Kardinal Kurt Koch
Kommentar

David Klein kritisiert Kurt Koch und fordert Neuanfang im Vatikan-Dialog mit den Juden

Ausgerechnet der Kurienkardinal, der für die Ökumene und fürs Judentum zuständig ist, führt sich auf wie ein Elefant im Porzellanladen. Für einen innerkatholischen Kampf verweist Kurt Koch auf die Blut-und-Boden-Ideologie der Deutschen Christen. So nicht, sagt ein Basler Jude. Ein Gastkommentar.

David Klein*

Ich habe gezögert, ob ich meine Sicht der Dinge in einem Gastkommentar darlegen soll. Denn der Albtraum eines Schweizer Kurienkardinals – etwa die allgemeinen Menschenrechte, die Gleichberechtigung der Geschlechter oder eine selbstbestimmte Sexualität – ist kein jüdisches, sondern ein innerkatholisches Problem.

Für den Kardinal sind die Deutschen das Problem

Zunächst dachte ich mir: Das ist nicht mein Fight. Auf den ersten Blick hat Kochs Pamphlet in der «Tagespost» nichts mit Antisemitismus oder der Beziehung der Kirche zu den Juden zu tun.

David Klein
David Klein

Doch wer Kochs umstrittenes Interview in der «Tagespost» genau liest, merkt schnell: Er verwickelt Protestantinnen und Juden in seinen innerkatholischen Kampf um Deutungshoheit. Statt das Problem bei sich zu suchen, sieht Kurt Koch in seiner missglückten Entschuldigung nun das Problem bei den Deutschen: «Ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind.»

Kurt Koch instrumentalisiert den Nationalsozialismus

Als Jude wehre ich mich dagegen, dass der Nationalsozialismus von einem katholischen Kardinal für seine eigenen kirchenpolitischen Zwecke instrumentalisiert wird.

Kurt Koch (rechts) 2009 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Kurt Koch (rechts) 2009 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

Offenbar sieht Kurt Koch in den Reform-Papieren zum Synodalen Weg wie «Macht und Gewaltenteilung in der Kirche», dem Update zur Sexualmoral, zum Priestertum und zur Frauenfrage eine derart grosse Gefahr für die katholische Kirche, dass er sie für vergleichbar hält mit der Ideologie der Nazis für die damalige Gesellschaft.

Kurt Koch schweigt zu Ratzingers problematischer Vergangenheit

Es ist bezeichnend, dass Koch einen anderen Ewiggestrigen wohlwollend zitiert: Joseph Ratzinger, der sich aus Altersschwäche als Papst frühpensionieren liess. Als Mitglied des Benedikt-Schülerkreises wäre Kurt Koch in der Pflicht, kritische Fragen zu Joseph Ratzingers NS-Vergangenheit zu stellen und diese mit einem «Nie wieder!» zu beantworten. Stattdessen spielt der Schweizer Kurienkardinal mit dem Feuer.

Kurt Koch beim Benedikt-Schülerkreis.
Kurt Koch beim Benedikt-Schülerkreis.

Erinnern wir uns: Ratzinger war Flakhelfer bei der Hitlerjugend und hob als Papst die Exkommunikation von vier Bischöfen der antisemitischen Piusbrüderschaft auf.

Ratzinger wollte die Karfreitagsfürbitte

Ratzingers Mentor, Kardinal Michael Faulhaber, liess nach Georg Elsers gescheitertem Attentat auf Adolf Hitler im November 1939 im Münchner Dom ein «Te Deum» aufführen, «um im Namen der Erzdiözese der Göttlichen Vorsehung zu danken, dass der Führer dem verbrecherischen Anschlag, der auf sein Leben gemacht wurde, glücklich entronnen ist».

Papst Benedikt und sein Bruder Georg Ratzinger im Jahr 2008.
Papst Benedikt und sein Bruder Georg Ratzinger im Jahr 2008.

Ratzinger führte die umstrittene Karfreitagsfürbitte wieder ein, die Christen auffordert, «für die treulosen Juden (pro perfidis Iudaeis)» zu beten, «dass auch sie erkennen unsern Herrn Jesus Christus».

Ratzinger machte in Auschwitz die Täter zu Opfern

Ratzinger verhöhnte in seiner wahnwitzigen Auschwitz-Rede die Ermordeten und schwafelte von Juden, die dort «gestorben» seien, als wenn diese ohne Zutun der Nazimörder einen Herzinfarkt erlitten hätten.

Kunst am Hamburger Hauptbahnhof.
Kunst am Hamburger Hauptbahnhof.

Er machte in Auschwitz die Täter zu Opfern, indem er die Millionen, die beim Massenmord mitmachten, als Verführte und Verblendete hinstellte, als «gebrauchte und missbrauchte» Opfer einer kleinen «Schar von Verbrechern». Entlarvend, in welchen Situationen Ratzinger von Missbrauch spricht – und in welchen nicht.

Problematischer Aufsatz

Ausgerechnet dieser Ratzinger kam 2018 daher und propagierte in seinem Beitrag «Gnade und Berufung ohne Reue», erschienen in der theologischen Fachzeitschrift «Communio», die Substitutions-Theologie, diese ungeheuerliche Anmassung des Christentums gegenüber seiner Ursprungsreligion:

Papst Benedikt XVI. und Kurt Koch im November 2010.
Papst Benedikt XVI. und Kurt Koch im November 2010.

«Die Umstiftung des Sinai-Bundes in den neuen Bund im Blute Jesu, das heisst in seiner den Tod überwindenden Liebe, gibt dem Bund eine neue und für immer gültige Gestalt.» Der Neue Bund (Christentum) tritt an die Stelle des Alten (Judentum), auch wenn dieser «im Kern» weiter bestehe. Mit anderen Worten: Die Erleuchtung der Juden kann nicht kommen, solange sie Jesus nicht als Erlöser akzeptieren.

Ein einmaliger Vorgang in der Kirchengeschichte

Wie wir wissen, war Kurienkardinal Kurt Koch der massgebliche Treiber, der Ratzingers antijüdischen Aufsatz zum Erscheinen brachte – zum Entsetzen des Schweizer Jesuiten Christian Rutishauser, der Ratzinger in einem bemerkenswerten NZZ-Aufsatz widersprach. Koch und Ratzinger mussten später zurückkrebsen – ein einmaliger Vorgang in der Kirchengeschichte.

Der Schweizer Jesuit Christian Rutishauser im Garten der Hochschule für Philosophie in München.
Der Schweizer Jesuit Christian Rutishauser im Garten der Hochschule für Philosophie in München.

Der ehemalige Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, der Kurt Koch (noch) den Rücken stärkt, hielt dem Europachef von Microsoft kürzlich entgegen: «Erfinde du, mein Sohn, ein Betriebssystem, das 2000 Jahre hält.»

Eine Entschuldigung bei den Juden wäre ein guter Anfang

Ja, das «Betriebssystem» Kirche funktioniert nun schon 2000 Jahre: 2000 Jahre neutestamentarischer Judenhass mit Millionen von ermordeten Juden, Schulterschluss mit den Nazis, millionenfacher Kindesmissbrauch, Frauenhass und Unterdrückung von Frauen, Homophobie und neuerdings auch noch Islam-Apologetik. Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen ist die christliche Kirche vermutlich die moralisch verwerflichste Institution, die es jemals gab.

Papst Franziskus betet am 26. Mai 2014 an der Klagemauer in Jerusalem.
Papst Franziskus betet am 26. Mai 2014 an der Klagemauer in Jerusalem.

Gerade nach der kirchlichen Vorgeschichte mit den Juden braucht der christlich-jüdische Vatikan-Dialog einen Neustart. Ich übergebe diese Aufgabe an Papst Franziskus, der immer wieder betont, dass eine jüdische Psychotherapeutin in Buenos Aires sein Leben gerettet hat. Eine Entschuldigung bei den Juden wäre ein guter Anfang.

* Der jüdische Journalist und Musiker David Klein lebt in Basel. Er schreibt unter anderem für die «Weltwoche», den «Nebelspalter», «Insideparadeplatz» und «Audiatur-Online».


Kardinal Kurt Koch | © KNA
3. Oktober 2022 | 05:00
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