Denise Buser
Story der Woche

Denise Buser über Geschlechtergerechtigkeit: «Selbstbestimmungsrecht der Kirche ist nicht sakrosankt»

Das Festhalten am männlichen Amtspriestertum könnte wegen des Priestermangels zum Niedergang der Tradition führen, sagt die Juristin Denise Buser. «Die Zeiger weisen heute auf Geschlechtergleichheit.» Der Staat hat aber nicht die Macht, das Frauenpriestertum zu erzwingen. Doch es bewegt sich etwas.

Jacqueline Straub

Wie steht es um die Gleichstellung der Frau in der katholischen Kirche?

Denise Buser*: Seit 30 Jahren beschäftige ich mich mit dieser Frage und es tut sich eigentlich nichts, abgesehen von Schönheitspflästerchen. Ich muss hinzufügen, dass es in der Kirchenverwaltung ein paar Verbesserungen gab. Mit den Gemeindeleiterinnen ohne Weihe hat man eine praktische Lösung für den Priestermangel gefunden. Das Problem der massiven Frauendiskriminierung wird aber dennoch nicht von der römisch-katholischen Kirche angegangen.

Wo besteht die Ungleichbehandlung und wie könnte diese behoben werden?

Buser: Die Ungleichbehandlung besteht darin, dass das Kirchenrecht in Can. 1024 die Berechtigung zur priesterlichen Weihe auf den getauften Mann beschränkt.

Das Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici, Cic) hinter roten Buchdeckeln.
Das Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici, Cic) hinter roten Buchdeckeln.

«Es besteht kein Rechtsanspruch von Katholikinnen auf die priesterliche Weihe.»

Was schlagen Sie vor?

Buser: Es könnte statt Mann «Mensch» stehen. Selbstverständlich besteht kein Rechtsanspruch von Katholikinnen auf die priesterliche Weihe. Das haben auch männliche Katholiken nicht. Aber es besteht ein Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu den priesterlichen Ämtern. Eine katholische Bewerberin für das priesterliche Amt müsste also das gleiche Prozedere durchlaufen können wie ein Priesteramtskandidat.

Wo sehen Sie einen Anknüpfungspunkt, um diese Änderung durchzuführen?

Buser: Einen wichtigen Ausgangspunkt für eine Kehrtwendung bei der Geschlechtergerechtigkeit sehe ich in Galater 3,28 und in den weltweit verbrieften Grund- und Menschenrechten. Grundrechte gehen auf die Menschenrechtsidee zurück, also auf das Konzept, dass der Mensch um seiner selbst willen mit Rechten ausgestattet ist.

Justitia – Symbol der Gerechtigkeit.
Justitia – Symbol der Gerechtigkeit.

Der Vatikan hat Menschenrechte lange verteufelt. Und noch heute sehen einige konservative Strömungen in der Kirche im Gleichstellungsprinzip einen Gegensatz zum Kirchenrecht.

Buser: Grundrechte und auch das Gleichstellungsprinzip sowie das Diskriminierungsverbot stehen nicht in einem Gegensatz zur Religion. Galater 3, 28 hält fest, dass keine Unterschiede zwischen Mann und Frau gemacht werden sollen und es auch keine unterschiedlichen Statusmerkmale zwischen Menschen gibt. Darin kann ein idealistischer Gleichstellungsansatz im biblischen Kontext gesehen werden.

«Dies entspricht nicht mehr den globalen Standards der Gerechtigkeit.»

Inwiefern stehen sich Geschlechtergerechtigkeit und Religionsfreiheit im Weg?

Buser: Der grundrechtliche Anspruch auf Geschlechtergerechtigkeit ist – wie gesagt -auch im Neuen Testament verbürgt. Er steht dem Anspruch der Amtskirche entgegen, ihr Religionsverständnis selber zu bestimmen. Problematisch dabei ist, dass sie dieses Religionsverständnis mit einer zentralen Diskriminierung von Frauen verbindet. Dies entspricht nicht mehr den globalen Standards der Gerechtigkeit und steht auch auf dem Hintergrund der Missbrauchsskandale in einem kaum noch verständlichen Kontext. Zudem kann man sich fragen, wer eigentlich das Religionsverständnis einer Gemeinschaft bestimmen soll.

«Es braucht eine Güterabwägung.»

Und wie sieht es auf juristischer Ebene zwischen Geschlechtergerechtigkeit und Religionsfreiheit aus?

Buser: Juristisch gesehen haben wir hier eine Kollision zweier gleichrangiger Grundrechte, nämlich Geschlechtergerechtigkeit beziehungsweise Diskriminierungsverbot und Religionsfreiheit – gemeint als korporative Religionsfreiheit der Amtskirche. In so einem Fall gibt es das juristische Verfahren der Güterabwägung, bei dem die Interessen beider Seiten berücksichtigt und gewichtet werden, so dass ein Ergebnis zustande kommt, das zeigt, welche Gewichtung im konkreten Fall stärker ist.

«In der Bibel sind keine Hinderungsgründe für eine Frauenordination ersichtlich.»

Bibeln
Bibeln

Was gewichten Sie höher?

Buser: Schauen wir uns die objektive Interessenslage auf beiden Seiten an: Auf Seiten der Amtskirche wird das Mannsein Jesu und die zweitausendjährige Amtssukzession von männlichen Priestern vorgetragen. Nicht zufälligerweise fallen diese männlichen Kriterien mit dem Kontext von patriarchal geprägten Gesellschaften in diesen 2000 Jahren zusammen. Es ist also kein göttlicher Plan, sondern eine Sozialisationsgeschichte männlicher Vorherrschaft. Die päpstliche Bibelkommission hat in den 70-er Jahren ein Gutachten vorgelegt, wonach in der Bibel keine Hinderungsgründe für eine Frauenordination ersichtlich seien.

Und wie sieht es auf der Seite der Geschlechtergerechtigkeit aus?

Buser: Es wurde – wie bereits erwähnt – nachgewiesen, dass die Unsichtbarkeit der Frau im christlichen Bereich nicht gottgewollt, sondern vor allem eine Folge patriarchaler Zeitumstände war. In der theologischen Forschung finden sich auch zahlreiche wissenschaftliche Belege, die für die Zulässigkeit der Frauenordination sprechen, etwa der Nachweis, dass es Apostelinnen gab.

Frau im liturgischen Gewand
Frau im liturgischen Gewand

«Die Gläubigen wollen heutzutage Priesterinnen.»

Zudem: Die Gläubigen wollen heutzutage Priesterinnen. In den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft gab es am 28. September 2014 eine katholische Abstimmungspremiere. Das Stimmvolk hat damals mit überwältigender Mehrheit zugestimmt, dass in den Kirchenverfassungen ein Passus aufgenommen wird, in dem der Reformwunsch der gleichberechtigten Zulassung zum Priesteramt, unabhängig von Zivilstand und Geschlecht, festgeschrieben wird. Auch im Kanton Thurgau wurde die Kirchenverfassung entsprechend ergänzt. In Baselstadt waren es fast 82 Prozent, in Basel-Landschaft etwas über 87 Prozent. 

Was spielt bei der Güterabwägung noch eine Rolle?

Buser: Wenn die Argumentation einer Seite Widersprüche aufweist. Das Festhalten am traditionellen Amtsverständnis kann wegen des Priestermangels letztlich zu einem Niedergang der Traditionen führen. Ein weiteres Argument oder ein Gewichtungsfaktor kann auch darin gesehen werden, dass keine reelle Gefahr einer Aufspaltung der Gläubigengemeinschaft besteht, wenn das Frauenpriestertum eingeführt werden sollte. Das wiederum kann man aus den bisherigen Erfahrungen der Religionsgemeinschaften ableiten, die die Frauenordination eingeführt haben. Für mich heisst das: Im 21. Jahrhundert weisen die Zeiger zweifellos auf die Geschlechtergleichheit, wonach berufene Katholikinnen die priesterliche Weihe erhalten können.

Gerichtshammer
Gerichtshammer

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche beisst sich mit dem Grundrecht, nicht diskriminiert zu werden. Wie kann der Konflikt gelöst werden?

Buser: Es gibt drei Möglichkeiten: Die Amtskirche erkennt das Gerechtigkeitsproblem und revidiert Can. 1024. Die Gläubigen fordern noch stärker die Geschlechtergerechtigkeit und schöpfen die Möglichkeit des Staatskirchenrechts aus – beispielsweise durch die Aufnahme von Gleichstellungsartikeln in den Kirchenverfassungen und Statuten. Oder der Staat verlangt bei der Ausrichtung von Unterstützungsleistungen das Einhalten der Rechtsordnung samt den Grundrechten. Auch im Rahmen von staatlicher Anerkennung können Bedingungen aufgestellt werden.

«Die Amtskirche ist sich bewusst, dass sie hier am längeren Hebel sitzt.»

Könnte ein staatliches Gericht die Weihe der Frauen in der katholischen Kirche erzwingen?

Buser: Nein. Es gibt kein staatliches Surrogat für eine Weihe. Der Anspruch auf Beseitigung der Diskriminierung gemäss Gleichstellungsgesetz stösst hier ins Leere. Die Amtskirche ist sich bewusst, dass sie hier am längeren Hebel sitzt. Das hat auch mit Machtarroganz zu tun.

Petersdom in Rom
Petersdom in Rom

Was könnte der Staat tun?

Buser: Wo aber der Ball beim Staat liegt, da kann der Staat entsprechend reagieren. Der Staat regelt das Verhältnis zwischen sich und den Religionsgemeinschaften. Da könnte er vermehrt den Finger auf den wunden Punkt legen, also von den Religionsgemeinschaften verlangen, dass sie die Rechtsordnung und damit auch die Geschlechtergerechtigkeit einhalten, wenn sie vom Staat Geldleistungen oder andere Privilegien erhalten.

«Bewusstseinsprozesse über die unerträgliche Diskriminierung von Frauen in Gang setzen.»

Was könnte noch getan werden?

Buser: Man könnte etwa die Amtskirche in Rom fragen, warum sie nicht der CEDAW, dem Uno-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, dem fast sämtliche Länder der Welt beigetreten sind, beitritt. Als Völkerrechtssubjekt könnte dies der Heilige Stuhl tun. Das wäre eine Art Nudging-Strategie: Einfach mal Fragen aufwerfen, um Bewusstseinsprozesse über die unerträgliche und sinnlose Diskriminierung von Frauen in Gang zu setzen.

Das katholische Lehramt hält daran fest, dass Frauen keine Priesterinnen werden können. Was könnten die Bischöfe dennoch tun?

Buser: Die Bischöfe können sehr viel tun. Am einfachsten wäre es, wenn sie laut aussprechen würden, dass sie die Einführung der Frauenordination wünschen und unterstützen. Sie sind ja auch international vernetzt und könnten diesbezüglich weitere Mitstreiter gewinnen.

Missbrauch
Missbrauch

Im September 2023 kam es mit der Veröffentlichung der Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch zu einem Erdbeben in der katholischen Kirche. Führt der massive, jahrelang vertuschte Missbrauch dazu, das Selbstbestimmungsrecht der Kirche zu überdenken?

Buser: Auf längere Zeit gesehen, könnten diese Missbrauchsskandale schon Konsequenzen haben. Das Selbstbestimmungsrecht ist nicht sakrosankt. Es gibt in der Schweiz keine Gesetzesbestimmung dazu. Vielmehr ist es eine wohlwollende Ableitung der juristischen Lehre, eine Anerkennung der Religionsgemeinschaften. Diese wohlwollende Haltung kann auf staatlicher Seite durchaus abnehmen.

«Die Selbstbestimmung der Kirche bei der Frage der Frauendiskriminierung rechtswidrig ausgeübt.»

Denn im Grunde genommen wird die Selbstbestimmung der Kirche bei der Frage der Frauendiskriminierung rechtswidrig ausgeübt, zumal sie der schweizerischen Rechtsordnung und internationalen Grundrechtsstandards klar widerspricht. Zudem können die von der Kirche angeführten Gegenargumente im 21. Jahrhundert nicht mehr als sachliche oder objektive Rechtfertigungsgründe anerkannt werden. Und da stellt sich schon die Frage, wie lange diese Selbstbestimmung noch in der heutigen Vorbehaltlosigkeit staatlicherseits hingenommen wird, also vor allem dort, wo die Selbstbestimmung rechtswidrig ausgeübt wird.

*Denise Buser ist emeritierte Titularprofessorin für kantonales Staatsrecht an der Universität Basel und Dozentin an der Universität Luzern. Zudem war sie Richterin am Strafgericht Basel-Stadt.


Denise Buser | © Jacqueline Straub
19. April 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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