Bischof Joseph Maria Bonnemain
Schweiz

Bischof Joseph Bonnemain: Der Verhaltenskodex gilt für alle Angestellten – vom Bischof bis zum Sakristan

Bischof Joseph Bonnemain (73) erhofft sich vom neuen Verhaltenskodex einen Kulturwandel in der Kirche. Im Einzelfall kann er sich vorstellen, auch Menschen in einer eingetragenen Partnerschaft eine Missio zu erteilen. Aber: «Es ist nicht Aufgabe eines einzelnen Bischofs, die Prinzipien der Moral neu zu definieren.»

Raphael Rauch

Ist die Vorstellung des Verhaltenskodex ein historischer Tag?

Bischof Joseph Bonnemain*: Das wäre völlig übertrieben. Es ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Wir sind auf einem langen Weg. Das Bistum Chur hat 300 Pfarreien. Hier alle mitzunehmen und einen Kulturwandel zu erreichen, ist herausfordernd. Der Verhaltenskodex bleibt ein Papiertiger, wenn wir ihn nicht im Alltag umsetzen. Und Papiere hatten wir schon viele. 

Bischof Joseph Maria Bonnemain unterschreibt den Verhaltenskodex. Neben ihm Stefan Müller von der Biberbrugger Konferenz.
Bischof Joseph Maria Bonnemain unterschreibt den Verhaltenskodex. Neben ihm Stefan Müller von der Biberbrugger Konferenz.

Für wen gilt der neue Verhaltenskodex?

Bonnemain: Für alle Angestellten im kirchlichen Umfeld.

Heisst alle wirklich alle? Vom Bischof bis zur Organistin, Sakristan und Putzfrau?

Bonnemain: Richtig.

Weihbischof Marian Eleganti am Tag seines Rücktritts in der Churer Kathedrale.
Weihbischof Marian Eleganti am Tag seines Rücktritts in der Churer Kathedrale.

Muss auch der emeritierte Weihbischof Marian Eleganti das Papier unterschreiben?

Bonnemain: Es wäre wünschenswert – aber ich habe keine Autorität über Marian Eleganti. Sein Vorgesetzter ist der Papst, nicht ich.

«Es geht darum, die sexuelle, physische und geistige Integrität der Menschen im gesamten kirchlichen Umfeld zu schützen.»

Nicht alle werden begeistert sein, eine Schulung machen zu müssen und den Verhaltenskodex zu unterschreiben. Wie werden Sie etwa konservative Priester im Bistum Chur überzeugen?

Bonnemain: Auch ich werde einen Kurs besuchen. Ich bin überzeugt, der Verhaltenskodex hilft uns, in Freiheit und angstfrei Kirche zu leben. Wenn sich die Kirche korrekt verhält, wird auch die Freude am Leben und an der Kirche grösser. Ich versuche, immer wieder zu sagen, worum es geht: um eine lebendige, tiefe, ehrliche, tragende Beziehung zu Gott. Wenn das vorhanden ist, kann man wachsen und Vieles erreichen. Der Verhaltenskodex hilft uns als konkretes Präventionsinstrument. Es geht darum, die sexuelle, physische und geistige Integrität der Menschen im gesamten kirchlichen Umfeld zu schützen. Ich bin überzeugt: Wenn sich die Menschen an den Kodex halten, schützen sie sich auch selber. Dann gibt es auch keine Gerüchte und Anschuldigungen.

Sagt, was ist und diente damit der Kirche mehr als manch ein Bischof oder Kardinal: Karin Iten.
Sagt, was ist und diente damit der Kirche mehr als manch ein Bischof oder Kardinal: Karin Iten.

Beim Thema sexuelle Selbstbestimmung haben Sie und Ihre Präventionsbeauftragte, Karin Iten, unterschiedliche Ansichten.

Bonnemain: Die Kirche ist da, um alle zu ermutigen und allen zu helfen, nach einem Ideal zu leben. Aber ein Ideal ist ein Ideal, also oft auch entfernt und man muss sich schrittweise diesem Ideal nähern. Es geht darum, was Papst Franziskus in «Amoris Laetitia» ausdrückt: Es geht ums Integrieren, Begleiten – darum, die Gabe der Unterscheidung zu pflegen.

«Wenn der Mensch Gott nahe ist, dann ist alles gelöst.»

Was bedeutet das für einen geschiedenen Menschen, für eine Transperson, für eine Person in einer eingetragenen Partnerschaft, die mit einer Missio für die Kirche arbeiten möchte?

Bonnemain: Ich werde mit der Person geschwisterlich sprechen, damit wir gemeinsam schauen, wie der Weg aussehen kann, um sich diesem Ideal zu nähern. Wenn die Bereitschaft, diese Offenheit besteht und dieser Mensch Gott nahe ist, dann ist alles gelöst.

Sex in der Sauna? «Das hat mit dem Evangelium nicht viel zu tun.»

Was heisst das konkret?

Bonnemain: Wenn jemand sagt: Ich möchte jedes Wochenende in eine Sauna gehen und dort mit einer anderen Frau oder einem anderen Mann Sex haben, dann hat das mit dem Evangelium nicht viel zu tun. Ich bin überzeugt, was Christus vorgelebt hat, ist die beste Art zu leben.

Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht
Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht

Also Zölibat für alle?

Bonnemain: Nein! Es geht um eine Liebe, die nicht selbstbezogen ist, sondern Hingabe bedeutet.

Heisst das: Eine Person in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft kann eine Missio bekommen?

Bonnemain: Es geht um den Einzelfall. Je nachdem, wie die konkrete Situation der Person aussieht, ist eine Missio möglich. Von mir gibt es hier kein pauschales Ja und kein Nein. Es geht um die konkrete Situation eines Menschen.

«Als Bischof entscheide ich, wer geeignet ist, die Botschaft des Evangeliums glaubhaft verkünden zu können.»

Warum hören Sie nicht auf Ihre Präventionsbeauftragte, die Berufliches und Privates in der Kirche stärker trennen will?

Bonnemain: Jesus sagt: Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt. Als Bischof stehe ich in der Verantwortung, Menschen für die Verkündigung auszuwählen. Es gibt kein Recht darauf, zu sagen: Ich melde mich jetzt an und bin von jetzt an in der Verkündigung tätig. Als Bischof entscheide ich, wer geeignet ist, die Botschaft des Evangeliums glaubhaft verkünden zu können. Das gilt auch für die Taufe: Wenn sich jemand taufen lassen möchte, muss ich auch erst verstehen, ob die Voraussetzungen für die Taufe vorhanden sind.

«Es ist nicht Aufgabe eines einzelnen Bischofs, die Prinzipien der Moral neu zu definieren.»

Wie passen diese Aussagen zum synodalen Prozess? Die Gläubigen im Bistum Chur wollen eine andere Sexualmoral und auch keinen Bischof, der nach unklaren Kriterien entscheidet, wer verkündigungswürdig ist und wer nicht.

Bonnemain: Echte Synodalität beinhaltet, dass die Gläubigen mit dem Bischof beziehungsweise der Bischof mit den Gläubigen im Einander-Zuhören offen bleiben für die Eingebungen des Heiligen Geistes. Dieser spricht nicht zuletzt in und mit der ganzen Kirche. Deswegen ist es nicht Aufgabe eines einzelnen Bischofs, die Prinzipien der Moral neu zu definieren.

* Joseph Maria Bonnemain (73) ist Bischof von Chur. Er hat am Dienstag einen neuen Verhaltenskodex vorgestellt.


Bischof Joseph Maria Bonnemain | © Bernard Hallet
6. April 2022 | 10:58
Lesezeit: ca. 4 Min.
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