Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022.
Schweiz

Kurt Koch kritisiert den Zeitgeist: «Diese Erscheinung hat es bereits während der NS-Diktatur gegeben»

Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch sieht aktuell Parallelen zu den 1930er-Jahren. So werde behauptet, ausser Schrift und Tradition gebe es neue Offenbarungsquellen: «Diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben», sagt Koch in einem Interview.

Raphael Rauch 

Auf die Frage, ob es »neue Offenbarungsquellen» wie den «Zeitgeist» oder «das Gefühl der Gläubigen» gebe, antwortet Kurienkardinal Kurt Koch in einem Interview mit der «Tagespost»:

«Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht. Denn diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben, als die sogenannten «Deutschen Christen» Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben.»

Barmer Theologische Erklärung

Koch erinnert im «Tagespost»-Interview an die Bekennende Kirche. Diese habe 1934 mit der Barmer Theologischen Erklärung klargestellt: «Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle der Verkündigung ausser und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.»

Dietrich Bonhoeffer ist das Gesicht der Bekennenden Kirche. Er widersprach den "Deutschen Christen".
Dietrich Bonhoeffer ist das Gesicht der Bekennenden Kirche. Er widersprach den "Deutschen Christen".

Der Synodale Weg in Deutschland sei zu wenig an der «Offenbarung Gottes und ihrer Weitergabe in der lebendigen Tradition der Kirche» orientiert. «Wo umgekehrt das eigene Denken darüber befinden will, was zur Offenbarung Gottes gehört, dort entsteht der unwiderstehliche Drang, eine originelle Theologie und Verkündigung zu entwickeln», sagt Koch der «Tagespost». 

Koch ruft die Würzburger Synode in Erinnerung

Der christliche Glaube müsse «stets ursprungsgetreu und zeitgemäss zugleich ausgelegt werden», betont der Kurienkardinal. «Im Dreischritt der gläubigen Erkenntnis – Sehen, Urteilen und Handeln – gehören die Zeichen der Zeit zum Sehen und keineswegs zum Urteilen neben den Quellen der Offenbarung. Diese notwendige Unterscheidung vermisse ich im Orientierungstext des Synodalen Weges.»

Ein Ölbild in Solothurn erinnert an den früheren Bischof von Basel, Kurt Koch (1996–2010).
Ein Ölbild in Solothurn erinnert an den früheren Bischof von Basel, Kurt Koch (1996–2010).

Kurt Koch erinnert an die Würzburger Synode, die vor 50 Jahren den Satz formulierte: «Die Krise des kirchlichen Lebens beruht letztlich nicht auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber unserem modernen Leben und Lebensgefühl, sondern auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber dem, in dem unsere Hoffnung wurzelt und aus dessen Sein sie ihre Höhe und Tiefe, ihren Weg und ihre Zukunft empfängt: Jesus Christus mit seiner Botschaft vom ‘Reich Gottes’.»

Kritik an der deutschen Theologie

Koch kritisiert auch die «starke» Tendenz in der deutschen Theologie, «in allem von der Freiheit als dem höchsten Wert für den Menschen auszugehen und von daher zu beurteilen, was noch als Glaubenswahrheit gelten darf und was über Bord geworfen werden muss». 

Dabei gelte es, «in neuer Weise zu zeigen und vor allem zu leben, dass es an der Wahrheit des Glaubens vorbei keine Freiheit geben kann». Koch ruft Benedikt XVI. in Erinnerung, der einst formuliert hatte: «Erst wenn Wahrheit und Liebe übereinstimmen, kann der Mensch froh werden, erst die Wahrheit macht frei.» Nur die Wahrheit mache frei und nicht die Freiheit wahr.


Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022. | © Keystone
29. September 2022 | 00:01
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!