Martin Klöckener
Schweiz

«Morerod wurde wegen der Neuübersetzung des Messbuches ernannt»

Freiburg i.Ü., 4.11.16 (kath.ch) Der Westschweizer Bischof Charles Morerod wurde kürzlich nebst weiteren 26 Bischöfen und Kardinälen zum Mitglied der vatikanischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung ernannt. Dies könnte mit dem Konflikt um die Neuübersetzung der Messbücher zu tun haben, sagt Martin Klöckener im Gespräch mit kath.ch. Klöckener leitet das Institut für Liturgiewissenschaft an der Universität Freiburg (Schweiz).

Regula Pfeifer

Ist diese Ernennung von Bischof Charles Morerod ein Schritt in Richtung Karriere im Vatikan?

Martin Klöckener: Nein, das würde ich nicht sagen.

Was bedeutet die Ernennung der 27 neuen Mitglieder?

Klöckener: Das hängt davon ab, wie die in Rom ansässige Gottesdienstkongregation mit den neuen Mitgliedern zusammenarbeitet. Zieht sie sie regelmässig bei, müssen diese Mitglieder ein- bis zweimal pro Jahr an den Sitz der Kongregation gehen. Dort können sie sich einbringen, auch in die operative Arbeit der Kongregation, wenn es um die Festlegung von Aufgaben, Themen und Zielen geht. Diese Kontakte ermöglichen einen besseren Dialog des Vatikans mit den Kirchen in den Diözesen weltweit. Die ernannten Bischöfe und Kardinäle kommen ja aus den verschiedensten Kontinenten und Ländern.

Gibt es diesen Dialog denn?

Klöckener: In den vergangenen fünfzehn Jahren hat die Kongregation ihre externen Mitglieder sehr selten in ihre Vorgänge und Entscheidungen einbezogen.

Wie viele Mitglieder hat die Kongregation jetzt insgesamt?

Klöckener: Das wurde nicht kommuniziert. Es hängt davon ab, ob die bisherigen Mitglieder ihre Aufgabe behalten oder ob ihr Mandat abgelaufen ist.

Ändert die Kongregation mit den neuen Mitgliedern richtungsmässig?

Klöckener: Das ist schwer vorauszusagen. Bemerkenswert ist die Ernennung von Erzbischof Piero Marini, einem ausgewiesenen Fachmann in der Liturgie, der immer dezidiert für die Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils eingetreten ist. Gianfranco Ravasi ist interessant, weil er als Präsident des päpstlichen Kulturrats im Bereich der Kultur viel angestossen hat. Es gibt wohl auch neue Mitglieder, die keine besondere Fachkompetenz im Bereich der Liturgie haben. Dass der Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin dabei ist, könnte ein Zeichen sein, dass die Kongregation die neuen Mitglieder stärker mit einbinden soll.

Dass der Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin dabei ist, könnte ein Zeichen sein.

Wie meinen Sie das?

Klöckener: Parolin steht für die Öffnung, die auch Papst Franziskus vertritt. Er hat im Bereich der Liturgie allerdings noch keinen sehr klaren Kurs erkennen lassen. Es scheint, dass ihn dies nicht sonderlich interessiert.

Weshalb wohl?

Klöckener: Die letzten Dekrete der Kongregation zur Fusswaschung oder zur Rangerhöhung des Festes der Maria Magdalena sind – aus rein liturgischer Perspektive – nicht sehr wichtig. Letztere hat wohl einen stark symbolischen Charakter im Hinblick auf die Wertschätzung der Frau in der Kirche. Maria Magdalena als «Apostolin der Apostel» zu bezeichnen, ist ein Stück weit programmatisch. Das ist von Papst Franziskus so gewollt.

Die Rangerhöhung des Festes der Maria Magdalena hat symbolischen Charakter.

Auch bei der Fusswaschung geht es darum, dass nicht mehr nur Männer daran teilnehmen können…

Klöckener: Ja, die zugelassenen Beteiligten sind neu bestimmt. Der Papst selbst hat sich allerdings nicht an dieses Dekret gehalten, indem er selbst auch Nichtchristen die Füsse gewaschen hat. Er hat damit ein Zeichen gesetzt, wohin er eigentlich will: hin zu einer offenen Kirche, die zuerst auf den Menschen an sich schaut, besonders auf die Armen und Benachteiligten. Das hat innerhalb der Kurie und in anderen Kreisen Widerspruch gegeben. Auch zwischen der Grundorientierung des Papstes und den Ansichten von Kardinal Robert Sarah, dem Präfekten der Gottesdienstkongregation, bestehen wahrscheinlich gewisse Spannungen.

Der Papst selbst hat sich nicht ans Fusswaschungsdekret gehalten.

Das Dekret zur Fusswaschung wird klar als von Papst Franziskus gewünscht bezeichnet. Was können denn die Mitglieder der Kongregation einbringen?

Klöckener: In die alltägliche Arbeit der Kongregationen mischt sich der Papst normalerweise nicht ein. Eine Kongregation hat verschiedene Aufgaben zu bewältigen, darunter viel kirchliche Verwaltungsarbeit. Von der Gottesdienstkongregation sind in den letzten Jahren nur wenige wichtige Anregungen gekommen. Die Situation der Kirche ist auch anders als früher; viele neue Fragen sind aufgekommen, für deren Lösung die herkömmlichen Denk- und Verfahrensweisen nicht immer ausreichen.

Wie war das früher?

Klöckener: In den ersten zwanzig Jahren ihres Bestehens arbeitete diese Kongregation anders. Bis in die Achtzigerjahre war ihre primäre Aufgabe die unmittelbare Umsetzung der Liturgiekonstitution und die Durchführung der Liturgiereform. Besonders im ersten Jahrzehnt nach Beendigung des Konzils pflegte die Kongregation einen recht intensiven Kontakt mit den Bischofskonferenzen. Dieser Kontakt ist heute ziemlich zurückgefahren.

Ist das Ihre Kritik?

Klöckener: Ja, die Kongregation als römische Zentralbehörde, die Verantwortung für das gottesdienstliche Leben hat, müsste initiativer sein und tatsächlich mehr zur Förderung und nicht in erster Linie zur Kontrolle des liturgischen Lebens tun. Dafür müsste sie den Kontakt zu den Liturgiekommissionen der jeweiligen Bischofskonferenzen intensivieren, und zwar im Sinne eines Austausches in beide Richtungen. Es sollten nicht nur vom Apostolischen Stuhl aus Weisungen ergehen. Die Kongregation müsste stärker wahrnehmen, was an verschiedenen Stellen im Leben der Kirche passiert, welche Notwendigkeiten und neuen Entwicklungen es gibt. Darauf sollte der Apostolische Stuhl dann angemessen reagieren, soweit dies für eine zentralkirchliche Instanz möglich ist.

Was für einen Einfluss hat diese Behörde auf den Gottesdienst in der Schweiz?

Klöckener: In den letzten Jahren sind von der Gottesdienstkongregation mehrfach Schreiben mit primär disziplinarischem Charakter gekommen. Sie reagierte damit auf bestimmte Entwicklungen, die sie als «Missbrauch» oder Abweichung von der amtlichen Linie bezeichnete.

Mehrfach sind Schreiben mit primär disziplinarischem Charakter gekommen.

Können Sie Beispiele nennen?

Klöckener: Etwa die Laienpredigt. Die Schweizer Bischofskonferenz wird regelmässig bei ihrem Ad-Limina-Besuch im Vatikan darauf hingewiesen, dass das Kirchenrecht die Homilie (Predigt) von Laien in der Liturgie eigentlich verbietet. Einzelne Bischöfe haben darauf bekanntlich auch reagiert.

Ein anderes Beispiel betrifft die Generalabsolution. Diese war in der Schweiz ab den 1970er-Jahren üblich – und auch zulässig. 2009 haben die Schweizer Bischöfe sie auf Druck der Kongregation untersagt. Man kann darüber theologisch debattieren; sicher ist damit aber ein wertvolles und anerkanntes Element in der Busspraxis verloren gegangen.

Wie ging die Generalabsolution?

Klöckener: Sie fand in Bussgottesdiensten statt. Voraus gingen ihr Schriftlesung und Gebet sowie eine gemeinschaftliche Gewissenserforschung zur Besinnung über das eigene Leben. Sodann wurde die Generalabsolution für alle anwesenden Gläubigen erteilt, ohne dass sie ein individuelles Sündenbekenntnis abgelegt hatten. Eine Generalabsolution ist eigentlich als Form der Busse für Notsituationen vorgesehen. Man hat sie in der Schweiz aber damals im Blick auf die pastorale Situation im Land breit eingeführt – übrigens mit römischer Genehmigung. Es war also kein Akt des Ungehorsams. Diese Genehmigung zog die Kongregation wie gesagt zurück.

Die Kongregation muss auch heikle Entscheide fällen. Etwa zu Disziplinarfragen oder zu Weihehindernissen bei Priesteramtskandidaten oder zu Ehenichtigkeit. Kennen Sie solche Entscheide?

Klöckener: Wie die Kongregation im Einzelfall entscheidet, weiss ich nicht. Auch über ihren konkreten Umgang mit Ehedispensen bin ich nicht genauer informiert. Der Papst hat ja diesbezüglich einige Änderungen vorgenommen. Die Verantwortung für die «Sakramentendisziplin» wurde der Kongregation übrigens bei der letzten Restrukturierung zugewiesen. Zuvor war sie nur für die Liturgie zuständig gewesen.

Diese Massnahmen betreffen Einzelpersonen.

Klöckener: Ja. Entscheide, die das Glaubensleben eines Einzelnen betreffen, werden nicht öffentlich kommuniziert. Da geht es um Persönlichkeitsschutz. Führt hingegen beispielsweise eine Diözese einen neuen Heiligen ein und die Kongregation erteilt die Genehmigung zur liturgischen Verehrung, wird das in einem Dekret veröffentlicht.

Einzelfall-Entscheide wären aber interessant, sie zeigen oft die Richtung.

Klöckener: Was diese Kongregation meines Erachtens bräuchte, ist viel Sachverstand und mehr Öffnung. Das ist auch beim Konflikt um die liturgischen Bücher ersichtlich. Seit 2001 verlangt der Vatikan eine Neuübersetzung dieser Bücher nach engen Massgaben im Sinne einer hohen Wörtlichkeit. Das hat zu Auseinandersetzungen geführt. Abgeschlossen ist einzig das englische Messbuch. Die deutschsprachigen Bischofskonferenzen haben den Prozess gestoppt, nachdem die Übersetzungen fertig waren. Sie fanden, dass eine solch wörtliche Übersetzung der Liturgie und dem Glaubensleben letztlich schade. Derzeit ist offen, ob sich die Kongregation und die französischsprachigen Bischofskonferenzen bezüglich der französischen Übersetzung einigen können, wo sich ähnliche Schwierigkeiten aufgetan haben.

Es bräuchte mehr Öffnung. Das ist beim Konflikt um die Messbücher ersichtlich.

Vielleicht ist das mit ein Grund, weshalb der Westschweizer Bischof Charles Morerod und der französische Bischof Bernard-Nicolas Aubertin als Mitglieder der Kongregation berufen wurden. Aubertin ist Vorsitzender der französischen Liturgiekommission. Die Ernennung der beiden könnte durchaus mit der offenen Frage um die Zukunft der neuen Übersetzung des Messbuches in französischer Sprache im Zusammenhang stehen. Dann würde der Papst in diesem Prozess die Rolle der Teilkirchen stärken.

Martin Klöckener | © Regula Pfeifer
9. November 2016 | 09:10
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