Samuel Schmid, Chef Armeeseelsorge
Schweiz

Chef Armeeseelsorge weist SVP-Kritik am Gebet von Muslimen zurück: «Bilddebatte ist ein Sturm im Wasserglas»

Für den Chef Armeeseelsorge, Samuel Schmid, ist ein muslimisches Gebet im Militärdienst «etwas ganz Normales». «Alle Armeeangehörigen haben die gleichen Rechte, egal mit welchem religiösen Hintergrund.» Denn alle setzten sich für die Schweiz ein – unter Umständen gar mit ihrem Leben.

Regula Pfeifer

Ein Foto mit betenden muslimischen Armeeangehörigen sorgt für politische Aufregung. Wie ist das für Sie als Chef der Armeeseelsorge?

Samuel Schmid: Armeeangehörige hatten ein religiöses Bedürfnis und wandten sich damit an ihre militärischen Vorgesetzten. Diese schauten, ob das im Rahmen des Dienstbetriebes möglich ist. Darauf wurde das Gebetsangebot – auf freiwilliger Basis – gemacht. Das war also etwas ganz Normales.

«Anlass fürs Gebet war das muslimische Opferfest am letzten Mittwoch.»

War das ein spezieller Moment – weil gerade das Opferfest gefeiert wurde – und damit eine Ausnahmesituation?

Schmid: In der Tat war der Anlass das muslimische Opferfest am letzten Mittwoch, bei dem sich das Bedürfnis besonders artikulierte. Es ist aber nicht das erste Mal, dass ein muslimisches Gebet stattfindet. Bereits früher meldeten muslimische Armeeangehörige, dass sie ein Gebet verrichten oder etwa ein Freitagsgebet besuchen möchten. Das wird – nach Möglichkeit – organisiert. Wie bei Gläubigen anderer Religionen auch.

Das Gebet war offenbar öffentlich sichtbar, es gab ein Foto. Ist das für die Armee kein Problem, wenn das gegen aussen sichtbar ist?

Schmid: Wir suchen die Öffentlichkeit nicht. Wir ermöglichen das Gebet und möchten dabei den Persönlichkeitsschutz berücksichtigen und die persönliche Atmosphäre eines religiösen Rituals wahren helfen. Allerdings muss man das Gebet auch nicht verstecken. Denn es ist etwas völlig Normales.

Muris Begovic ist muslimischer Armeeseelsorger.
Muris Begovic ist muslimischer Armeeseelsorger.

Auch ein muslimisches Gebet?

Schmid: Ja. Alle Armeeangehörigen haben dasselbe Recht, ihr religiöses Bedürfnis anzubringen. Die Armee ist eine Armee für alle. Die Armeeseelsorge ist eine Armeeseelsorge für alle. Wir stehen zu unseren Armeeangehörigen, die ihren Dienst für unser Land tun. Und die sich bewusst sind, dass sie das unter Umständen auch unter Einsatz ihres Lebens tun müssen.

«Christliche Rituale, Zeremonien, Gottesdienste haben eine sehr lange Tradition.»

Gibt es ähnliche Gebete für christliche Gläubige?

Schmid: Selbstverständlich. Gerade christliche Rituale, Zeremonien, Gottesdienste und Gebete haben ja eine sehr lange Tradition. Die Armeeseelsorge feiert dieses Jahr ihr 140-jähriges Bestehen in der Armee der modernen Schweiz. Seit Anbeginn gab es immer auch christliche Gebete und Gottesdienste. Das Bataillon, in dem das Gebet stattfand, hat eine Tradition christlicher Rituale.

Beten mit Bibel
Beten mit Bibel

Gab es kürzlich christliche Gottesdienste?

Schmid: Ja, immer wieder. Ein Beispiel aus der Zeit der Corona-Pandemie: Als an Ostern viele Armeeangehörige in der Kaserne bleiben mussten, organisierten wir verschiedene Feiern. Darunter waren auch christliche Gottesdienste, beispielsweise katholische Messen, die ein Priester leitete. Wie immer aufgrund eines Bedürfnisses – und auf freiwilliger Basis.

«Während der Coronazeit wollten jüdische Armeeangehörige Pessach feiern.»

Gab es auch schon jüdische Gebete?

Schmid: Ebenfalls während der Coronazeit wollten jüdische Armeeangehörige Pessach feiern. Wir haben ihnen den Raum zur Verfügung gestellt und die Möglichkeit dafür gegeben. Der Wunsch nach jüdischen Gebeten kommt aber aufgrund der bedeutend kleineren Anzahl jüdischer Armeeangehöriger weniger häufig vor.

Eine jüdische Grossfamilie feiert den Sederabend zum Pessachfest.
Eine jüdische Grossfamilie feiert den Sederabend zum Pessachfest.

Grundsätzlich sind Rituale aller Religionen möglich. Die Armeeseelsorge begleitet alle Armeeangehörigen seelsorglich und geht auf ihre religiösen Bedürfnisse ein.

Nun kommt von SVP-Exponenten Kritik wegen dieses Gebets. Im Sinn von: Das ist nicht mehr unsere Armee. Wie reagieren Sie darauf?

Schmid: Für die Armee gilt das Primat der Politik. Wir arbeiten gemäss den politischen Vorgaben, auf Basis unserer Verfassung. Das heisst, alle Armeeangehörige haben die gleichen Rechte, egal mit welchem religiösen Hintergrund. Dem gilt es Rechnung zu tragen.

Schweizer Armee bei der Näfelser Fahrt.
Schweizer Armee bei der Näfelser Fahrt.

Dass es in Politik und Gesellschaft ideologische Diskussionen gibt, ist normal und legitim. Aber in der Armee geht es nicht um Ideologien. Wir sind eine Armee für alle und behandeln deshalb alle gleich.

«Ein respektvoller Umgang gehört zu den Grundpfeilern unserer demokratischen Schweiz.»

Ist es für Sie unangenehm, wenn Ihre Art Armeeseelsorge angeschossen wird?

Schmid: Es gehört zur Demokratie, dass man unterschiedliche Meinungen haben und vertreten kann. Wichtig ist, den Respekt und die Wertschätzung gegenüber andersdenkenden Personen zu wahren. Ein respektvoller Umgang gehört zu den Grundpfeilern unserer demokratischen Schweiz.

Und trotz aller Unterschiede sollten wir uns immer auf unsere Gemeinsamkeiten besinnen. In der Armee ist das Gemeinsame: Wir sind alle da, um uns für die Sicherheit und Freiheit unseres Landes einzusetzen.

Plädieren Sie dafür, dass auch in der Politik mehr Respekt herrschen sollte?

Schmid: Meine Aufgabe als Chef der Armeeseelsorge ist es nicht zu beurteilen, was für ein Umgang in der Politik gepflegt wird. Meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass die Werte in der Armee weiter gestärkt werden.

Station Rütli - mit Schweizerfahne
Station Rütli - mit Schweizerfahne

«Wer in der Armee dient, bekundet seinen Willen, unserer Willensnation zu dienen, für sie gar ihr Leben zu lassen.»

Die Schweiz hat seit jeher eine grosse Vielfalt, Diversität und Verschiedenartigkeit. Wir sind eine Willensnation. Es ist unser Wille, dass wir zusammen vorwärts gehen. Respekt und Wertschätzung sind dafür die Grundlage. Wer in der Armee dient, bekundet seinen Willen, unserer Willensnation zu dienen, für sie gar ihr Leben zu lassen.

Ändern Sie nun etwas in der Armeeseelsorge – nach der Aufregung rund um das muslimische Gebet?

Schmid: Bei diesem Gebet ist alles korrekt und richtig gelaufen – nach den Grundsätzen der Armee und der Armeeseelsorge. Es besteht keinerlei Anlass, etwas zu ändern. Im Gegenteil: Wir haben in den letzten Tagen viele positive Reaktionen erhalten, von Armeeangehörigen und aus der Bevölkerung. Auch im Bataillon selbst wurde das Gebet mitgetragen, es war für die Betroffenen stimmig und richtig. Ein Foto kann falsch verstanden werden.

«Nur rund zwanzig muslimische Armeeangehörige verrichteten ihr rund 20-minütiges Gebet.»

Wie meinen Sie das?

Schmid: Mit dem Bild können falsche Assoziationen verknüpft werden. Man könnte meinen, alle Soldaten stehen rundum und in der Mitte sind ein paar Betende. So war das nicht. Die meisten Armeeangehörigen im Bataillon – also mehrere hundert Personen – befanden sich in jenem Moment gerade in der Pause. Nur rund zwanzig muslimische Armeeangehörige verrichteten in diesem Moment der Stille ihr rund 20-minütiges Gebet. Und rund 20 Kameraden schauten ihnen dabei zu. Eine kleine Gruppe im grossen Bataillon, also. Die Bilddebatte ist ein Sturm im Wasserglas.


Samuel Schmid, Chef Armeeseelsorge | © zVg
4. Juli 2023 | 16:00
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