Dreharbeiten zu "The Passion of the Christ" von Mel Gibson
Religion anders

Das Christus-Ereignis im Film – bei Gibson und Pasolini

Mel Gibson und Pier Paolo Pasolini, das sind zwei völlig verschiedene Arten, sich künstlerisch dem Evangelium anzunähern. Gerade im Vergleich von «The Passion of the Christ» und «Il Vangelo secondo Matteo» zeigen sich die ästhetischen und theologischen Eigenheiten schärfer.

Francesco Papagni

Mel Gibsons «The Passion of the Christ», 2004 in die Kinos gekommen, umfasst die Ereignisse von der Nacht im Garten Getsemane bis zur Auferstehung. Das Leben und Wirken Jesu vor diesem Moment bleiben aussen vor. Der Film fand gutes bis enthusiastisches Echo in konservativ-katholischen und evangelikalen Kreisen, während viele das Werk als gewaltverherrlichend kritisierten.

Frühe Kirche hat Evangelienharmonie verworfen

Die exzessive Gewalt ist ein Aspekt dieses Films. Ein anderer wurde weniger beachtet: Im Gegensatz zu früheren Evangelienverfilmungen, etwa von Francesco Zeffirelli oder Pier Paolo Pasolini, folgt Gibson keinem bestimmten Evangelium. Ja, es kann deswegen eigentlich gar nicht als Evangelienverfilmung gelten, vielmehr ist es ein Diatessaron. Das kennen wir in schriftlicher Form aus der frühen syrischen Kirche und bedeutet Evangelienharmonie.

Mel Gibson bei Dreharbeiten zu "Hacksaw Ridge", 2016
Mel Gibson bei Dreharbeiten zu "Hacksaw Ridge", 2016

Tatsächlich gibt es zwischen den vier Evangelien erhebliche Unterschiede auch bei der Schilderung derselben Ereignisse. Das irritierte und so kam die Idee auf, die vier auf einen einzigen Text hin zu harmonisieren. Die frühe Grosskirche hat dies aber verworfen.

Indem Gibson diesen Zugang wählt, kann er sich grosse künstlerische Freiheiten erlauben. Vor allem aber muss er immer wieder entscheiden, wie er eine Szene, eine Begebenheit gestalten will. Er hat ja keine bestimmte Textvorlage. Aber mit welchen Kriterien tut er das? Und wie kann er die Kriterien rechtfertigen?

Hyperrealistische Gewaltdarstellung

Zuerst einmal stellt er jene Szenen dar, die seiner Vorstellung eines schrecklichen Leidens und Sterbens entsprechen. Dies beginnt schon vor der Kreuzigung mit der Geisselung, die in hyperrealistischer Manier dargestellt wird. Gibson kalkuliert den Schock, den er damit im Publikum auslöst. Er will damit Faktentreue suggerieren oder anders gesagt: Er will zeigen, wie es wirklich gewesen ist. Diesem Ziel dient auch der Einsatz der Originalsprachen Aramäisch und Lateinisch. Und die Aufmerksamkeit auf die Requisiten, die so historisch originalgetreu wie nur irgend möglich sein sollen.

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Ein riesiger Aufwand, der jedoch ins Leere geht. Denn das Vorhaben, die Ereignisse so genau wie möglich darzustellen, muss ohne Bezug zu einer konkreten Vorlage scheitern. Zudem wird die Absicht konterkariert durch die Einfügung von «übernatürlichen» Elementen, von denen in den Evangelien nichts zu finden ist. Beispiel: Am Kreuz verhöhnt einer der zwei Räuber, die zusammen mit Jesus gekreuzigt werden, den Heiland. Augenblicklich taucht ein Rabe auf, der den Schmäher am Kopf verletzt. Ein Strafwunder, von dem jedoch die Evangelien nichts wissen und ihnen überhaupt wesensfremd ist.

Ästhetik der Sparsamkeit

Ganz anders Pasolinis 1964 erschienener «Il Vangelo secondo Matteo»: Dieser Film atmet den Geist einer Ästhetik, die aus dem italienischen Neorealismus entstanden ist. Schlichtheit, sparsamer Einsatz von Requisiten und die Suche nach Authentizität charakterisieren diese Arbeitsweise. Pasolini huldigt bewusst einer Ästhetik der materiellen Sparsamkeit, die im scharfen Kontrast zum Aufwand Gibsons steht. Und das ist Programm: Die Wahrheit des Evangeliums zeigt sich in der Vergegenwärtigung, nicht im Versuch, in einer Zeitmaschine zweitausend Jahre zurückzufahren.

Illusionsmaschine entkommen

Pasolini filmt in der kargen Landschaft Süditaliens, die derjenigen des Heiligen Landes gleicht. Dafür geht er nach Matera, eine Stadt in der Basilicata, damals bitterarm. Er, der aus dem Friaul stammt, der äussersten nordöstlichen Peripherie Italiens, geht in die südlichste Peripherie. Jesus selbst predigte in Galiläa, von Jerusalem aus betrachtet in der Peripherie. Damit nimmt er die Haltung vorweg, die Papst Franziskus beseelt: an die Ränder gehen, zu den «Letzten».

Szene aus der Bibel-Verfilmung von Pasolinis «Il Vangelo secondo Matteo»
Szene aus der Bibel-Verfilmung von Pasolinis «Il Vangelo secondo Matteo»

Bei Pasolini vermischen sich marxistische und christliche Beweggründe. Die Arbeit mit Laienschauspielern ist ein genialer Schachzug, um der Illusionsmaschine Kino wenigstens teilweise zu entkommen. Die Schauspieler schauspielern kaum, sie wirken durch ihre Präsenz. Dadurch bekommt das gesprochene Wort ein grosses Gewicht. Natürlich nimmt sich auch Pasolini künstlerische Freiheiten heraus, aber diese sind nachvollziehbar. Sein Evangelium wirkt durch die Grossaufnahmen der Gesichter der einfachen Leute, von denen übrigens viele schadhafte Zähne haben, während bei Gibson selbst die römischen Legionäre Zähne haben, als sei die Schweizer Zahnvorsorge schon vor zweitausend Jahren Standard gewesen. Und es wirkt durch einen souveränen Jesus, der tatsächlich mehr dem Johanneischen als dem Matthäischen gleicht.

Auch Gibson steht in einer Tradition

Nun ist auch «The Passion of the Christ» nicht aus dem kulturellen Nichts erwachsen. Ein Einsiedler Devotionalienhändler sagte mal, einigen könne das Kruzifix nicht blutig genug sein. Diese Tradition gibt es im Christentum durchaus. Indem Gibson diese aber ins Extreme steigert, erzielt er den gegenteiligen Effekt: Schock erzeugt Abstossung.

«Il Vangelo secondo Matteo» gilt als unübertroffenes, vielleicht unübertreffliches Meisterwerk. «The Passion of the Christ» hingegen kann aus den genannten Gründen nicht als Evangelienverfilmung gelten. Es ist «historische Science-fiction» (Johannes Corrodi). Dem Vernehmen nach arbeitet Gibson an einem neuen Film über Jesus Christus. Da sind wir ja gespannt.


Dreharbeiten zu «The Passion of the Christ» von Mel Gibson | © Keystone
30. März 2024 | 07:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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