11-Uhr-Sonntagsgottesdienst in Hergiswil NW: Pfarradministrator Stephan Schonhardt rückt näher an die zirka 20 Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, um seine Predigt zu halten.
Schweiz

«Buebetrickli» führt zur stillen Pfarrwahl

Der Hergiswiler Kirchenrat macht mit Hilfe des Bistums Chur Stephan Schonhardt in stiller Wahl zum Pfarrer. Die Pfarrwahl verkomme so zur Alibiübung, sagen empörte Hergiswiler. Es ist ein schweizweites Problem.

Thomas Vaszary*

Die unruhigen Zeiten in der katholischen Kirche in Hergiswil begannen nach der Pensionierung von Pfarrer Freddy Nietlispach vor zwölf Jahren. Unglückliche Nachfolgelösungen, unselige Einmischungen des Bistums Chur und Abgänge langjähriger Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter haben tiefe Spuren hinterlassen.

Die einst liberale Kirchgemeinde war lange Zeit geprägt von Offenheit und einer gelebten Ökumene. Nun sorgt die stille Wahl von Pfarradministrator Stephan Schonhardt zum Pfarrer von Hergiswil für rote Köpfe. Dass er ohne Pfarrwahl an einer Kirchgemeindeversammlung oder an der Urne zu seinem Amt kam, sehen Kritiker als ein «Buebetrickli»* des Kirchenrats mit Hilfe des Bistums Chur.

«Buebetrickli»

Der Begriff stammt aus dem Eishockey, der es bis in die nationale Politik geschafft hat. Ein Spieler fährt unverfänglich mit dem Puck hinter das gegnerische Tor und versucht mit einer plötzlichen und schnellen Drehbewegung den Puck auf der anderen Seite um den Pfosten herum ins Tor zu tricksen.

Pfarrwahl an Urne verwiesen

Die Katholiken in Hergiswil haben nach langer Zeit wieder einen Pfarrer in Aussicht: Stephan Schonhardt, seit zwei Jahren als Priester in Hergiswil tätig, seit September 2019 als Pfarradministrator und Nachfolger des später vom Bistum Chur abgesetzten Generalvikars Martin Kopp.

Doch im beschaulichen Dorf am Vierwaldstättersee regt sich seit einiger Zeit Widerstand. Eine Unterschriftensammlung führt zur Abtraktandierung der Pfarrwahl an der Kirchgemeindeversammlung vom 24. November und zur Ankündigung einer Wahl an der Urne vom 14. Februar. «Damit aufgrund der Covid-Situation alle ihre Stimme getrost abgeben können und der Kirchenrat endlich die Sorgen ernst nimmt», sagt eine Unterschriftensammlerin, die wegen eines «Maulkorbs» des Kirchenrates verunsichert ist und ihren Namen nicht publiziert sehen will.

Eine Gruppe von 22 Initiantinnen und Initianten hatte dem Kirchenrat einen Brief geschrieben und eine Aussprache verlangt. Es sind vor allem inhaltliche Sorgen gemeint in einer Kirchgemeinde, deren Leitung sich theologisch immer mehr an Schatten-Bischof Martin Grichting im Bistum Chur orientiert und die Ökumene nahezu zum Erliegen gebracht hat. Gemeint sind weniger Schonhardts Methoden und teils unkonventionelle Versuche, die Gemeinde aufzurütteln mit speziellen Eltern-Kind-Events oder gar Whisky-Degustations-Exerzitien. «Man muss aus den Brauchtums- und Konsumkatholiken wieder Jünger Jesu machen», sagte Schonhardt im September der «Nidwaldner Zeitung».

Ein Quereinsteiger aus der Wirtschaft

Stephan Schonhardt (50) besuchte das Priesterseminar St. Luzi in Chur und wurde am 26. Mai 2018 von Bischof Vitus Huonder zum Priester geweiht. Der Schwarzwälder ist ein Quereinsteiger, war nach seinem Erststudium in Wirtschaft, Steuern und Marketing als Steuerberater tätig mit eigener Firma. Dies ist bei seinen Auftritten in der Kirche durchaus zu spüren. Am Sonntagsgottesdienst vom 10. Januar hingegen war Schonhardt sichtlich nervös, als er vor zirka 20 Personen über Selbstliebe, Nächstenliebe und Frieden in der Gemeinde predigte. Die Unterschriftensammlung beschäftigt ihn. Doch zur Situation wollte er sich nach dem Gottesdienst gegenüber «kath.ch» nicht näher äussern und verwies auf die Publikationen im aktuellen Pfarreiblatt.

Paukenschlag «Stille Wahl»

Martin Dudle, Kirchenratspräsident der Pfarrei St. Nikolaus in Hergiswil am See
Martin Dudle, Kirchenratspräsident der Pfarrei St. Nikolaus in Hergiswil am See

Die Chronik der Ereignisse lässt sich online nachlesen (siehe Zusammenfassung rechts). In der Ausgabe vom 6. Januar gibt Kirchenratspräsident Martin Dudle bekannt, dass Pfarreiadministrator Stephan Schonhardt als Pfarrer in stiller Wahl gewählt sei, da bis zum 28. Dezember ein Gegenkandidat gefehlt habe. Die geplante Wahl an der Urne vom 14. Februar wird es laut Dudle und dem Bistum Chur nicht geben.

Die Stellungnahmen von Dudle und Schonhardt im Pfarrblatt enthalten viele Unterstellungen und lesen sich wie eine einzige Rechtfertigung. Der Frust angesichts des Gegenwinds muss gross sein. Der Frust in der Kirchgemeinde ist allerdings nicht kleiner. Die Initantinnen und Initianten sind verunsichert, denn Äusserungen in den beiden Artikeln des Pfarreiblatts haben einen regionalen Medienwirbel verursacht, der eine offene Aussprache nicht erleichtere. 

«Sünden wie die Pornosucht»

Wie auch die «Nidwaldner Zeitung» am 9. Januar schreibt, wollen die Initianten der Unterschriftensammlung die Sorgen und Vorwürfe der Gemeindemitglieder in Form von konkreten Beispielen an einem runden Tisch darlegen. Recherchen zeigen: Die Initianten haben die Dynamik wohl unterschätzt und geben sich jetzt wortkarg.

«Seelsorgerisches Fehlverhalten, fehlende Empathie und narzisstisches Verhalten» sind aber Vorwürfe, die nicht so pauschal stehen bleiben dürfen. Die Website der Pfarrei gibt etwas Aufschluss. Unter dem Sakrament der Beichte ist nachzulesen, wie Pfarradministrator Stephan Schonhardt «Sünden wie die Pornosucht» austreiben möchte.

«Schonhardt ist in Hergiswil fehl am Platz, er ist – biblisch gesprochen – ein Jünger Huonders.»

Werner Marti, pensionierter Gemeindeschreiber

Werner Marti, pensionierter Gemeindeschreiber von Hergiswil, spricht Klartext. Er wandte sich schon früh eigenständig an den Kirchenrat und wollte an der Kirchgemeindeversammlung sogar einen Antrag auf Nichtwahl von Schonhardt stellen. Marti will nach wie vor, dass Schonhardt geht und sagt unverblümt: «Schonhardt ist in Hergiswil fehl am Platz, er ist  – biblisch gesprochen – ein Jünger Huonders.» (Anm. d. Red.: emeritierter Churer Bischof Vitus Huonder).

Auch Paul Mathis, 24 Jahre lang Kirchenrat bis 2012, ist Stephan Schonhard begegnet und hält ihn für unglaublich beratungsresistent. «Er ist ein Churtreuer und macht was er will, hört auf niemanden, will alleine im Mittelpunkt stehen und duldet niemanden neben sich.»

Ohnehin stille Wahl mangels anderer Kandidaten

Schuld an der nun stillen Wahl sollen laut Dudle exakt jene Hergiswiler sein, welche mit ihren 225 Unterschriften das Quorum von 118 klar übertrafen und Corona bedingt die Mitsprache aller durch eine demokratische Wahl an der Urne anstrebten. Dudle schreibt: «Die offen geplante Wahl wurde zur stillen Wahl – wegen der Intervention und der Unterschriftensammlung einer bisher nicht in Erscheinung getretenen Gruppierung von Gemeindemitgliedern».

Kirchenrechtlich gesehen hätte es in der Tat auch an der Kirchgemeindeversammlung zu einer stillen Wahl kommen müssen – mangels Gegenkandidaten und ohne Antrag auf Nichtwahl.

Doch der Kirchenrat spricht von der «offen geplanten Wahl». Die beiden letzten gewählten Pfarrer Josef Zwissig 1987 und Freddy Nietlispach 2000 wurden ohne Gegenkandidaten und mit offenem Handmehr vom Volk gewählt. In der Weihnachtsausgabe des Pfarrblatts hatte der Kirchenrat sogar «auf rege Wahlbeteiligung» gehofft und damit klargemacht, dass er mit einem Urnengang im Februar rechnen würde, bevor er schliesslich vom Bistum Chur zurückgepfiffen wurde.

Wahlbeschwerde innert 20 Tagen?

Nun sollen endlich Gespräche zwischen Kirchenrat und Gemeindemitgliedern die Wogen glätten. Das Angebot ist mit einem «Maulkorb» verknüpft, wie mehrere Quellen unabhängig voneinander bestätigen. Kirchenratspräsident Martin Dudle und Pfarradministrator Stephan Schonhardt hingegen konnten ihre Sicht auf vier Seiten darlegen und hielten mit Spitzen gegen die Unterschriftensammler nicht zurück. Ein offenes Gesprächsangebot sieht anders aus.

Ob eine mögliche Beschwerde beim Regierungsrat gegen die Wahlfeststellung innerhalb von 20 Tagen die stille Wahl kippen kann, ist unter den gegebenen Umständen fraglich. Stephan Schonhardt dürfte wohl für die nächsten Jahre Pfarrer von Hergiswil bleiben, falls nicht doch noch ein formeller Fehler nachgewiesen werden kann.

Gesetzesänderung für Pfarrwahl tut Not

Damit offenbart sich das Grundproblem bei katholischen Pfarrwahlen schlechthin: Die Kombination von staatlichem Wahlverfahren und kirchenrechtlicher Wahlbestimmung funktioniert nicht. In einigen Kantonen sind zurzeit Bestrebungen im Gange, die Gesetzgebung umzuschreiben, damit eine echte Wahl mit Ja, Nein, Enthaltungen und aktiven Leerstimmen möglich wird.

Die Reformierten kennen diese offene Volkswahl seit langer Zeit, auch wenn sie aktuell in Nidwalden durch eine Anstellung durch den Kirchenrat ersetzt werden soll. Mit Blick auf die Katholiken in Hergiswil werden es sich die Reformierten wohl nochmals überlegen, die Volkswahl der Pfarrpersonen leichtfertig zu kippen.

* Thomas Vaszary ist freier Journalist und wohnt in Hergiswil NW. Dieser Artikel wurde am 17. Januar um einen Abschnitt ergänzt.


11-Uhr-Sonntagsgottesdienst in Hergiswil NW: Pfarradministrator Stephan Schonhardt rückt näher an die zirka 20 Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, um seine Predigt zu halten. | © Thomas Vaszary
12. Januar 2021 | 16:59
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

Chronologie der Ereignisse einer Pfarrwahl

Auf der Website kirche-hergiswil.ch hat der Kirchenrat der katholischen Kirche in Hergiswil die Ereignisse chronologisch aufgelistet:

Bereits am 19. November weist der Rechtsdienst des Kantons Nidwalden darauf hin, dass das Wahlverfahren gemäss Gesetz und Verordnung einzuhalten sei. Am 24. November findet die Kirchgemeindeversammlung öffentlich statt, verabschiedet aber nur das Budget 2021, weil die Pfarrwahl zuvor mittels 225 Unterschriften an die Urne verwiesen worden ist.

Am 27. November berät Martin Gritching vom Bistum Chur den Kirchenrat und bestätigt: «Die Wählbarkeit richtet sich nach der kirchlichen Ordnung. Somit bestimmt das Bistum, wie und wer gewählt werden kann. Das Bistum erteilt die Erlaubnis der Einsetzung eines Pfarrers, die Gemeinde hat formell lediglich das Recht eines Wahlvorschlags.»

Der Kirchenrat hätte Ende November sofort reagieren und die Initianten nach einer ausserordentlichen Sitzung informieren können. Doch es dauerte nochmals Wochen bis zur ordentlichen Kirchenratssitzung vom 16. Dezember und zur offiziellen Publikation im Nidwaldner Amtsblatt vom 23. Dezember – dem spätmöglichsten fristgerechten Termin.

Die Initiant*innen der Unterschriftenaktion wurden – immerhin – zwei Tage vor Publikation informiert. Doch ihnen blieben nur gerade sieben Tage Zeit, um über die Weihnachtstage einen Gegenkandidaten aus der Hutschachtel zu zaubern. Dies ist – auch bei viel gutem Glauben – wenig erfolgversprechend, denn auch der Gegenkandidat muss die bischöfliche Ernennung und Beauftragung des Bistums Chur sicher in der Tasche haben. (vazy)