Wir haben für die Schweiz gebetet, weil sie uns ihr Herz geöffnet hat»

120 Menschen aus der Ukraine sind seit einer Woche in Teufen AR. Galyna sorgt sich um ihre Tochter im ukrainisch-russischen Grenzgebiet. Maryna ist stolz auf ihren Mann, der in der ukrainischen Cyberabwehr tätig ist. Ein Ortsbesuch.

Regula Pfeifer

Vor der katholischen Kirche Teufen sind an diesem Mittwochmittag Festbänke aufgestellt. Eine Frau und ein Mann sprechen miteinander. Sie organisieren den Grill-Anlass mit den ukrainischen Flüchtlingen, die vor einer Woche in Teufen angekommen sind. Die Frau sagt: «Ich bin Regula, du kannst gleich mit anpacken.» Ihren Vornamen hat sie mit einem Klebstreifen an die Jacke geheftet.

Freiwillige Tätschmeisterin

Regula Eugster ist die Tätschmeisterin an diesem Mittwochmittag. Sie bittet ihren Kollegen, mit dem Auto vorzufahren. Es geht darum, den schweren Suppentopf und die vielen grossen Süssgetränk-Flaschen den Berg hinaufzufahren. Sie bittet ein paar Jugendliche, die Ware vom Pfarreizentrum zum Parkplatz zu schleppen.

Die ukrainischen Flüchtlinge und Regula Eugster (links) vor der katholischen Kirche Teufen
Die ukrainischen Flüchtlinge und Regula Eugster (links) vor der katholischen Kirche Teufen

Auch Erwachsene machen mit. Eine Frau um die 60 schleppt in jeder Hand eine Sechserpackung. «Wir sind ukrainische Frauen», sagt sie auf Englisch und wirft einen vielsagenden Blick auf ihre Last.

Nun ruft Regula alle Anwesenden zusammen. Sie haben im Pfarreizentrum gewartet. Rund 50 Personen sind es, mehrheitlich Frauen, Kinder und Jugendliche, da und dort ein älteres Paar. Es geht los. Alle ziehen über die Hauptstrasse. Die Letzten springen knapp vor dem ankommenden Regionalzug durch.

Steiler Anstieg zum Grillplatz ob Teufen
Steiler Anstieg zum Grillplatz ob Teufen

Dann geht es steil bergauf. Gut ein Dutzend Jugendliche stürmen voraus. Regula holt sie ein, um den Weg zu weisen. Regula ist selbstständiger Coach. Sie wohnt und arbeitet in St. Gallen. Am Dienstag hat sie Stefan Staub angerufen. Sie kennt den Diakon der katholischen Kirche Teufen und besucht ab und zu seinen Gottesdienst. Ob sie die Organisation des Grillanlasses übernehmen könne. Regula konnte, spontan.

«In St. Gallen läuft nichts. Ich wollte aber etwas tun – auch gegen meine Ohnmacht.»

Regula Eugster, Freiwillige

«In St. Gallen läuft nichts. Ich wollte aber etwas tun – auch gegen meine Ohnmacht», sagt Regula Eugster. Sie ist in St. Gallen als selbstständiger Resilienz-Coach tätig und berät Leute aus der Pflege. «Auch hier soll die Widerstandskraft der Menschen gestärkt werden.» Ein schönes Erlebnis sei aufbauend.

Engagierte Freiwillige: Regula Eugster und Alice Kuratli
Engagierte Freiwillige: Regula Eugster und Alice Kuratli

Die Grillaktion zu managen sei für sie kein Problem. «Ich habe Erfahrung in der Erwachsenenbildung», sagt sie und lacht. «Und ich habe Teenager zuhause.»

Ukrainische Frau nimmt den Schöpflöffel

Der Grillplatz bietet eine breite Aussicht auf Dorf und Tal. Einige zücken ihre Handys zum Fotografieren. Auf einem Holztisch steht bereits ein grosser Topf mit Suppe. Eine ukrainische Frau nimmt den Schöpflöffel und füllt die Pappbecher, die die Anwesenden ihr entgegenstrecken. Bei den Brötchen und Getränken bedient sich jede und jeder selbst.

Die Suppe kommt gut an.
Die Suppe kommt gut an.

Das Grillfeuer glüht, die Würste sind bald so weit. Alice und Hampi Kuratli haben Vorarbeit geleistet. Alice Kuratli ist Mesmerin in der reformierten Kirche Teufen, Hampi hilft ihr. Sein Gartenbau-Unternehmen hat er an seine Kinder weitergegeben. Auch das Feuer zum ökumenischen Friedensgebet für die Ukraine bringen die beiden jeden Mittwochabend zum Brennen. Als Kirchenmitarbeiterin sei es für sie selbstverständlich, sich auch in der Freizeit zu engagieren, sagt sie. «Es ist schön, wenn jeder das macht, was er kann.»

Hampi Kuratli verteilt die Grillwürste.
Hampi Kuratli verteilt die Grillwürste.

Teenager am Schäkern

Die Würste sind begehrt. Noch bevor sie gar sind, stehen schon einige Schlange. Diana hingegen nicht. Die Jugendliche mit dem knallgrünen Pullover fürchtet um ihre schlanke Figur. «Cool», findet sie es hier, «a beautiful place». Sie will ihr Englisch üben. Sie zeigt auf einen kleinen Jungen, der wolle immer den Berg rauf und runterrennen, sagt sie und lacht. Und Ksusha, die neben ihr steht, wolle Model werden. Ksusha nickt und lächelt selbstbewusst in die Runde. Diana selbst hat nur einen Wunsch: zurückgehen in ihr Land. Fragen über ihre Erlebnisse dort geht sie aus dem Weg. Lieber schäkert sie mit den Menschen ringsherum.

Diana und Ksusha – seit kurzem Freundinnen
Diana und Ksusha – seit kurzem Freundinnen

Um halb eins taucht Stefan Staub auf. Er war vorher für die Armee in Luzern im Einsatz. Staub ist Armeeseelsorger – neben seiner Aufgabe als Pfarreibeauftragter von Teufen. Er witzelt über die Liebe der Ukrainerinnen und Ukrainer zur Suppe – ihrer Variante des Borschtsch – und drückt seine Hand hie und da aufmunternd auf eine Schulter.

Diakon Stefan Staub weiss: Abends weinen die ukrainischen Flüchtlinge manchmal.
Diakon Stefan Staub weiss: Abends weinen die ukrainischen Flüchtlinge manchmal.

Tränen am Abend

«Hier sind alle fröhlich», sagt er. Das sei aber nicht immer so. Von den gastgebenden Familien erfährt er, dass es abends oft auch Tränen gebe. «Schlimm ist, wenn sie Verwandte oder Freunde telefonisch nicht mehr erreichen.»

Das erlebt gerade Galyna Sira. Die Mutter von sieben Kindern wohnt aktuell mit ihrem Mann und fünf Teenagern im Pestalozzi-Kinderdorf in Teufen. Eine ihrer Töchter ist Diana, die junge Frau mit dem knallgrünen Pullover.

Galyna Sira (links) sorgt sich um ihre zwei Töchter in der Ukraine. Rechts Pastor und Übersetzer Andrey Monakhov.
Galyna Sira (links) sorgt sich um ihre zwei Töchter in der Ukraine. Rechts Pastor und Übersetzer Andrey Monakhov.

«Nichts von der Tochter zu hören, macht mich sehr traurig, nervös und besorgt.»

Galyna Sira

Die Familie stammt aus der Westukraine, der Region Ternopil. Zwei ihrer Töchter sind noch in der Ukraine, eine davon blockiert im russisch kontrollierten Grenzgebiet. Von der älteren hat sie nichts mehr gehört. «Das macht mich sehr traurig, nervös und besorgt», sagt Galyna Sira auf Ukrainisch, ein Mann übersetzt ins Englische.

Städte sind Ruinen

«Ich bitte Gott: Hilf meiner Tochter», sagt sie. Der Ort sei jeden Tag unter Beschuss, in den Läden gebe es nichts mehr zu kaufen. «Unsere Städte sind bombardiert, nur noch Ruinen», sagt sie. Wie so viele hier wünscht sie sich Frieden und Sicherheit. «Wir wollen zurück», sagt Galyna Sira mit traurigem Blick.

In Teufen: Maryna Osaduchuk erzählt ihren beiden Töchtern Ksenia (links) und Daryna auf sanfte Art vom Krieg.
In Teufen: Maryna Osaduchuk erzählt ihren beiden Töchtern Ksenia (links) und Daryna auf sanfte Art vom Krieg.

Auch Maryna Osaduchuk will nach Hause, ihre Familie umarmen. Und ihr Bett berühren, sagt sie und streicht mit der Hand über den rauen Brunnenrand, auf dem sie sitzt.

Ihre achtjährige Tochter Daryna spielt nebenan gerade mit einem Jungen. «Ich habe meine Familie in der Ukraine zurücklassen müssen, meinen Mann, meine Eltern», sagt sie auf Englisch. Sie vermisst sie sehr und telefoniert jeden Tag.

Jeden Tag Alarm

Die junge Mutter stammt aus Tcherkassy, einer Stadt in Zentrum der Ukraine. Die Stadt werde nicht bombardiert. Doch jeden Tag gebe es Alarm, die Menschen sässen in den Kellern. Das Wort Angst spricht Maryna Osaduchuk nicht aus. Doch sie erwähnt: Das nur 160 Kilometer entfernte Kiew ist zerstört. Sie liest ständig News über das Geschehen in der Ukraine.

Ukrainische Kinder beim Spielen in Teufen AR.
Ukrainische Kinder beim Spielen in Teufen AR.

Eben kommt Ksenia, ihre zehnjährige Tochter, und flüstert der Mutter etwas ins Ohr. Erzählt sie ihren Töchtern über den Krieg, geht die Frage an Maryna Osaduchuk. «Ja, ich erkläre es ihnen auf sanfte, freundliche Art und so, dass es Kinder verstehen», antwortet sie. So erzähle sie ihnen, dass die ukrainischen Soldaten stark wie Helden seien.

Maryna Osaduchuks Mann ist nicht an der Front. «He is a Cyber Warrier», sagt sie mit einem Anflug von Stolz. Er kämpfe am Computer im Dienst der ukrainischen Armee. «Stop the war», ist auch Maryna Osaduchuks dringender Wunsch. Und dann will sie mithelfen, die Städte wieder aufzubauen.

Pastor spricht ein Gebet

Eben spricht ein Mann zu den Anwesenden. Es ist Andrey Monakhov aus Kiew. Der 60-Jährige ist pensionierter Pastor einer ukrainischen Baptistengemeinde. Sein Singsang verrät: Er spricht ein Gebet. Die Anwesenden haben sich ihm zugewandt. Einige falten die Hände oder schliessen ihre Augen.

Die ukrainischen Frauen beten.
Die ukrainischen Frauen beten.

«Wir haben für die Schweiz gebetet, weil sie uns ihr Herz geöffnet hat», erklärt Andrey Monakhov danach auf Englisch. «Und natürlich haben wir auch für unser Land und unsere Kirchen gebetet. Und für unsere Freunde und Angehörigen in der Ukraine.» Gott solle sie unterstützen. Und der Krieg solle aufhören. «Danke, Gott», schliesst Andrey Monakhov.

Einige sind bereits gegangen, als Regula Eugster das Grillfest für beendet erklärt. Alle machen sich auf den Weg hinunter ins Tal. Ein älterer Ukrainer trägt eine Kiste mit halbleeren Getränkeflaschen. Ein paar Kinder und Erwachsene muss Regula Eugster zurückrufen. Sie haben den falschen Weg genommen.

Andrey Monakhov leitet ein Gebet für den Frieden. Er ist pensionierter Pastor einer ukrainischen Baptistengemeinde. | © Regula Pfeifer
17. März 2022 | 13:00
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