Performance: Lika Nüssli liegt bei der St. Mangen Kirche in St. Gallen am Boden.
Schweiz

Blutüberströmt erinnert Künstlerin an die Heilige Wiborada

In einem weissen Gewand bat die Künstlerin Lika Nüssli Menschen auf der Strasse, sie mit rosa Farbe zu überschütten. Mit ihrer Performance in St. Gallen erinnerte sie an die Stadtheilige Wiborada. Das Kleid hat sie in der Kirche St. Mangen am leeren Grab von Wiborada zurückgelassen. Wiborada-Anhängerinnen und Anhänger wünschen sich dort einen Wallfahrtsort.

Barbara Ludwig

Die St. Galler Künstlerin Lika Nüssli sei an verschiedenen Orten in der Stadt aufgetreten, immer zur vollen Stunde. Das schreibt Hildegard Aepli, Initiantin des ökumenischen Projekts «Wiborada 2021-2026», in einer Medienmitteilung. Dabei habe sie Passantinnen und Passanten gefragt, ob sie Wiborada kennen.

Passanten reagieren unterschiedlich

Wiborada ist die Stadtheilige St. Gallens und zählt zu den Heiligen des Bistums St. Gallen. Einige der Menschen hätten die Aktion der Künstlerin abstossend gefunden und seien weitergegangen, heisst es in der Mitteilung. Andere wiederum hätten sich davon ansprechen lassen. Die Performance fand am 2. Mai statt, dem Gedenktag von Wiborada.

Wiborada war eine sogenannte Inklusin. Im zehnten Jahrhundert liess sie sich in einer Zelle bei der Kirche St. Mangen in St. Gallen einschliessen. 926 wurde die Wiborada in ihrer Zelle erschlagen, weil sie die Flucht vor den einfallenenden Ungarn verweigerte.

«Moderne Reliquie»

Die letzte Station der Performance «I Adore You» war die Kirche St. Mangen. Dort zog die Künstlerin das unterdessen rosafarben befleckte Gewand aus und legte es in einer Zeremonie auf eine Stelle auf dem Boden der Kirche, die als Ort des Grabes von Wiborada gekennzeichnet ist. Andreas Schwendener, Präsident des Evangelisch-reformierten Forum St. Gallen, hat den Anlass in einem Video auf Youtube dokumentiert.

Lika Nüssli zieht das Gewand aus.
Lika Nüssli zieht das Gewand aus.

Vorerst soll das Kleid als «moderne Reliquie» in der Kirche bleiben und im Rahmen eines Stationenwegs über Wiborada betrachtet werden können. Was später damit geschehen wird, sei noch offen, sagt die Historikerin Judith Thoma im Video. Auf jeden Fall kommt es nicht ins Grab von Wiborada.

Wiborada-Wallfahrtsort

«Wir wollen ausgraben. Wir wollen nichts mehr vergraben», so Thoma. Man wolle auch das Grab der Heiligen freilegen. Es handle sich dabei um ein 1,56 Meter grosses Grab aus Backstein. «Wiborada muss eine sehr kleine Frau gewesen sein.» Dazu müsste man den Boden entfernen und eine dicke Glasscheibe über die geöffnete Grabstätte legen, sagt Thoma.

Nachgebaute Zelle der heiligen Wiborada in St. Gallen.
Nachgebaute Zelle der heiligen Wiborada in St. Gallen.

Der Historikerin schwebt eine Art Wallfahrtsort vor, zu der Menschen pilgern könnten. Ideal wäre es, dies gemeinsam mit der St. Galler Kantonsarchäologie anzugehen. So könnten Frauengeschichten an einem «Ort» festgemacht werden, die etwa von Schulklassen besucht werden könnten.

Leeres Grab

Wer nun hofft, in dem Grab würden bei einer Öffnung die Gebeine von Wiborada zum Vorschein kommen, muss sich eines anderen belehren lassen. Das Grab ist nämlich leer. Dies habe man bereits 1946 bei einer Ausgrabung festgestellt, erklärt Judith Thoma. «Das ist archäologisch alles erforscht und dokumentiert.»

Wo die sterblichen Überreste der Inklusin lägen, sei unbekannt. Auf dem Hügel, auf dem die Kirche St. Mangen steht, befand sich noch im 19. Jahrhundert ein Friedhof. «Dort hat es Zehntausende von Knochen.»


Performance: Lika Nüssli liegt bei der St. Mangen Kirche in St. Gallen am Boden. | © Hildegard Aepli
3. Mai 2023 | 17:11
Lesezeit: ca. 2 Min.
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