Felix Goldinger ist der Erste, der sich in der Wiborada-Zelle einschliessen lässt.
Schweiz

Eingeschlossen in der Wiborada-Zelle: «Ich möchte Gott näher kommen»

Im April und Mai leben wieder Menschen wie einst die Heilige Wiborada in St. Gallen. Am Ort, an dem die Einsiedlerin im Mittelalter zehn Jahre eingemauert lebte, wurde vor zwei Jahren eine nachgebaute Zelle aus Holz errichtet. Erstmals bewohnen nun nur fünf Männer für je eine Woche die Zelle. Felix Goldinger (53) ist der erste, der sich ab Freitag einschliessen lässt.

Wolfgang Holz

«Für mich ist der Glaube sehr wichtig. Ich möchte in dieser Woche Gott näherkommen und meine Batterien für den Alltag an diesem Kraftort wieder aufladen», sagt Felix Goldinger. Der 53-Jährige ist Sozialpädagoge und arbeitet als Sozialmanager bei der Gemeinde in Seuzach bei Winterthur.

Einer von fünf Männern

Er ist einer von fünf Männern unter zehn Bewerbern, die es bei der dritten Auflage der Inklusion wagen dürfen, ganz allein eine Woche mit sich und Gott in der Holzzelle zu verbringen.

Diese Zelle wurde 2021 an die Kirche St. Mangen angebracht – in Erinnerung an den Ort, wo die Heilige Wiborada im Mittelalter zehn Jahre eingemauert verbrachte. Bislang haben bereits zweimal einige Männer und Frauen dieses mystische-exklusive Erlebnis machen dürfen.

Felix Goldinger (53) neben dem Holzanbau - dort, wo im Mittelalter die Heilige Wiborada zehn Jahre lang eingemauert war.
Felix Goldinger (53) neben dem Holzanbau - dort, wo im Mittelalter die Heilige Wiborada zehn Jahre lang eingemauert war.

Ganz so asketisch wie die erste heiliggesprochene Frau – anno 1047 von Papst Clemens II. – müssen die fünf Männer ihr eremitisches Dasein sicher nicht fristen.

Zelle nicht ganz so asketisch

Wer einen Blick auf das Zellen-Inventar der Inklusen wirft, entdeckt doch ziemlich viel Häuslich-Alltägliches in dem 12 Quadratmeter grossen Raum: Vom Zapfenzieher, über Abwaschmittel bis zum «Schüfeli und Bäseli».

Ein kleiner Elektroofen sorgt für Wärme. Ein Wasserkocher ist vorhanden. Ebenso wie ein Tisch, zwei Stühle, eine Matratze, ein Toi-Toi-WC sowie ein Tagebuch. Auch ein Acht-Liter-Wassertank für Trinkwasser und zur Körperpflege, der täglich neu aufgefüllt wird, steht zur Verfügung. Einmal pro Tag wird eine warme Mahlzeit von Freiwilligen vorbeigebracht.

Hildegard Aepli in der  Wiborada-Zelle vor zwei Jahren.
Hildegard Aepli in der Wiborada-Zelle vor zwei Jahren.

«Es gibt kein fliessendes Wasser, keine Dusche, kein Handy», zählt Theologin Hildegard Aepli auf und findet, dass das Zellendasein in der heutigen Zeit durchaus eine grosse Herausforderung für die einzelnen Personen darstelle.

Begeistert von spirituellem Erlebnis

Die Initiantin des Wiborada-Inklusen-Projekt war die erste, die in der Zelle lebte. Sie ist noch immer begeistert von dem spirituellen Erlebnis. Insbesondere von der Begegnung mit Menschen – nämlich zweimal am Tag durch das offene Fenster der Zelle mit Besucherinnen und Besuchern sprechen und ihre Anliegen und Fürbitten aufnehmen zu können. «Es kamen damals rund 150 Personen in einer Woche», erzählt sie noch immer fasziniert.

Doch zurück zu Felix Goldinger. Er lässt sich nun am Freitag, 28. April, als erster der fünf Männer einschliessen. «Während drei Vorbereitungsabenden habe ich mit den anderen vier Männern zusammen eine Tagesstruktur erarbeitet», ist er zuversichtlich.

«Es wird für mich schon eine Herausforderung werden, beispielsweise in meiner Bewegung massiv eingeschränkt zu sein.»

Felix Goldinger

Aber warum bloss tut er sich das an, eine Woche so abgeschieden von der Aussenwelt zu leben? Der 53-Jährige treibt zum Beispiel viel Sport in seiner Freizeit.

«Gottessucher»

«Es wird für mich schon eine Herausforderung werden, beispielsweise in meiner Bewegung massiv eingeschränkt zu sein», blickt der Sozialpädagoge voraus. Er empfinde viel Respekt vor dem bevorstehenden Aufenthalt.

Infotafel an der nachgebauten Wiborada-Zelle in St. Gallen
Infotafel an der nachgebauten Wiborada-Zelle in St. Gallen

«Ich möchte vor allem Fortschritte in meiner Beziehung zu Gott machen und an meine Grenzen kommen – etwas, was ich im Alltag selten erlebe», wünscht sich Goldinger.  »Ja, ich bin ein Gottessucher», bekennt Goldinger. Er möchte sich deshalb auch intensiver dem Bibelstudium widmen.

Zeichenblock und Farben mit dabei

Um sich abzulenken und um eine manuelle Arbeit in der Zelle zu leisten, nimmt er einen Zeichenblock und Farben in die Zelle mit. «Ich versuche auf diese Weise, um meine religiöse Innerlichkeit in Bilder zu übersetzen. Oder einfach ein momentanes Abbild meiner Seele zu zeichnen.»

Seine Ehefrau, die ihn in seinem Projekt unterstütze, habe sich schon einige Yoga-Übungen für ihn ausgedacht. Sie wolle ihm auch eine Mahlzeit vorbeibringen. Ausserdem beabsichtige er, viel zu meditieren. Einige Give-Aways, bemalte Metall-Kästli, für die Besucherinnen und Besucher am offenen Fenster hat er bereits im Gepäck.

Gespannt auf Begegnungen am offenen Fenster

«Ein bisschen Angst habe ich lediglich vor der eventuellen Langeweile», sagt der 53-Jährige. Und er fürchtet, dass es vielleicht zu Belästigungen von Leuten von aussen kommen könnte. Im Grunde freut er sich aber sehr auf sein Eingeschlossensein.

Gedenken an die Heilige Wiborada.
Gedenken an die Heilige Wiborada.

Nicht zuletzt ist er gespannt auf die bevorstehenden spontanen Begegnungen mit den Menschen während den täglichen zwei Stunden am offenen Fenster. Felix Goldinger: «Vielleicht kann ich dann jahrelang von diesem religiösen Erlebnis und meiner speziellen Begegnung mit Gott zehren.»


Felix Goldinger ist der Erste, der sich in der Wiborada-Zelle einschliessen lässt. | © Selim Jung, St. Galler Nachrichten
27. April 2023 | 13:15
Lesezeit: ca. 3 Min.
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